Achtes Kapitel
Was Jos mit den Eierschalen dem Krämer und seiner Tochter säte

[118] Zu Ostern hatte nicht nur für Jos, sondern auch für den Krämer ein neues Leben begonnen. Die Eierschalen vor der Haustür konnten keine anderen sein als die, welche er am Abende vorher in Stighansens großmächtigem Wetterhut auf einem Balken der Brücke stehen sah. Was war auch natürlicher als das! Angelika und Zusel hätten sich, wären sie im gleichen Alter gewesen, fast zum Verwechseln ähnlich gesehen. Ja, Zusel hatte nach des Krämers Ansicht entschieden noch den Vorzug gegenüber Angelika, welcher der feurige Blick ihrer Schwester fehlte und jenes grelle Rot der Wangen, ohne welches der Bauer sich ein schönes Gesicht nicht zu denken vermag. Schon die Angelika hatte Hansen die Mutter und seine ganze Verwandtschaft kaum zu erwehren vermocht. Jahrelang trauerte er um sie, aber endlich mußte doch Zusel[118] seine Trösterin werden. Das war dem Krämer ganz klar, seit ihm durch die Entfernung Hansjörgs die Gunst der wunderlichen, stolzen Stigerin zu gewinnen gelang.

Länger, als im allgemeinen gerade Brauch ist, ließ der Krämer des scheuen Burschen erstes Liebeszeichen vor der buntbemalten Haustüre liegen, als ob das den vielen hier nach dem Gottesdienste Vorübergehenden nicht nur etwas zu raten, sondern viel zu verstehen geben sollte. Das seltsame Betragen seiner Tochter war nicht imstande, ihn für die Länge aus seiner Festtagsstimmung herauszubringen. Nachgesagt muß ihm werden, daß er bereute, dem Mädchen durch seine Mitteilung und seinen Beweis von Hansjörgs Treulosigkeit so weh getan zu haben. Es war das wirklich mehr in der Leidenschaftlichkeit des Augenblicks als, wie sonst das meiste, was er tat, nur aus Berechnung geschehen. Er hätte diese Waffe gegen eine Neigung, die er noch immer im Herzen seines Kindes lebendig fürchtete, schon lange brauchen können, wenn er dem lieben Geschöpfe nicht gar so weh zu tun gefürchtet hätte. Nun aber war es geschehen, das ließ sich nicht mehr ändern, und es galt nur an das zu denken, was jetzt zu tun oder zu verhüten sei. Zusel krankte jetzt an dem, was doch einmal, früher oder später, über sie hätte kommen müssen. Eine alte Geschwulst war plötzlich aufgebrochen. Das tat freilich weh und erschreckte, wenn man sich schon daran gewöhnt hatte; doch die Hoffnung, bald geheilt zu werden, war nun berechtigter als je zuvor. Es mußte schmerzen, sich von dem noch unvergessenen Geliebten so verraten und verkauft zu sehen, aber nun erst mußte sie sich gewaltig zu dem festen, ehrlichen Stighans hingezogen fühlen, der so etwas gewiß niemals getan hätte.

Und – das vergaß der Krämer denn doch nicht ganz – ihm hatte es schon auch weh getan, die hinter seinem Rücken an den ihm verhaßten Hansjörg, den elenden Schneider, geschriebenen Briefe zu lesen. Das aber gestand er seinem Kinde jetzt nicht mehr zu. Mit Überlegung, nicht im Ärger wollte er geredet haben, während er sonst sogar seinen berechnetsten[119] Reden und Handlungen etwas Unwillkürliches, einen Schein von Herzlichkeit zu geben suchte. Es schien ihm ein Trost, sich selbst einzureden, daß notwendig alles zum Biegen oder Brechen habe gebracht werden müssen. Erst als er selbst sich das einmal glaubte, war er wieder ruhig und kalt genug zum Rechnen. Nur war ihm, wie sonst gewöhnlich, jeder menschliche Trieb, jedes Bedürfnis und jede Regung des Hasses und der Liebe nichts weiter als eine Naturkraft, die er beliebig einspannen und zu seinen Zwecken ausbeuten zu dürfen meinte. Er tat das um so ruhiger, weil er glaubte und erfahren haben wollte, daß es eigentlich jedermann so mache, nur daß mancher nicht klug genug sei, um viel damit zu gewinnen, wenn nicht sein besonderer Stand, seine Stellung ihm seine Opfer locke. An Beweisen fehlte es ihm nie, wenn seine Tochter das Gegenteil behauptete. Doch pflegte er ihr nicht von dem Pfarrer zu erzählen, der seine Mutter zur Erbin des Vaters gemacht hatte, um dessen Vermögen so seinen Zwecken dienlich zu machen; auch nicht von der geld- und namensstolzen Stigerin, die ihm nie einen freundlichen Blick gegönnt hatte, bis er den Hansjörg für ihren unbeholfenen Jungen zu den Soldaten brachte. Das alles gab ja ihm selbst zu sinnen und konnte ihn noch jetzt so ärgern, daß er meinte, es passe nicht für Mädchen, die nun einmal zum Singen und Lachen und zu einem frohen und erfreulichen Leben geschaffen seien. Wenn daher Zusel ihm vormalte, wie schön das Leben desjenigen dahinfließe, der wie ein Wiesenbächlein immer nur die nächste Gegend in seines Innern Spiegel aufnehme, so sagte er, daß er nur einen Menschen kenne mit dieser Gemütlichkeit, die aber ihn selbst und Weib und Kind höchst unglücklich mache, nämlich den Andreas, seinen Töchtermann. Angelika, die allerdings bei ihren Basen das ängstliche Sorgen und Rechnen habe satt bekommen können, werde vermutlich einmal Abwechslung gewünscht haben. Wenigstens sei ihr, das habe sie oft gestanden, kein Leben schöner vorgekommen als eines, welches immer nur dem gegenwärtigen Augenblick gehörte. Drum sei ihr Hans mit[120] seinem leichten Humor ganz der Rechte gewesen. Sie habe sich wenig drum gekümmert, ob er aus Schwäche oder Kraft, aus Überlegung oder Dummheit entstand, bis sie vom Widerstand der alten Stigerin auf diese Frage gebracht worden sei. Die Zaghaftigkeit des Burschen habe auf Angelika zurückgewirkt und ihr Betragen gegen ihn verändert. »Das«, meinte der Krämer, der jetzt viel öfter als sonst auf die Geschichte kam, »das, nicht etwas das Geschwätz der Weiber, hat die beiden getrennt. Ich kenne Hansen, er kann, wenn's ihm einmal ernstlich drum ist, recht verteufelt eigensinnig sein, selbst der alten Stigerin gegenüber. Hat er doch den Jos, den sie ihr Lebtag niemals leiden konnte, ins Haus gebracht und darin behalten können. Und ich hätte doch gedacht, er sollte es noch eher durchsetzen, wo sich's um ein liebes Mädchen handelte. Und weißt du«, konnte der wohlberechnende Mann dann plötzlich fragen, »wer dem Andreas am ähnlichsten wäre, wenn er in seinen Verhältnissen steckte?«

»Nein, wer?«

»Der Hansjörg.«

Wenn der Krämer auch hundertmal so fragte, so ließ Zusel ihn doch immer selbst antworten, ja sie konnte sich's nie erwehren, daß sie bei Nennung dieses Namens zusammenzuckte. Der Krämer aber schien das gar nicht zu bemerken und fuhr ruhig fort: »Leute, die der Stunde leben, können sich bald selbst für nichts Rechtes mehr halten, dann folgt dem Genusse der Katzenjammer, den man, wie ein Trinker, wieder mit Trinken vertreibt. Wer nicht das Leben für ein Ganzes ansieht, der zerschlägt den schönsten Wandschrank, um ein glattes Brett zu einem Melkstuhl zu bekommen, den er gerade braucht. Just so ist der Andreas. Die Angelika aber hat so viel unter den berechnenden Basen und besonders unter Hansens Unentschlossenheit gelitten, daß ihr der Leichtsinn, die Raschheit ihres jetzigen Mannes eine Weile recht wohl gefiel. Jetzt aber ist sie unglücklich und verachtet ihn. Sie geht wieder zu weit, und gerade der trotzige Stolz, den sie[121] ihn sehen läßt, nimmt ihm noch den Glauben an sich selbst, treibt ihn aus dem Haus und macht ihn schlecht.«

