IX.

[74] Wo sind sie denn? rief die Doctorinn, indem sie den Kopf zwischen die Thürflügel steckte. – Ei sieh! Alle hier bei dem Vater? – Guten Morgen! guten Morgen!

Schon so frühe? sagte der Alte. Vor Tische?

Ich hatte einzukaufen, musste vorbei. Husch flog ich herein, um meinem Väterchen einen guten Morgen zu sagen. Denn ich weiss, er sieht mich so gerne. Nicht wahr?

Als ob das noch Fragens brauchte!

Wenn ich nicht so ganz zufällig käme, so hätte mich eins von den Kleinen begleitet; das, was am artigsten oder am fleissigsten gewesen wäre. – Ich küsse Ihnen in Aller Namen die Hand.[75]

Danke. Danke. – Er sah sie bedenklich, aber nicht ungütig an. – Du thust ja heut ausserordentlich freundlich?

Ich thäte nur so? Ich bin's.

Und hast hier noch niemand gesehen? – Deinen Mann nicht?

Den wohl. Am Theetisch.

Deine Mutter noch nicht? – Sie log mit einem Kopfschütteln, um nicht mit einem ausdrücklichen Nein zu lügen. – Dann ist's aber nicht artig, ihr nicht die Hand zu küssen.

Ach verzeihn Sie! sagte die Tochter, und küsste ihr, seitwärts lachend, die Hand.

Deinen Bruder wohl noch vielweniger? –

Gesehn; aber kein Wörtchen mit ihm gesprochen. Er lief mir da mit einem Gesichte vorbei, mit einem Gesichte! – Huy, dacht' ich, was kümmern mich deine[76] Gesichter? Lauf immer! – Aus meinem guten Humor bringt mich kein Mensch. Denn Sie wissen wohl: ich bin ganz Ihre Tochter.

Bist du? sagte der Alte, und lachte mit innigem Wohlbehagen.

Immer munter, immer fröhlich und guter Dinge. Wer's nicht mit mir ist, mag seine Launen für sich behalten. Oder wenn ich mich ja mit ihm abgebe, so geschieht es nur, um ihn auszulachen. Da, der Herr – indem sie mit dem Finger auf den Doctor wies – hat die Erfahrung.

Närrisches Weib! sagte dieser. Hab' ich denn Launen?

O, du hast! hast! du bist Mann. – Aber doch wirklich, mein lieber Vater; nahe geht's mir, dass ich den Bruder immer so unlustig sehe. Ich wollte von ganzem Herzen, er wäre glücklich. – Ich [77] meiner Seits, wenn ich dazu helfen könnte – ich thäte Alles.

Doch? Thätest du Alles? – Jaja! – Er war aufgestanden, und packte die Beutel zusammen.

Wollen Sie denn fort, lieber Vater?

Ich bin fertig. –

Aber Sie könnten doch noch immer ein wenig bleiben.

Wozu? – Er gab ihr einen scharfen, bedeutenden Seitenblick, und drohte ihr mit dem Finger. – Weib! Weib! du hast mit deinem Mann gesprochen, hast mit deiner Mutter gesprochen, hast mit deinem Bruder gesprochen.

Sie meinen: heut? hier im Hause? – Nein wahrlich! Mit Mann und mit Bruder kein Wort.

Also doch mit der Mutter!

Nun? Wäre denn das nicht recht?[78]

Gar sehr. – Aber da kömmst du nun mit eben der Bitte, wie sie; nur anders eingekleidet, versteht sich. Was sie tragisch gesagt hat, das willst du komisch sagen. – – Geh! geh! Mit denen da ward ich fertig; aber mit dir – –

Da getraun Sie Sich nicht?

Aus Ursache. – Denn sieh! wenn du bittest, da bitten gleich alle deine Kinderchen mit; und das mögte mir denn zu viel werden. – Geh!

O, nun – nun kommen Sie mir gewiss nicht von dannen. Oder wenn Sie gehn, lauf ich nach. – Gutes, liebes, bestes Väterchen – –

Schmeichlerinn!

