Maimorgen

[57] In Garten bin ich gangen,

Zu wandeln in dem Sonnenschein,

Da fällt mir mein lieb Liebchen ein

Mit ihren Rosenwangen

Und klaren Aeugelein.


Ich hab zu mir gesprochen

So recht im Stillen noch einmal:

Sie litt um mich viel bittre Qual,

Ihr Herz ist schier gebrochen

In Thränen ohne Zahl.


Sie wollt an mir verzagen,

An meiner Lieb an meiner Treu,

Und glaubte schon an Rank und Reu,

Und fürchtete, zu fragen,

Bekümmert seelenscheu.


Sie aber kann nicht wanken.

Sie ist so lieb, so treu, so gut,

Es lebt in ihr die alte Glut –

Die Lieb ist ohne Schranken,

Sie ist ihr Lebensblut.


Und kannst du es nicht fassen,

Wenn unsre Lieb sollt schlummern ein,

So schwör ichs hier beim Sonnenschein,

Ich kann von dir nicht lassen,

Ich bin noch immer dein!
[58]

O wunderschöne Sonne,

O Sonne du des schönsten Mais!

Als wie dein Strahl, so rein und heiß

Ist meines Herzens Wonne,

Ist meine Lieb, Gott weiß!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 57-59.
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