1. Szene

[229] DER NARR setzt die Laute ab, spricht halb singend die letzten Verse sinnend nach. Und folgte einer dem stürmenden Ruf und griff in das treibende Rad, zerbrach er mehr, als er schuf ...

MARPALYE nach einer Pause, den Kopf gegen das Fenster gewandt. Warum ist dein Lied immer so, daß es nirgends ein Ende hat, aber den Atem engt und stets weiter will ...?

DER NARR. Es will nicht weiter, Prinzessin.

MARPALYE. Doch ... es drängt und sucht und windet, wie ein gefangenes Tier sich ans Gitter wirft und die Augen weit offen hat, weil es ferne Verwandtes wittert. So ist dein Lied. Wie darfst du sagen: Es will nicht weiter? Lebt dir das eigene Lied so schwach im Blut?

DER NARR. Ein Narr kann nicht singen, wie einer, der will, denn er weiß zu viel und alles hat sich ihm ausgewogen. Ein Narr kann nicht tun, er kann nur horchen und schauen und ist immer froh, weil ihm alles allein gehört. Ein Narr ist unendlich, Prinzessin Marpalye. Wie könnte sein Lied wohl Ziel und Ende haben?

MARPALYE. Siehst du den Berg da draußen?

DER NARR. Belians Reich grenzt seine Kimmung.

MARPALYE. Und was ist dahinter?

DER NARR. Erde.

MARPALYE. Und weiter?

DER NARR. Wasser.

MARPALYE. Und dann?

DER NARR. Wieder Erde und Wasser ... und Wasser und Erde. Es ist kein Ende, Prinzessin.

MARPALYE ungeduldig. Ja. Es ist ein Ende, ein Ziel, ein Licht ... Du siehst es nur nicht und kannst mir davon nicht sagen ... Keiner kann es mir sagen, keiner von allen ... Und bist doch von dort, von draußen weither gekommen, hattest eine heiße Brust und greifende Hände, Wollen, Waffen und Weg. Warum hast gerade du, du allein von allen, die kamen und warben, den Kampf um alles, den einen Wurf nicht gewagt?

DER NARR. Alles kann nur haben, wer nichts besitzt ... Es ist ein langer Weg, Prinzessin Marpalye, eh einer das sagen kann mit stillem[229] Herzen, als ich auszog vor Jahren, wußte ich nicht, worum, denn das eine war wie das andre mir wert. Immer tiefer ging ich mit jedem Schritt durch rauschende Wunder: Blümlein im Feld, weiter Himmel darüber und Licht, eines Vogels Schrei, seines Fluges schwingende Bahn, schimmernde Weite des Landes, der Städte stolze Gewalt, Ehrfurcht schauernder Dom und Straße und Menschen ... Und ein Wunder heißt: Schönheit, ein anderes Macht und: Können ein drittes, ein weiteres: Lust ... und ein Wunder heißt: Weib! Wer möchte das alles sehen und nach einem greifen, eines erraffen, daß er sich alles zerbricht? Wer etwas will, raubt sich das stille Schauen, und das ist mehr, als alles, was einer wollen kann.

MARPALYE. Und dennoch wollen sie alle.

DER NARR. Und werden blind, weil sie nur Süchtige waren, aber nicht Sieger.

MARPALYE. Sieger ...! Das müßte es sein. Doch wo ...?

DER NARR. Wer weiß? Mir zerbrach die Fülle das Wollen. Ich habe, habe ja alles. Lacht mir nicht Belians Reich durch die Fenster? Umglänzt mich sein Gold nicht? Bist du Marpalye, du nicht immer bei mir? Nun, hab' ich nicht alles ...?

MARPALYE. Nichts hast du, Narr.

DER NARR. Nichts, ist alles ... Alles ist nichts ... Als ich vor Belian stand, das blitzende Messer zum Wurf erhoben, sah ich sie plötzlich vor mir, von Hast getrieben nach Gold und Macht und Weib, und blind in ewige Nacht und Kerker sinken, wo einer in Scherben wühlt, der andere ins Leere starrt und einer das Weib in der stummen Sklavin sucht. Da lahmte mein Arm, denn ich wußte mit einem nicht, um was ich kämpfen sollte.

MARPALYE. Um alles.

DER NARR erschrickt. Um alles ...? Mit einem Wurf um alles ...? O Marpalye! Ahnst du das Ungeheure, was du sagst ...? Alles auf eines Messers Spitze setzen? Fehlte der Wurf ... so ...

MARPALYE. Traf er, so warst du frei! Frei ...! Und hattest alles. Das Jenseits der Berge tat sich dir auf und band sich zum Ganzen. Sieh, ich ahne ja nur, ich taste, so blind beinahe, wie die da unten im Turm, die zu besitzen meinen, aber besessen sind. Ich bin wie du und alle ein Spielzeug in Belians Hand, ein Werkzeug vielleicht in den harten Händen des einen, der sich Vater mir nennt. Sinnend. Wie war meine Mutter wohl? Singt ihr Blut mir das Lied, das Lied, das wie deines weiter und weiter will und kein Ende findet? Greift ihre Hand mir ins Herz, wenn ein Traum mich plagt, daß ich gefangen sei, betrogen um alles, ob ich in Glanz und Gold gleich die Sinne entzücke, daß alle von Glück und Wonne seufzen und ihnen die Hände zittern, fordert das Werk[230] ihre Kraft. Fühltest du, Narr, wie solche Siege mich quälen ...! Aber ich weiß nicht den Weg, nicht das Wort ... Und der Kampf ist meinen Händen verwehrt, die nur tasten können wie Zweige im Frühling, oder ans Gitter schlagen in Ohnmacht. Und immer der Ruf: Ich weiß nicht ... Ich weiß nicht.

DER NARR. Niemand weiß, Prinzessin; nur, daß es die einen noch treibt und ängstet, indessen die andern still und heiter geworden sind. Das alles ist zu groß, als daß es einer umfinge, zu reich in glücklicher Vielfalt, als daß einer wählen sollte, zu frei, um Besitz zu sein. Ich steh' an den Ufern immer noch Anfang und Kind, und sehe es strömen, sich teilen und münden in ewiger Heiligkeit. Gier und Wollen verschwang. Ich suche kein Ende. Keiner weiß, Marpalye. Schauen ist alles, Klingen und Horchen. Ich singe dir wieder mein Lied ...


Er hebt die Laute und schlägt einige Akkorde an. Sie wendet sich mit einer halb unwilligen, halb ergebenen Gebärde zum Fenster und sieht nach den Bergen hin.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 229-231.
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