10. Szene

[300] Der Abend wird immer dunkler.


FAUST allein.

Besinn' dich, Faust! Dein Weg ist kühn!

Noch reißt dich Blutes Ungeduld

verwegen nah' dem Abhang hin.

Doch schon dein nächster Schritt ist Schuld!

Was willst du hier? Darfst du den Blick noch senken.

In Augen, denen Reines nur vertraut?

Die deines Wollens Trotz, dein Werk und Denken

in ihren schwersten Träumen nie geschaut!

Entflieh', und lasse Heiliges unberührt,

du, den der Böse selber führt!

Und doch! Noch lebt mir Weiches im Gemüt,

noch starb mir nicht das ferne Tönen,

das mir von all' dem Einfach-Schönen

erzählt, wie ein verscholl'nes Kinderlied.

Es streckt die Arme nach mir aus,

verschmerzt mir sanft das Schwere und das Schlimme

Und ruft: »Mein Kind, ach komm' nach Haus – –!«


Fährt auf.
[300]

Weh! War das meines Vaters Stimme?!

War es der Mutter sterbend Wort,

das sie an leere Wände weinend hauchte?

O, daß ich nicht zu leben brauchte!

Was zuckt dies müde Herz noch fort?!


Verzweifelt.


Du ferner Gott in deinen Höhen!

Verwirf mich ganz, so wie ich dich,

und laß für alle Zeiten mich

auch deinen Himmel nicht mehr sehen!

Begrabe mich in Nacht und Sünden!

Zieh' nimmer mich zu dir hinan!

Laß nie mein Herz die Liebe finden!

Ich trotze dir, so wie ich stets getan!


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 300-301.
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