Die falsche Schwester

[323] Meine Schwester, die spielt' an der Linde –

Stille Zeit, wie so weit, so weit!

Da spielten so schöne Kinder

Mit ihr in der Einsamkeit.


Von ihren Locken verhangen

Schlief sie und lachte im Traum,

Und die schönen Kinder sangen

Die ganze Nacht unterm Baum.


Die ganze Nacht hat gelogen,

Sie hat mich so falsch gegrüßt,

Die Engel sind fortgeflogen,

Und Haus und Garten stehn wüst.


Es zittert die alte Linde

Und klaget der Wind so schwer,

Das macht, das macht die Sünde –

Ich wollt, ich läg im Meer!


Die Sonne ist untergegangen

Und der Mond im tiefen Meer,

Es dunkelt schon über dem Lande,

Gute Nacht! seh dich nimmermehr!

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 323.
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