Dichterrausch

[6] Wenn der Gott die Seinen ruft,

Priester und Propheten,

Schallts wie zwischen Felsenkluft

Dröhnende Drommeten,

Wirbelts wie Novembersturm

Über Wälder nieder,

Fährt wie Blitz in Dach und Turm,

Schüttelt Herz und Glieder.[6]


Wenn der Gott die Seinen ruft,

Klingts wie helle Flöten,

Zieht es wie durch weiche Luft

Sanfte Abendröten,

Taut es mild wie Sphärensang

Von den Sternen nieder,

Rührt zu rhythmisch höhern Gang

Herzen auf und Glieder.


Und so fährt es, Schlacht und Zorn,

Heut in uns wie Wetter,

Daß wir, wie ein Eichenknorrn

Ächzen im Geschmetter,

Fährt zum andern sanft und glatt

In uns wie ein Säuseln,

Daß wir wie ein Rosenblatt

Unterm Wind uns kräuseln.


Drum wenn ihr auf Gassen seht

Wie berauscht uns wanken,

Wenn ein Gottbesessner geht,

Ists ein trunknes Schwanken.

Wenn der Geist in Wirbeln kreist,

Werdewehn der Dichtung,

Gehen unsere Füße meist

Planlos aus der Richtung.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 6-7.
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