Aus fernen Tagen

[44] Ganz ohne Anlass kommt Erinnerung,

Wie aus des Himmels weitem, leerem Blau

Verschämt ein rosig Sommerwölkchen taucht:


Still lag der Wald, still lagen Feld und Weg,

Darüber schon sein Sternentuch der Abend

Von einem Ende bis zum andern spannte.

Kein Hauch, kein Laut. Nur aus der Ferne manchmal,

Weit hinter uns, das ganz gedämpfte Lachen

Zurückgebliebener trunkener Genossen.

Zwei, drei der Pärchen vor uns, weit voraus,

Denn eine schmale, schwarze Wetterwand

Am Horizont trieb Ängstliche zur Eile.

Und wir allein so zwischen Wald und Feld

Und schweigsam wie das Schweigen um uns her.


Da murrte leise übers Feld, ganz leise

Der erste Donner und erschrocken schmiegtest

Du näher dich mit sanftem Druck mir an.

Und wie ein Zittern lief's von deinem Arm

In meinen über, und mein Herz schlug schneller.


Und wieder übers Feld das leise Murren,

Ein kurzer Blick, halb schreckhaft, halb verschämt

So voller rührend scheuer Kinderangst

Traf mich aus deinen großen blauen Augen

Und fragte deutlich: Find' ich Schutz bei dir?[45]


»So ängstlich, Fräulein?« neckte ich und drückte

Wie zur Beruhigung die kleine Hand

Und hielt sie fest, und spielte mit den Fingern

Und fühlte durch den Seidenzwirn des Handschuhs

Das warme, junge warme Leben pulsen.


Und wieder übers Feld ein Murren, lauter

Und länger wie zuvor, und wieder drauf

Dein sanftes taubenscheues Anmichschmiegen.


War's die Gewissheit eines leichten Sieges?

Weit breitete die Leidenschaft auf einmal

Die starken Schwingen, und ein Falke stand

Sekunden sie, ganz Auge, ganz Begierde,

Stoßsicher über ihrem scheuen Opfer.


Da brach in jähem flirrendem Zickzacklauf

Der erste Blitz aus seiner dunklen Burg.

Erschrocken sank mir der erhobene Arm,

Der schulternah zum Kuss dich schon umfasste.

Die ersten schweren, großen Tropfen fielen,

Und hinter uns in Eile nahten sich

Die aufgeschreckten trunkenen Genossen

Und mischten ihr Gejohle in das Grollen

Des Donners, der im Walde fern erstarb. –


Ohn' Anlass kam mir die Erinnerung,

Wie aus des Himmels weitem leerem Blau

Verschämt ein rosig Sommerwölkchen taucht.


Quelle:
Gustav Falke: Mynheer der Tod. Hamburg 1900, S. 44-46.
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