Zweiter Auftritt.

[103] Der Oberst. Luise.


LUISE im Heraustreten. Wer ruft hier? – Und da sie ihn gewahr wird. Gerechter Gott!

DER OBERST wie vor sich. Eine Tochter? – Der Hauptmann hatte ja nur den Sohn im Munde. Ha, nun entdeck' ich – – Näher! näher, mein Kind! Sie scheinen ja ausserordentlich scheu und blöde. Sind Sie das immer?[103]

LUISE. O Ihre Gegenwart! – Dass eben Sie hier erscheinen; Sie Selbst!

DER OBERST hämisch. Sie hatten auf jemand anders gehofft?

LUISE. Auf niemand – nein! Aber ich zittre, dass Sie in einer Absicht da sind – –

DER OBERST. In welcher? – Sie haben nicht Ursache zu zittern. Sie dürfen nur reden. – In der Absicht etwa, Ihren Vater zu fordern? – Den hat ja, wie ich höre, schon ein Andrer gefordert; und Sie haben ihn so gerührt, diesen Andern, dass er auf und davon gegangen. Was brauchten Sie denn zu zittern? – So gut, wie jener gewonnen ward, könnt' ich es wohl auch werden. Ich hab' Empfindungen – hab' ein Herz –

LUISE. Dass das Gott wollte! Aber Ihr Blick – – Zu Ihren Füssen beschwör' ich Sie – –[104]

DER OBERST. Nicht doch! Indem er sie hindert. Sie haben nicht nöthig, Sich zu erniedrigen. Stehen Sie auf! – Ihre beste Fürsprache ist Ihre Jugend, ist Ihre Unschuld; ich mögte den sehen, der sich da nicht gewinnen liesse. Und wenn es mich meine Ehre, meine Pflicht kosten sollte; – eh' ich eine so liebenswürdige Unschuld kränkte, eine so holde, sittsame Unschuld – – Wie vor sich. Ha, nun hab' ich dich, Brink! Dein ganzer Edelmuth, den ich so anstaunte, wird zu einer so alltäglichen Schwachheit. Ich Thor, dass ich nicht gleich darauf rieth! – Doch ich plaudre, und vergesse darüber, warum ich herkam. Wo ist Ihr Vater, mein Kind?

LUISE erschrocken. Mein Vater? – Gott, wenn Sie wüssten – Er ist in einem Zustande, in einem Elende – –

DER OBERST. O, das weiss ich; ich[105] weiss. – Er ist hier in Händen, woraus man ihn längst hätte retten sollen; in zu mitleidigen Händen. Das sind nicht selten die schlimmsten und die grausamsten, worin man seyn kann. – Wenn er genesen soll, so muss das anders werden; er muss Luft und Bewegung haben. Und eben um ihm die zu schaffen, bin ich gekommen. – Treibend. Also: wo ist er? wo ist er?

LUISE innerlich bitter. Ich Sollt' ihn selbst – sollt' ihn an Sie –?

DER OBERST. Ob man mich zu ihm führt, oder ob ich ihn finde, gilt endlich Eins. – Auf das Seitenzimmer zugehend. Da hier vermuthlich – in diesem Zimmer –

LUISE vortretend. Sie wären grausam genug? – Sie könnten den Vorsatz haben –?

DER OBERST ausbrechend, indem er sie fortzieht. Und Sie die Kühnheit? – Wagen[106] Sie's, Sich meinen Maassregeln zu widersetzen! – Ich will Sie hier lehren, geheime Anschläge schmieden, will Sie lehren, wider Dienst und Gehorsam verheizen. – An mir haben Sie gerade den Mann, mit dem es sich spielen liesse. Ich will Sie's lehren! Er geht hinein.


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 103-107.
Lizenz:
Kategorien: