Bei einer Linde

[215] Seh ich dich wieder, du geliebter Baum,

In dessen junge Triebe

Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum

Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?


Wie anders ist seitdem der Äste Bug,

Verwachsen und verschwunden

Im härtren Stamm der vielgeliebte Zug,

Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!


Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie du,

Und nichts an mir wollt weilen,

Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu,

Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.[215]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 215-216.
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