XXXIII.

[368] Je wichtiger, durch die Erklärung des Vaters, der Punct von der Heirat geworden war; desto begieriger ward der Sohn, die Meinung desselben über die Witwe zu wissen, und desto scheuer die Tochter, sie zu erforschen. Gleichwohl wagte sie am folgenden Nachmittage beim Thee einen Versuch, mit dem es aber nicht zum glücklichsten ablief.

Wissen Sie schon, fing sie an, lieber Vater, was sich gestern für eine wichtige, für eine denkwürdige Begebenheit zugetragen hat?

Nein, sagte der Alte.

Der edle Liebesritter Wraker hat seine reizende Dulcinea glücklich zum Altare geführt.[369]

Hat er? – Der alte, armselige Stümper!

O spotten Sie seiner nur nicht! Er soll sich so glücklich, so überschwenglich glücklich fühlen – –

Je nun – er ist dem Himmelreich nahe.

Dem künftigen, meinen Sie? Ich zweifle, dass er daran noch denkt. – Doch was geht mich der alte Wraker an zusammt seiner Liebesgeschichte? Ich sehe nur, wie mich mein guter Vater gelehrt hat, auf die unschuldigen kleinen Waisen, die doch nun wieder einen Beschützer haben. – Ach das liebe kleine Waischen von gestern! Nicht wahr? wenn doch auch das wieder einen Beschützer hätte!

Die Mutter gab der Tochter einen abmahnenden Wink, und der Vater ward auf einmal sehr ernsthaft. – Dafür, sagte[370] er, liessest du wohl äm besten den Himmel sorgen. In solche Sachen sich einzumischen – – Aber was will ich? Ich bin wohl thöricht, sehr thöricht.

Lieber Vater! sagte die Tochter verlegen.

Ich hätte beinah' einer Frau, wie dir, eine Klugheitsregel gegeben. Als ob du deren bedürftest!

Von wem nähm' ich sie lieber an, als von Ihnen?

Nein, nein! Das hiesse ja wohl, dem Tage ein Licht anzünden. – Auch bist du für solche Thorheiten noch viel zu jung. Das Heiratstiften ist nur Sache für alte, abgelebte Matronen.

Die spitzfindige Miene, die er bei diesen Worten zog, und die unwillige, ärgerliche der Mutter, machten der Tochter so bange, dass sie auf der Stelle verstummte.[371] Es musste etwas Unangenehmes zwischen den Eltern vorgefallen seyn, das sie durch ihr Gespräch wieder aufgeregt hatte; und das war ihr ausserordentlich traurig. –

Um's Himmels willen! fing sie an, sobald der Vater hinaus war: was hab' ich gemacht, liebe Mutter?

Ja, der wunderliche, grillenhafte Alte, dein Vater! Wird man je aus ihm klug? – Ich glaube, wenn ich hundert Jahre mit ihm lebte; ich lernt' ihn dennoch nicht aus. – Denke dir nur, was ich gestern, der Witwe wegen, für einen Verdruss mit ihm hatte!

Der Witwe wegen? – Das ist das Unangenehmste, was Sie mir sagen könnten!

Er fand sie hier wartend, als er aus deinem Hause zurückkam. –

Nicht möglich![372]

Sie wollte ihm danken, dass er sie aus ihrer Verlegenheit mit Horn gerissen: aber das verbat er, und hörte kaum danach hin; er kam sogleich auf ihren ältesten Kleinen, den er bei dir hatte kennen lernen, und sagte von dem Kinde so viel Liebes und Schönes, dass er der guten Frau das Herz abgewann, und sie recht munter und zutraulich machte. Er zog sie dann aus einem Gespräch in das andre, und war so zufrieden mit ihr, so zufrieden –

O mein Gott, liebe Mutter! Sie machen mich unaussprechlich neugierig. Sagen Sie mir doch nur dies und jenes, was vorfiel!

Gerne. Wenn ich's nur wieder zusammenbringe! – Von der Wirthschaft ihres Vaters, glaub' ich, war gleich zuerst die Rede; jaja![373]

Und sie wusste zu antworten? wusste Bescheid?

Um Alles. Bis ins Kleinste hinein.

Ah! da begreif' ich. Das wird ihm gefallen haben.

Gar sehr. – Dann kam er auf den plötzlichen Wechsel, da sie durch ihre Heirat, von der Arbeit weg, mitten in lauter Vergnügen versetzt worden; und meinte: dieser Wechsel sei ihr doch wohl äusserst reizend gewesen? sie hätte wohl für keinen Preis auf's Land zurückgehen mögen?

Sieh den Alten! Da legt' er ihr eine Schlinge.

Ob sie so etwas merkte, oder – Genug, sie ward ganz niedergeschlagen, und versicherte ihm, dass sie mitten im Wohlleben nie ohne Sehnsucht an das väterliche Haus zurückgedacht habe. Der[374] Mensch, sagte sie, sei zur Arbeit geschaffen, und nur Arbeit erhalte ihn glücklich; das Vergnügen, wie sie aus eigner Erfahrung wisse, sei nur Würze, und wolle nur als Würze genossen werden: wer es zur Nahrung missbrauche, zerstöre seine Gesundheit, und nehme dem Vergnügen selbst allen Reiz. Jetzt, da sie von sich selbst abhange, sei es ihr wieder vergönnt ein thätiges Leben zu führen, und eben jetzt, sobald sie nur von drückenden Sorgen frei sei, führe sie auch wieder ein glückliches Leben.

Schön! herrlich! Das war ihm wie aus der Seele gesprochen.

Damit fiel denn das Gespräch auf ihre Handlungsgeschäfte, in die sie sich schon so hineingearbeitet hatte, so vollkommen Bescheid darum wusste, dass er ihr recht grosse Lobsprüche ertheilte. Aber die[375] lehnte sie alle ab, und gab sie ihrem Lehrer, wie sie ihn nannte, deinem Bruder zurück, von dem sie nun anfing, mit so herzlicher Dankbarkeit, mit so inniger Rührung zu reden, dass auch ich und dein Vater nicht wenig davon gerührt wurden. Sie konnte am Ende vor Wehmuth nicht weiter, und musste schweigen.

Aber, liebe Mutter! in dem Allen seh' ich noch nicht den mindesten Anlass zu einem Streite.

Der ist auch gar nicht gewesen.

Nicht? – Aber Sie äusserten doch – –

Höre nur erst zu Ende! – Als die Witwe hinweg war, ging dein Vater hier noch eine Weile herum, und sprach sehr rühmlich von ihr; und dann auch von deinem Manne, der sich auf die Menschen sehr gut verstehe, und ihm diese wackere Frau zuerst in dem rechten Lichte[376] gezeigt habe. – Ewig Schade, setzte er hinzu, dass sie an einen Menschen, wie diesen Lyk, hat gerathen müssen, der ihrer so wenig werth war, und der sie sammt ihren Kindern an den Bettelstab hätte bringen können. – Da nutzt' ich denn die Gelegenheit, und fing an: Was meinst du, Vater? das wäre so recht für unsern Sohn eine Frau gewesen. Und da sie jetzt Witwe ist; so dächt' ich immer, wir machten ihm einen Antrag darüber: denn sie ist doch noch jung, und es gäbe gewiss eine recht gute Ehe.

Ah liebe Mutter! das, fürcht' ich, war zu rasch, war zu deutlich.

Freilich wohl! Aber, du lieber Gott! ich sah das Eisen so herrlich glühen, dass ich's für Sünde gehalten hätte, nicht zum Hammer zu greifen und ein wenig zu schmieden.[377]

Ja, wenn nur nicht die Funken umherflögen! Es ist so eine Sache damit. – Aber was hatt' er denn gegen die Heirat? Was bracht' er denn vor?

