LXXIX. Brief

[162] F... den 17ten November.


Mein Gott kann man sich etwas Schröklicheres denken als meinen Zustand! – Sage mir aus Barmherzigkeit, schriebst Du mir denn Mittwochs nicht, daß ich heute keine Briefe erhielt? – Und warum nicht? – Heiliger Gott! Warum nicht? – – Um Gottes Christi willen, was ist Dir begegnet? – Wenn Du geschrieben hättest, so müßte ich heute Deinen Brief erhalten haben. Oder übergabst Du vielleicht Deinen Brief fremden Leuten, die ihn zu spät auf die Post trugen? – – O wenn das die Ursache wäre, wie gerne wollte ich diesen unachtsamen Leuten ihre Nachläßigkeit verzeihen! –

Daß ich erst Donnerstags abreiste, mußt Du jezt schon wißen, daß ich aber erst heute in der Nacht hier sehr elend ankam, sollst Du gleich erfahren. – Als es in H... zum Einsteigen Zeit wurde, brachte mich Röschen fast nicht in den Wagen, ich wollte Deine Nachbarschaft durchaus nicht verlaßen. – Der Postwagen war voller Leute, ich sas wie eine Verdammte, sprach kein Wort und blieb in dieser jammervollen Betäubung bis es dunkel wurde, dann fieng ich an heimlich zu schluchzen, zu weinen, daß es mich beinahe erstikt hätte. – Ein menschenfreundlicher[162] Kauf mann, der mir gegenüber sas, bemerkte meinen stillen Jammer und gab sich alle Mühe mich zu trösten. – Eine tiefe Ohnmacht, die mir auch zum Theil das unbequeme Fahren zugezogen hatte, war das Ende dieses Auftrittes. – Sinnlos trug man mich in's Wirthshaus, alle Paßagiers wurden jezt auf mein Schiksal neugierig, aber Röschen ist ein schlaues Mädchen, denn nicht eine Seele erfuhr das Geringste von meiner Verfaßung. –

Ha, mein Gatte, wie viele solcher Leiden wirst Du mir noch aufbürden? – – Du kannst nicht begreifen, wie mir das avantürische Herumziehen zusezt und zur Last wird. – Ohne Dich kann ich's nicht mehr tragen, sähst Du die elenden Behandlungen, denen ein Weib ohne Mann ausgesezt ist, Du würdest rasend! – – Und besonders so ein schwaches, empfindliches Ding, wie ich bin. Ha! – Ich bleibe nicht mehr so, ich kann nicht mehr so bleiben, ich muß Dich an meiner Seite haben, Du mußt mich schüzzen. Längstens in drei Wochen kömmst Du an meinen Busen, oder bei Gott ich bin für Dich auf ewig verloren!!! – Das ist hart, nicht wahr Friz? – –

Aber höre nur erst obenhin eine kleine Beschreibung von den unangenehmen Dingen, welchen ein Weib ohne Mann ausgesezt ist. – Unter zwölf Personen, die im Postwagen saßen, war nur ein einziger, der uns nicht für herumziehende liederliche Dirnen hielt. – So bescheiden, so gramvoll ich auch da saß, so ruhte doch das Vorurtheil schwer auf mir, ich sah es aus verschiedenen Anmerkungen. – Selbst Röschen mit ihren kleinen Unbesonnenheiten betrug sich sehr vernünftig. Das Mädchen trägt vieles mit mir. Denke nur die Angst, die sie wegen meinen schwermüthigen Anfällen duldet. – –

Unzufrieden, krank und kummervoll kam ich Nachts um drei Uhr in F... an, foderte ein Zimmer, und was[163] glaubst Du wohl, man gab uns ein kaltes Loch, worinnen ein Bett mit einem bloßen Strohsak stund, und dessen Fenster ganz durchlöchert waren. Der Wirth sah uns ungeachtet unserer guten Kleidung doch für blose Abendtheurerinnen an. – Das war ein Anblik für mich! – Finstere Nacht, außer Stand eine beßere Schenke zu suchen, harrte ich Arme auf dem Strohsak und mein Röschen, die mich mit ihren Thränen wärmte an meiner Seite. –

Ist wohl je einer Mißethäterinn ein solches Schiksal beschieden? – – Und doch geht es einem Weibe ohne Mann nicht anders; nun denke Dir erst die Barbarei, wenn so ein Weib ohne Geld wäre. – Röschen war fast außer sich, daß wir in einen solchen Lumpenwinkel geriethen! – – Der Konduktör nebst seinen Paßagiers reißten gleich wieder weiter, nachdem der erstere auf meinen Konto hin brav gezecht hatte. – Grobheiten zu verhüten, mußte ich bezahlen, wenn ich schon nichts dafür genoßen hatte. –

Als es anfieng Tag zu werden, gieng ich mit Röschen in ein anderes Wirthshaus, die Wirthinn begegnete uns spöttisch, nahm uns aber doch auf, dann mußte ich ganz natürlich bezahlen was ihrem Eigennuz gelüstete. – Gott, was wird das werden, wenn mir die L..., an die ich heute den Empfehlungs-Brief abgeben werde, nicht für ein beßeres Quartier sorgt? –

Auch fängt das hiesige Männervolk schon zu laufen an, da sie uns vermuthlich am Fenster müßen erblikt haben. – Großer Gott, wie weh thut mir das Vorurtheil! – Gatte meines Herzens, bei Deiner Sorgfalt, bei Deiner Liebe, komme bald und tröste Dein

armes Weib.[164]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 162-165.
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