XXXIV.

[382] Gleich am folgenden Tage kam Herr Stark angeblich wieder zur Stadt, und liess gegen Abend durch Monsieur Schlicht den Vater fragen, ob er so glücklich seyn könne ihn ohne Zeugen zu sprechen. Er ward augenblicklich angenommen, und fand das Wort des Doctors bestätigt: dass wenn er jetzt dem Vater vor Augen, träte, er einen ganz andern Blick von ihm sehen, wenn er jetzt mit ihm redete, einen ganz andern Ton von ihm hören würde. Der Empfang war bei allem Ernste so gütig, und die Frage: welche Wirkung in der nicht mehr angenehmen Jahreszeit die Landluft auf ihn gehabt habe, ward mit so vieler Theilnahme vorgebracht, dass die Ängstlichkeit des Sohnes sich um ein Grosses verminderte.[383]

Um sein Herz noch mehr zu erleichtern, trat er sogleich auf den Vater zu, und fing eine Bitte um Verzeihung alles Vorgefallenen an, die aber der Vater grossmüthig genug war ihn nicht vollenden zu lassen. – Hast du, fiel er ihm in die Rede, mit deinem Schwager gesprochen? Hat er dir meine Absichten mit dir entdeckt?

Ja, mein Vater.

Und deine Meinung darüber? –

Ich habe für meine Erkenntlichkeit keine Worte. – Er ergriff die Hand des Alten, und küsste sie ihm mit eben so viel Ehrerbietung, als Rührung.

Hast du auch die Bedingungen erfahren, die ich dir mache?

Ich werde sie heilig erfüllen. Nicht bloss als Ihre Befehle, auch als Wünsche meines eigenen Herzens. Thätig zu werden,[384] ist jetzt mein einziger Trieb. – Und da mich Ihre Einsicht, Ihr väterlicher Rath, wie ich hoffe, bei jedem wichtigern Schritte leiten wird; so verspreche ich mir den besten, glücklichsten Erfolg meiner Bemühungen. Es wird mein eifrigstes Bestreben, mein Stolz, meine höchste Zufriedenheit seyn, Ihnen Freude zu machen.

Die werd' ich haben, wenn es dir wohlgeht. – Aber warum erwähnst du einer der Hauptbedingungen nicht, deiner Heirat? – Hast du noch keine Wahl getroffen?

Mit der gewöhnlichen Schüchternheit, womit Fragen dieser Art pflegen beantwortet zu werden, sagte der Sohn: Ich habe.

Kenn' ich deine Geliebte?

Mit noch größerer Schüchternheit brachte er die Antwort hervor: Seit Kurzem.[385] – Aber äusserst schnell flossen ihm am einmal die Worte, als er anfing die Tugenden seiner Geliebten zu preisen, und auf die Bosheit gewisser Elenden zu schelten, deren tückischen, giftigen Pfeilen auch die reinste unbefleckteste Tugend nicht entgehe.

Diese Vorrede, sagte der Alte, könnte mir bange machen. – Ich bitte um den Namen deiner Geliebten.

Es half dem Sohne nichts, dass er den Namen der Witwe nur mit ganz leiser, gedämpfter Stimme aussprach. Er war genöthigt, ihn desto lauter zu wiederholen.

Also die! sagte der Alte ernsthaft, indem er mehrere Schritte umherging: die Witwe! – Ist das bloss Nachricht, die du mir giebst; oder – –

Es ist Vortrag meines innigsten, herzlichsten Wunsches, für den ich um Ihren[386] gütigen Beifall, um Ihre väterliche Bestätigung bitte.

Unter Euch selbst, hoff' ich, ist doch schon Alles ausgemacht? Ihr seid einig? –

Wie freute sich jetzt der Sohn, dem Rathe seines Schwagers gefolgt zu seyn! und dem Vater mit voller Wahrheit betheuren zu können: auch nicht das erste Wort von Liebe sei zwischen ihm und der Witwe gewechselt worden; auch nicht einmal vorläufig, unter vorausgesetzter Zustimmung des Vaters.

Um so besser! sagte der Alte. So braucht nichts erst zurückzugehen.

Zurückzugehen, mein Vater? – Sollt' es denn das? Müsst' es denn das?

Ich sehe den Gang, den diese Liebe genommen, ganz deutlich. Du hast an der Witwe mit einer Rechtschaffenheit, einem Edelmuthe gehandelt, wovon dein[387] Herz dir das Zeugniss giebt, dass sie dir zur Ehre, zur grössten Ehre gereichen. So ist natürlich ihr Anblick dir werth geworden; denn er erinnert dich an die beste That deines Lebens: aber eigentliche herzliche Leidenschaft, eigentliche innige Liebe, die bis in das Alter ausdauren, und dich für Alles entschädigen könnte, was du ihrentwegen entbehren und aufopfern müsstest – nein, mein Sohn! die kann ich hier unmöglich voraussetzen; unmöglich!

Warum unmöglich, mein Vater? – Und was müsst' ich denn ihrentwegen entbehren? Was müsst' ich ihr aufopfern? – Ich sehe nichts.

Ist dir der Reichthum nichts, den so manche Andre dir zubringen würde? – Die Witwe an sich selbst ist ohne Vermögen.[388]

Wahr! aber – –

Was von den armseligen Trümmern des ehemaligen Lykischen Reichthums auf ihr Theil kömmt; ist nach unsern Rechten die Hälfte. Wie viele der Fonds, die ich aus der Handlung herauszuziehen vielleicht gezwungen bin, glaubst du damit decken zu können?

Ich werde mich einschränken, mein Vater. Ich werde die Handlung so viel als nöthig, und mein Hauswesen auf's äusserste einschränken. Ich werde im höchsten Grade sparsam und thätig werden.

