Mithridates

[236] Im goldgeschmückten Marmelsaal,

Zu seiner Pontusstadt,

Auf Rosen lag beim prächtigen Mahl

Der König Mithridat.


Und rings um ihn der Freunde Kreis,

Die Feldherrn seines Heers;

Sie tafelten – so strahlt um Zeus

Die Götterschaft Homers.
[236]

Die Harfe blitzt in schöner Hand,

Gesang und Tanz voll Reiz!

Den Mann im purpurnen Gewand

Nicht kümmert und erfreuts.


Es sprudelte des Weines Schaum

Im Kelch, krystallen schwer,

Er schmauste nicht, er nippte kaum,

Und schaute still aufs Meer.


Ihr Römeradler seid zur Hand!

Sind eure Schwingen matt?

Euch zürnt der Herr über Meer und Land

Der König Mithridat.


Wohl unterm freien Säulendach

Trinkt Kühlung jeder Gast,

Die Abendlüfte werden wach,

Der Wind ein Segel faßt.


Ein kleiner Nachen treibt ans Land,

Das säuselnde Gebüsch

Verhüllt den blühnden Gartenstrand

Den Fröhlichen am Tisch.


Da klinget auf das ehrne Thor

Am riesigen Portal,

Es tritt ein Krieger rasch hervor

Mit frech entblößtem Stahl.
[237]

Und steigt hinan zum hohen Thron

Der römische Legat,

Und spricht mit stolzem Herrscherton

Zum König Mithridat:


»Das Römervolk und sein Senat

Bringt Frieden unbedingt,

Wenn ihm der König Mithridat

Des Reiches Hälfte bringt.


Doch wenn der König solchen Brauch

Hält seiner Weisheit fern,

Verschlingen die Legionen auch

Die andre Hälfte gern!«


Da ruft der König Mithridat:

»Geh, sage dem Senat,

Gern löscht den Durst nach seinem Staat

Der König Mithridat.


Auf! sendet euern Consul nur!

Die Hälfte, die ihr wollt –

Poseidon höret meinen Schwur –

Seis, die ihr schlingen sollt!


Den Consul schick ich selbst und sein

Lechzend Legionenheer

In diese Hälfte des Reichs hinein,

– Diese Hälfte ist das Meer.«
[238]

Der König winkt. Da brechen all

Die Schwelger auf vom Schmaus,

Und herrlicher Posaunenschall

Tönt weit ins Meer hinaus.


Der Westwind wich, der Ostwind streicht

Vom Felsgebirg herab;

Des Herrn smaragden Scepter däucht

Dem Volk ein Zauberstab.


Nun taucht die Sonne in die Flut,

Nun wieder dreht sich der Wind,

Und ferner aus der Wogenglut

Posaunenschall beginnt.


Ihr Römeradler seid zur Hand,

Wenn Sturm von Osten naht!

Euch zürnt der Herr über Meer und Land,

Der König Mithridat.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 236-239.
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