Schmeichlerinn? – Das bin ich nur dann, wenn Sie Sich nicht erbitten lassen.

Nun, was willst du? Nimm Alles! – Er hielt ihr beide Geldbeutel hin.[79]

Nicht doch! Geben sollen Sie nichts. Keinen Heller.

Aber eine Thorheit begehn, für die ich hinterdrein, um sie nicht begangen zu haben, das Zwiefache, Dreifache gäbe.

Thorheit, sagen Sie? Lieber Gott! – Als ob's Thorheit wäre, einmal recht gütig, recht liebreich zu seyn! – Sie sind das gegen mich; sind's so sehr: seyn Sie es um meinetwillen auch gegen den Bruder! – Um meinetwillen! Denn Sie helfen mir da von der unangenehmsten Empfindung, die ich nur kenne. – Er beneidet mich – ich habe das mehrmalen bemerkt; – er hat allerhand kleinen Argwohn, dass ich Ihrer wohlthätigen Zärtlichkeit missbrauche: und fast – wenn man bloss nach dem Scheine geht – hat er Ursache dazu. Denn sagt er nicht[80] eben so gut Vater, als ich, und geniesst doch so viel weniger Liebe?

Er von der Mutter, und du vom Vater. So ist's in der Ordnung.

Nein, ich bitte; bitte, so sehr ich kann: Machen Sie, dass er bleibt! dass er nicht fortgeht!

Kann ich ihn halten?

Mit einem einzigen guten Worte.

Hm! – Das, meinst du, soll der Vater dem Kinde geben!

Gut heisst freundlich, nicht bittend. – Wahrlich, er hat Gefühl, er ist dankbar. Er wartet nur auf die erste Eröffnung des väterlichen Herzens, und Sie haben den besten Sohn von der Welt. – Wenn er nun glauben müsste, dass ich seine Entfernung zu seinem Schaden nutzte? dass ich Ihnen für mich und meine Kleinen abschmeichelte, worauf wir zwar Alle kein[81] Recht haben, was aber doch ihm eben so gut zukommen würde, als mir? – Sie wissen, dass das nicht ist, und dass ich dazu ganz unfähig bin; aber er würd' es doch glauben: er würd' es ganz sicher glauben; und meine Empfindung dabei – – Sie hatte Thränen im Auge.

Diese Beweise von Zartgefühl, Schwesterliebe, und Uneigennützigkeit, deren Wahrheit ausser Verdacht war, freuten den Alten innigst, und er sah sie mit grosser Zärtlichkeit an. Er glaubte, nicht bloss sein Fleisch und sein Blut, sondern auch sein Herz und seine Seele in ihr zu finden.

Liebes, gutes, bestes Väterchen, fuhr sie fort, und nahm Alles zusammen, was sie im Tone Süsses und in der Miene Liebkosendes hatte – alle meine Kinderchen bitten mit. Könnten Sie's abschlagen?[82]

Je nun, sagte der Alte, und fuhr sich mit den Fingern ein paar mal über die grauen, etwas nass gewordenen Augenwimper – dran werd' ich schon müssen. Ich will mit ihm reden.

Gewiss? gewiss?

Ja doch! – So freundlich, wie noch jemal in meinem Leben.

Und bald?

So bald sich's thun lässt. In diesen Tagen.

Ein Mann, ein Wort? Schlagen wir ein?

Da! – so freundlich, wie noch jemal in meinem Leben.

Sie lächeln aber so in Sich. Worüber?

Ach – über mich selbst. – Lass das gut seyn! – Er hatte schon ungefähr die Art, wie er sich nehmen müsste, im Kopfe, und lächelte fort bis zur Thüre.[83]

Armer Mann! sagte er noch, im Vorbeigehen, zum Doctor: Sie sind gewaltig betrogen. Sie forderten von mir eine Frau, und ich habe Ihnen eine Schlange gegeben.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 74-84.
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