»Was wäre denn da noch zu machen?« fragte Zusel traurig. »Sicher nichts, als eine gute Lehre für sich selbst daraus zu nehmen. Über den Andreas hat niemand Gewalt, nicht einmal er selbst. Da schätze ich mir einen Hans, der vor- und nachgibt, auch dem Hausfrieden ein Opfer bringt, wenn es sein muß. Könntest du ihm im Ernste etwas Böses nachreden?« Zusel antwortete nicht, denn sie wußte nur zu gut, wie leicht hier auch der vorsichtigste Widerspruch den sonst so gelassenen Krämer leidenschaftlich machte. Dieser wurde immer dringlicher, denn er fürchtete, daß Hans bald nach der Heldentat am Osterfest einen zweiten Anlauf nehmen werde, und dann sollte der Erfolg ihn nicht wieder abschrecken. Der Krämer sah wohl, wie ungern Zusel noch von Hansjörg reden hörte, drum stellte er ihn immer wieder dem Stighans gegenüber. Wenn sie immer nur an diese beiden dachte, so glaubte er seiner Sache sicher zu sein. Hatte er es doch schon so weit, daß das Mädchen, wenn auch wider Willen, zuweilen den Wunsch verriet, den wunderlichen Stighans etwas genauer kennen zu lernen. Schon als der Geliebte ihrer jetzt so unglücklichen Schwester war er ihr immer bedeutender, je Schlimmeres man von dem Andreas zu erzählen wußte.

Nun verbreitete sich durch des Gerichtsboten Weib die Nachricht, der Stiger habe Hansjörgen Geld geschickt und es ihm möglich gemacht, schon in wenigen Wochen auf Urlaub heimzukommen. Den Krämer ärgerte das um so mehr, weil er, wie er nun einmal war, es nicht Hansens Gewissensunruhe wegen der Verschacherung des armen Burschen, sondern einzig und allein Dorotheens Einflusse zuschrieb. Zum Glück und Trost für ihn hatte die Nachricht auch seine Tochter ganz anders zu stimmen vermocht. Das Mädchen hatte ein Gefühl, als ob es, die leichtesten Sommerkleider tragend, in der größten Winterkälte stehe und sich nicht zu regen vermöge, wenn es sich – ohne Liebhaber dem Treulosen gegenüber dachte. Ja, jetzt auf einmal wünschte sich Zusel einen Liebhaber,[122] wenigstens dem Namen nach. Jetzt wollte sie nicht mehr traurig, nicht mehr ruhig sein. Jammerschade, daß es im Sommer, zur Zeit der strengen Feldarbeiten, gar keine Hochzeitsfeierlichkeiten gab. Sie wäre gewiß dabei gewesen und hätte mit dem Nächstbesten gelacht und getanzt bis zuletzt. Oft und oft klagte sie, daß es gar so still im Dorfe zugehe und daß die schöne Jahreszeit nichts als Arbeit für die jungen Leute bringe. Der Krämer lächelte. Beide waren jetzt wieder einig, und im schönsten Frieden redeten sie wohl täglich vom Stighof und seinen Bewohnern. Der Krämer hatte immer wieder etwas ausgekundschaftet, was, wie unbedeutend es auch sein mochte, dennoch ihm und zuweilen auch der Zusel wichtig war. Aus einer Menge solcher Kleinigkeiten brachte der Krämer endlich heraus, daß zwischen Knecht und Magd sich eine ernstliche Liebschaft anzuspinnen beginne. Das nun wäre ihm ganz das Rechte gewesen, denn er sorgte schon immer, daß Dorothee den Hans sowohl als die alte Stigerin am besten kennen und am Ende ihm gar noch einen Strich durch seine wichtigste Rechnung machen möchte. Diese Sorge quälte ihn besonders, seit er, obwohl er die Gunst der wunderlichen Alten gewann, doch immer umsonst die Magd aus dem Hause zu bringen versucht hatte. Dorotheens Liebelei mit dem Sohne der Schnepfauerin aber war der strengen Frau gewiß recht von Herzen zuwider und Hansen auch, wenn allenfalls das Mädchen ihm nicht ganz gleichgültig sein sollte.

Zusel aber wollte an diese Liebschaft nie glauben. Sie kenne nun die Leute aus dieser Verwandtschaft, sagte sie. Da sei jedes Wort, jeder Blick berechnet, und aus Berechnung mache man mit dem Jösle nicht viel Wesens. Hansjörg – jetzt redete sie zum erstenmal selbst und unaufgefordert von ihm –, Hansjörg habe oft den Wunsch ausgesprochen: Wenn sie doch arm wäre! – da er ihr dann zeigen wollte, wie wenig er sich ums Geld kümmere und was er für sie zu tun imstande sei. So habe der Falsche gesagt, der sie dann um einige Taler so schmählich verraten.[123]

»Zum Glück«, fiel der Krämer ein, »hat er dich nur in die Hände deines Vaters gegeben.«

Das Mädchen ging seufzend in die Küche.