Das! sagte Madam Stark, und fuhr mit der flachen Hand über den Theetisch.

Wie? Er antwortete nicht?

Kein Sterbenswörtchen, Aber da für sah er mich an – du weisst, wie er einen ansehen kann! – mit einem paar Augen! – Ich dachte Wunder, was jetzt herauskommen würde; aber nichts! nicht ein Laut! Er zog mir nur ein saures, äusserstsaures Gesicht, und ging mit Kopfschütteln davon.

Das ist doch seltsam, sehr seltsam. Was gäb' ich darum, dass er gesprochen hätte!

Abends bei Tisch kam denn so etwas hervor. Da war er wieder in seiner gewöhnlichen[378] Laune, und schwatzte von der Thorkeit des Heiratstiftens, wobei des Danks so wenig und des Undanks so viel zu gewinnen stehe, und von alten Mütterchen, denen ihr eigenes Liebesfeuer ausgegangen wäre, und die so gern ein fremdes anzündeten, um sich daran zu wärmen und an die eignen bessern Tage dabei zurückzudenken; kurz, so ärgerliches und spitzfindiges Zeug, dass ich's machte, wie er, und ihm auch ein recht saures Gesicht zog, und auch mit Kopfschütteln davonging.

Immer gut, liebe Mutter! Immer besser, als wenn Sie gesprochen hätten! – Aber wenn ich doch nur begriffe –!

Und hiemit fingen die Damen an, sich in scharfsinnigen Muthmassungen über die eigentliche Ursache zu erschöpfen, warum dem Alten die vorgeschlagene Heirat mit[379] der Witwe so missfalle – denn dass sie ihm missfalle, setzten sie als erwiesen voraus. – Waren's etwa die beiden kleinen Kinder der Witwe? Das glaubte die Doctorinn nicht. War's noch ein Rest des alten Vorurtheils gegen sie? Das glaubte Madam Stark nicht. Waren's die zu geringen Vermögensumstände der Frau? Das glaubten die Damen alle beide nicht. – Kurz, der Alte war ihnen auch diesmal, wie sonst schon öfter, ein Räthsel.

Als der Doctor hinzukam, wurden diese Muthmassungen um noch eine vermehrt. Er sah von der Witwe und ihren Umständen ab, und glaubte, dass dem Vater nicht sowohl die Heirat missfalle, als das Vorschlagen derselben, das Anmahnen und das Bereden dazu. Er will gewiss, sagte er, dass der Bruder völlig frei, ohne fremden Einfluss und Antrieb[380] handeln, und eine Wahl ganz nach seinem eigenen Herzen treffen soll. – Hätte der Doctor noch hinzugesetzt: dass vielleicht das Kopfschütteln des Alten weniger der Witwe, als dem Sohne, gegolten, und dass seiner geäusserten Unzufriedenheit wohl nicht so sehr Missbilligung jener, als Misstrauen gegen diesen, zum Grunde gelegen; so hätt' er vermuthlich, statt der halben, die volle Wahrheit getroffen. Der Alte konnt' es für möglich halten, dass der Sohn sich zu dieser Heirat bereden liesse, aber zugleich nach seinem Charakter für wahrscheinlich, dass er in der Folge diesen Schritt bereute, und dann seine Ehe unglücklich würde. –

Auf dem Heimwege wurden Doctor und Doctorinn einig, dass der Bruder nur das vortheilhafte Urtheil des Vaters von der Witwe, nicht den kleinen Vorfall mit[381] der Mutter, erfahren müsse. Sein Muth, wie beide sehr richtig urtheilten, war eher zu stärken als niederzuschlagen. Übrigens, da jetzt Alles erschöpft war, was zur Vorbereitung eines guten Ausganges nur immer geschehen konnte; so hielten sie es für nothwendig, dass der Bruder ein Ende machte, und so bald als möglich dem Vater vor Augen träte.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 368-382.
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