Von weissen Rosen

[27] Das Glück teilt seine Rosen aus,

Macht auch wohl mal ein Kränzlein draus,

Aus roten, die gleich Sonnen glühn,

Aus weißen, die gleich Sternen blühn.

Der roten viel am Wege stehn,

Die weißen muß es suchen gehn.


Viel flinke Hände schickt es aus,

Hilfsenglein sucht von Haus zu Haus:

Ein Wunsch, von Herz zu Herz gedacht,

Ein Seufzer in verschwiegener Nacht,

Ein Tränlein, oder was es sei,

Gib acht, flieg nicht daran vorbei!


Mein Garten ist voll weißen Glücks.

Das Englein siehts: Wie lieblich! Pflücks

Für sie, für dies in Blüte steht:

Ein Morgengruß. Ein Nachtgebet.

Ein Habdichlieb! Ein Denkedein! –

Ihm zittern vor Freude die Flügelein.


Und alle Rosen, die es fand,

Nimmt es in seine weiße Hand,

Und wo es nur ein Röslein nahm,

Sogleich ein anderes wiederkam.

So findets immer einen Flor

Für dich erblühter Rosen vor.[27]


Da macht das Glück die Augen groß,

Hat einen überreichen Schoß:

Das langt ja bis zum jüngsten Tag,

Obs Mädel den erleben mag?

Und geht es eh zum Himmel ein,

Bringts lauter Rosen mit hinein!


Und sinnend siehts, närrischer Traum,

Es schon vorweg im Himmelsraum;

Gar lieblich gehts mit seinem Kranz

Und überstrahlt der Engel Glanz.

Im Schürzlein hat es, weiße Pracht,

Ein Häuflein Rosen mitgebracht.


Als unversehns vor Gott es steht,

Ein Schreck ihm durch die Glieder geht.

Die Rosen fallen ihm aus dem Schoß,

Sogleich geschieht ein Wunder groß:

Was eben weiße Blüte war,

Wird eine lichte Bubenschar:


Ein Morgengruß. Ein Nachtgebet.

Ein Wunsch, der sich verschämt verrät.

Ein Tränlein, still in sich hinein.

Ein Habdichlieb. Ein Denkedein.

Die knien, ein lieblicher Kranz, mit stumm

Gefalteten Händchen um sie herum.


Der Herr, halb lächelnd, halb gerührt,

Ein seltsam Herzbewegen spürt.

Und ist kein Laut im Himmel drin,

Sehn alle auf die Holde hin.

Die steht verwirrt, verschämt – da fällt

Das Glück jäh aus der Himmelswelt.


Mein Englein kommt, sein Schelmblick lacht,

Mit einer neuen Rosenfracht.

Kein Märzgestöber fällt so dicht,

Wie jetzt ein Schnee herniederbricht.

Halt! ruft das Glück, weiß überschneit,

Das reicht für Zeit und Ewigkeit!


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 27-28.
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