Lebensbaum

[203] Zu Heidelberg im Schlosse

Ragt auf ein Lebensbaum,

Dreihundert Jahre und drüber

Träumt er den Ewigkeitstraum.


Jetzt will er sich niederneigen

Der alte, mürbe Greis,

Der Winter ist ihm so grausig,

Der Sommer ist ihm zu heiß.


Es grünt und blüht auf der Erden,

Auch Unkraut will gedeihn,

Es wachsen Bäume zu Zeiten

Sogar in den Himmel hinein.


Ach, alles Blühen und Wachsen

Mag heißen, wie es will,

Und mag es sich »ewig« schelten,

Die Zeit kommt, es steht still.
[203]

Wie viele Lebensbäume

Hat schon die Welt gesehn!

Kein Titel und kein Name

Schützt vor dem Untergehn.


Und andre Bäum erstehen,

Und neuer Same geht auf –

Ein ewiger Strom des Wachsens,

Ein wechselnder Blüthenlauf!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 203-204.
Lizenz:
Kategorien: