V.

[36] Während Herr Stark über seinen Streifzug gegen das schöne Geschlecht aller Sorgen vergass, ging der Sohn, voll der äussersten Erbitterung, auf seinem Zimmer umher. – So mich zu misshandeln, rief er: seinen einzigen leiblichen Sohn; und das in Gegenwart eines so verächtlichen, eines so nichtswürdigen Menschen!

Eines so unbedeutenden, armen Wichts! hätte er sagen können: der sich mit Bücklingen und Schmeicheleien durch's Leben windet, und der übrigens noch eine ganz gute, ehrliche Haut ist. –

Mich der Verachtung, dem Spott, dem bittersten Hohngelächter Preis zu geben; und das auf eine so hämische, so gesuchte, so recht ausgekünstelte Art![37]

Auf eine freilich ärgerliche, aber dem Alten nun einmal gewöhnliche, und hier von selbst sich darbietende Art, wobei doch, wie sonst immer, der Ehre und des guten Namens geschont ward. –

Mir in dem Augenblicke, wo ich mich hinsetze und für ihn arbeite, so grundlose, so aus der Luft gegriffne, so abscheuliche Vorwürfe zu machen!

Grundlos nun in der That, wenigstens was Spiel und was Nachtschwärmen betraf; aber darum nicht aus der Luft gegriffen: denn unmöglich konnte der Vater von den jetzigen geheimen Gängen des Sohns anders, als nach Ähnlichkeit der ehemaligen, urtheilen; und so waren sie, in seinen Gedanken, noch immer auf die Caffeehäuser und zum Spieltisch gerichtet. – Dass jetzt wirklich die müssigen Augenblicke des Sohns, und mitunter[38] auch halbe Nächte; zu sehr lobenswürdigen, sehr edlen Handlungen verwandt wurden: das war niemanden weniger, als dem Vater, bekannt; und diese lobenswürdigen, edlen Handlungen hatten auch so ein gewisses Aber, dass sie der Sohn für keinen Preis dem Alten hätte wollen bekannt werden lassen. –

Doch zu Bemerkungen, die den Vater hätten entschuldigen oder gar rechtfertigen können, war füritzt der Sohn nicht gestimmt: er sprach vielmehr sich selbst durch die heftigsten, überspanntesten Ausdrücke immer tiefer in den Verdruss hinein; und endigte zuletzt mit dem Entschluss, seine Lage auf einmal und so ganz zu verändern, dass er schlechterdings ausser aller Verbindung mit dem Vater hinausträte, nicht bloss das väterliche Haus, sondern auch die väterliche Stadt verliesse,[39] und an einem ganz fremden Orte mit dem Wenigen, was er vor sich gebracht hatte, ein eigenes Haus errichtete. Die Vernunft selbst, glaubte er, billigte nicht nur, sondern beföhle diesen Entschluss; denn seine vollen dreissig Jahre hatt' er bereits verlebt, und zwar in so herznagendem Kummer, in so tödtenden Ärgernissen und Sorgen, dass die zweiten dreissig zu hoffen Thorheit war: und warum er, eines wunderlichen, grillenhaften, unverbesserlichen Vaters wegen, mehr als die erste, schönste Hälfte seines Lebens aufopfern sollte, das konnt' er nicht einsehn. Sein Herz sprach dagegen zu laut, und im Gesetz fand er's nirgend geschrieben.

In der That war diese Trennung vom Vater kein neuer, sondern ein schon oft gehegter, und selbst bis zum vollständigsten[40] Entwurf durchdachter Einfall, bei welchem das Wie? und Wohin? und durch was für Mittel? schon längst beantwortet, und nur das Wann? noch unentschieden geblieben war. Immer war indess dieser Einfall mit dem Zorne, der ihn erzeugt, und mit dem Grolle, der ihn genährt hatte, wieder verschwunden. Wenn er sich jetzt in dem höchsterbitterten Gemüthe des jungen Mannes fester setzte als je, und im kurzen zum entschiednen, unwiederruflichen Vorsatze ward; so hatte das einen noch ganz andern Grund, als die Launen des Vaters: aber einen Grund, womit Herr Stark sich so äusserst geheim hielt, dass er ihn kaum sich selbst zu gestehen wagte. Von jeher war es sein Lieblingsentwurf gewesen, sich mit einer der reichsten und glänzendsten Partieen der Stadt zu verbinden: jetzt auf einmal[41] spielte die Liebe ihm den muthwilligen, hämischen Streich, dass sie ihn mit allen seinen Neigungen zu einer Person hinriss, die von den Vorzügen, welche sonst Liebe entschuldigen, auch nicht einen befass. Weder war sie von besonderer Schönheit des Gesichts oder des Wuchses, noch stand sie in der ersten Blüthe der Jugend, noch zeichnete sie sich durch grosse, schimmernde Geistestalente aus, die auch ohnehin, an Herrn Stark keinen gar eifrigen Bewunderer mögten gefunden haben. Güter hatte diese Person vollends nur wenig, ausser solchen, die es eigentlich bloss für den ersten Besitzer sind, und die auf Andre als Güter nie so recht übergehen können: ein Paar liebenswürdige Kinder. Kurz, es war eben die Madam Lyk, wegen deren Herr Specht so verhasst war, und über die wir den[42] Vater so strenge haben kunstrichtern hören.

Es ist bekannt, dass man in lebhaften Träumen zuweilen sich selbst fragt: ob man denn wache oder nur träume? und dass die Antwort immer das Gegentheil des wirklichen Zustandes auszusagen pflegt: man wache. Herr Stark hatte mehrmalen, wenn er der Madam Lyk in sehr zärtlichen Empfindungen gegenüber sass, sich ganz ernstlich befragt: ob er noch frei oder verliebt sei? und immer war noch die Antwort gefallen: frei. Gleichwohl war ihm bei dieser Freiheit nicht so ganz wohl zu Muthe; denn auf den zwar undenkbaren, aber doch an sich nicht unmöglichen, und nur zum Scherz, so angenommenen Fall, dass er irre, konnte er alle die bittrern Höhnereien vorausdenken, womit ihn zu Hause der[43] Vater, und ausser dem Hause die vielen Familien verfolgen würden, die mit der beschwerlichen Waare ihrer erwachsenen Töchter auf einen so reichen Erben und zugleich so schönen, blühenden Mann, als Herr Stark, trotz allen vom Vater erlittenen Drangsalen, noch immer war, etwa ein Auge haben mögten. Das Beste wäre auf diesen Fall gewesen, Madam Lyk nicht weiter zu sehen; aber dieses ging, solange man mit ihr an Einem Orte lebte, aus hundert Gründen nicht an: und so ward denn jenes erkannte, oder vielmehr nur ganz undeutlich empfundene Beste dahin näher bestimmt, dass man sich von diesem Orte, je eher je lieber, müsste loszureissen suchen. – Doch, wie gesagt, mit diesem stärkern, eigentlich entscheidenden Bewegungsgrunde kam es zu keinem rechten Bewusstseyn; Herr Stark[44] hätte Leib und Leben darauf verschworen, dass es bloss der wunderliche, unausstehliche Alte sei, der seinen verdienstvollen, einzigen Sohn, welcher so lange Jahre für ihn und die Familie gearbeitet hatte, in die weite Welt jagte. Wie gut sein Herz seyn müsse, erkannt' er hiebei aus dem Kummer, womit er an den üblen Ruf und an die ausserordentliche Verlegenheit dachte, in die der Alte unausbleiblich gerathen müsste; aber einmal wollt' es dieser nicht anders haben, und der Sohn konnte nicht helfen.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 36-45.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Herr Lorenz Stark
Herr Lorenz Stark: Ein Charaktergemälde
Schriften: Band 12. Herr Lorenz Stark
Herr Lorenz Stark (2)