Gut! Aber das Alles, wirst du am Ende fragen, und muss jetzt ich fragen: für wen? – Für eine Frau, die schon jetzt nicht die jüngste mehr ist, und von deren Schönheit vielleicht nach wenig Jahren kaum noch einzelne Spuren da sind.[389]

Ist's denn ihre Schönheit, auf die ich sehe? – Gott ist mein Zeuge! noch hab' ich sie mit keiner andern verglichen. Was mich gerührt und mich ihr auf ewig gewonnen hat, sind die Tugenden, die sie in so mancher traurigen, prüfenden Lage bewiesen, und von denen ich Monate lang ein naher, glücklicher Zeuge gewesen.

Der Alte ging von neuem umher, und schwieg. – Sie hat Kinder, fing er dann wieder an.

Die vermehren meine Liebe zu ihr. Es sind ein paar Engel. –

Aber Engel, die Bedürfnisse haben. – Lass das Wenige, was aus der Verlassenschaft des Vaters für sie übrig bleibt, durch Zufälle schwinden; so haben dich diese Kinder Vater genannt, und du wirst verpflichtet seyn als Vater für sie zu sorgen.[390]

Das werd' ich gewiss, und werd' es mit Freuden.

Mit Freuden? – Was du ihnen zuwendest, werden deine eigenen Kinder verlieren. An fremdes Blut wirst du thörichter Weise wegwerfen, was deinem eigenen zu Gute kommen könnte. – Ich bitte dich: wie kannst du einen solchen Gedanken nur fassen? ihm nur einen Augenblick Raum bei dir geben?

Der Sohn kannte den Vater zu gut, um nicht äusserst betroffen zu werden. – Sie reden da nicht aus Ihrer eigenen Seele, mein Vater; unmöglich! –

Was heisst das? Aus welcher, als aus seiner eigenen, kann man reden?

Sie schaffen Sich eine fremde, enge, äusserst beschränkte Seele, die Sie mir als die meinige leihen. Aus ihr nehmen Sie das, womit Sie mich zu verwirren[391] oder zu überzeugen glauben. – Ich sehe, loh habe Ihre Achtung ganz, und habe sie auf immer verloren. Ich werde meinen eigenen Weg gehen müssen. Ich will es. – Mein einziger Wunsch zu Gott ist – indem er die Hände mit Kraft in einander faltete – dass Sie noch lange, lange leben, und noch mit eigenen Augen sehen, wie sehr Sie Sich in mir irrten, wie sehr Sie mir Unrecht thaten. – Er wandte sich von dem Vater ab gegen das Fenster mit einem ganz zerrütteten, von den widrigsten Empfindungen zerrissenen Herzen.

Mehr, als einen solchen Beweis seiner Gesinnung und der gänzlichen Umwandlung seines Charakters, konnte der Vater nicht fordern. – Nach einer tiefen, feierlichen Stille, worin er dem Sohne Zeit liess sich wieder zu sammeln, rief er ihn sanft bei seinem Vornamen: Karl![392]

Durch das Weiche, Zitternde dieses Tones fühlte sich der Sohn gleichsam unwillkürlich herumgerissen. Wie ward ihm, als er den guten, ehrwürdigen Alten dastehen sah, die Augen mit Thränen gefüllt, und die Vaterarme weit gegen ihn offen haltend! Karl!, rief der Alte noch einmal: warum hast da dich mir so lange verborgen? – Und nun stürzte der Sohn, von Empfindung überwältigt, obgleich noch ungewiss was er zu hoffen habe, auf den Vater zu, ergriff mit beiden Händen eine der seinigen, und bedeckte sie ihm mit Küssen.

Willst du, sagte der Alte, in dieser schönen, uns beiden gewiss unvergesslichen Stunde, mir schwören, mir heilig schwören, dass du nie anders denken willst, als du dich jetzt erklärt hast? dass du nie, auch nicht im Innersten deines[393] Herzens, der guten Lyk ihren, Mangel an Vermögen oder ihre Kinder vorwerfen willst? dass du Liebe und Tugend ihr für mehr als alles Vermögen anrechnen und Ihre Kinder stets so ansehen willst, als ob sie die deinigen wären? –

Der Sohn war nicht bloss gerührt, er war erschüttert. – Ich will, ich will! stammelte er, und vermogte kein Wort weiter hervorzubringen.

Ich nehme deine Rührung für Eidschwur. – Und nun warf er die eine Hand ihm auf die Schulter, zog ihn an sich, und küsste ihn wiederholt und von Herzen. – Wegen der Art, wie ich dich setze, verlass dich auf mich; ich bin kein ungrossmüthiger Vater: und so nimm mein Haus und meine Handlung hin, und obendrein – meinen zärtlichen Vatersegen zu deiner Liebe! –[394] Ein so rascher und so mannichfaltiger Wechsel der Gefühle war mehr, als das Herz des Sohnes ertrug. Statt dem Vater zu danken, wankte er rückwärts, um einen Stuhl zu gewinnen, auf den er sich halb athemlos hinwarf. Ein plötzlich hervorbrechender Strom von Thränen erleichterte ihn; während der Alte, der sich neben ihm setzte und ihm selbst seine Thränen trocknen half, ihm unablässig zuredete: Lass doch! lass! Sei ein Mann! Trockne ab, lieber Karl! Wir müssen ja wahrlich zu deiner Mutter, um ihr Theil an unsrer Freude zu geben. – Wer weiss, wie lange und wie ungeduldig sie unser schon wartet? – Und wenn mich nicht Alles täuscht; so finden wir dort noch, zwei Andre, die unser beider Erscheinung mit Sehnsucht entgegenharren.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 382-395.
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