Mostlied

[125] Kommt herein, ihr frohen Freunde,

Eilt heran, ihr Brüder all,

Rosenjunge, sonngebräunte,

Geisteskönig und Vasall!

Nur ein freudiges Gemüth,

Das in Zecherwonnen glüht,

Ist der Paß, den wir begehren,

Einen Becher heut zu leeren.


Eure Kehlen sind so trocken,

Eure Zungen, o wie stumm,

Eppich windet um die Locken,

Blumen um den Leib herum!

Auf den Rasen lagert euch

Neben duftiges Gesträuch,

Fangt zu trinken an, zu singen,

Und wer tanzen will, soll springen!


Ausgegohrnen Weisheitsbecher,

Wein, wir trinken keinen Wein!

Ehrentrunk biderber Zecher,

Saft der Gerste wird es sein?

Kunstgewässer? schlechte Post!

Nein wir trinken Traubenmost,

Most, der vor dem Wein erfunden,

Most der Trauben soll uns munden!
[126]

Ihr müßt werden wie die Kinder,

Darum trinket einmal Most,

Und den Wein, den alten Sünder,

Lasset schlafen nur getrost!

Gerne liegt er träg im Faß,

Freut sich, so zu werden baß,

Daß er gar gesetzt, beim Lüften,

Weniger Unheil möchte stiften.


Wer vermag den Most zu preisen,

Rühmen unter Sang und Klang,

Athmen nicht schon unsre Weisen

Munterkeit und Thatendrang?

Schaut mir an den tollen Most,

Wie er tobt im Glas und tost!

Ohne Tücke, ausgelassen,

Wie ein Trotzkopf auf der Gassen.


Wer soll leben, wer ist würdig

Eines donnervollen Tosts?

Wer ist Geistesebenbürtig,

Wer verwandt der Kraft des Mosts?

Helden gibt es nur genug:

David, der den Goliath schlug!

Jung Roland, jung Siegfried lebe!

Und – das Götterkind jung Hebe!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 125-127.
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