Dort war es jetzt überhaupt viel häufiger als sonst und überraschte den Krämer sogar einmal mit der Behauptung, daß man eigentlich gar keine Magd im Hause brauchen würde. Sie hatte mehrmals gesehen, wie gut Dorotheen die Arbeit anstehe in der sauberen Schürze und mit zurückgerollten Ärmeln. Das trieb sie zuerst in die Küche. Dann aber hatte sie, die früher bei ihrer Näharbeit den Tag kaum herumbrachte, gar bald auch ihre Freude und Kurzweil an der Arbeit selbst, so daß sie ernstlich die leichtere Hausarbeit allein zu verrichten wünschte.

Der Krämer, welcher meinte, das Mädchen wolle sich so nun als Bäuerin ein Ansehen geben, damit auch nicht ganz fehlschoß, gab lächelnd und mit der einzigen Widerrede nach, daß man die gute Magd nicht gleich aus dem Hause jagen könne, sondern ihr erst künden und sechs Wochen Zeit lassen müsse, wie es früher wörtlich ausgedingt worden sei.

Das tat er denn auch wirklich, tröstete aber die fast zu Tode erschrockene alte Jungfer damit, daß er lächelnd sagte, gar so ängstlich brauche sie sich nicht um einen anderen Dienst umzusehen; den Winter über beziehe sie den Lohn fort, das Essen verdiene sie daheim auch, und wenn der nächste Frühling komme, vielleicht noch früher, könne man wieder miteinander reden.

Die Magd sah große Veränderungen im Hause voraus. Sie machte eine wichtige Miene, während sie ein kleines Trinkgeld einsteckte, und versprach, wie ein Grab zu schweigen, ohne daß der Krämer das gerade von ihr verlangt oder gefordert hatte.

Man sieht, der Krämer konnte der Zusel auch Opfer bringen und dabei noch sorgen, daß Reue wegen einer augenblicklichen Laune ihr nicht lange weh tun mußte. Die Zusel aber war noch nicht recht zufrieden, denn sie hätte am liebsten gleich jetzt alles allein übernehmen mögen. Sie konnte es[124] kaum erwarten, bis endlich die zweite Heuernte begann. Sie mußte ins Freie, mußte sich regen und etwas tun. Nicht der um sie besorgte Vater, aber das Rauschen der Sensen hart vor ihrem Hause weckte sie schon früh am Morgen. Dann eilte sie hinaus, begann selbst zu mähen und kam sich viel größer vor, wenn sie die von ihr gemähte Strecke übersah. Es war erst August, aber ihr kamen diese Tage kürzer vor als gewöhnlich die im Winter. Bald nahm sie auch an den Gesprächen der angestellten Tagwerker lebhafteren Anteil. Selbst ein Gespräch vom Arbeiten kam ihr nicht mehr langweilig vor, und sie plauderte selbst so lebhaft mit, als ob sie dabei ganz Neues beobachtet und gedacht hätte.

Am muntersten aber und gerade ausgelassen war sie am Freitag vor der Kirchweih.

Einem rosenroten Morgen folgte ein ungewöhnlich heißer Vormittag. Die Berge, die man jeden Augenblick noch näher rücken zu sehen meinte, schienen alle zu lächeln, nur die zackigen Felsen schauten etwas düster drein. Und immer größer wurden die dunkeln, geisterhaft ins Tal herabschauenden Köpfe. Auf dem grünlich-roten Flor, der sich von einer Spitze zur anderen zu ziehen begann, zogen feuerrote Rosse kohlschwarze Wasserfäßchen ob das Tal herein. Hart nebeneinander beigten sie sich auf, und ein heftiger Sturmwind band sie plötzlich haufenweise zusammen und hing sie an hochaufragende Felsenköpfe fest. Das Tosen der Ach war mehr ein Pfeifen oder Schreien zu nennen. Das Mittagsläuten, vom eiskalten Wind auseinandergeworfen, war einem Sturmsignale viel ähnlicher als einer Mahnung zu Ruhe und Andacht. Und wer auch hätte jetzt Zeit gehabt zum Ruhen und Beten? Der Pfarrer und sein Amtsgehilfe waren wohl die einzigen im Dorfe, welche sich vor dem drohenden Gewitter heim unters schützende Dach flüchten konnten. Männer, Weiber und Kinder, Krankenpfleger und Handwerker waren wie rasend dran, das am Vormittag so herrlich dürr und fest gewordene Heu noch unterzubringen, bevor der Regen es verdarb, daß nicht nur die Arbeit einer halben Woche, sondern[125] auch die beste Kraft des lieblich duftenden Futters verloren ginge. Hier rasselten leere, dort knarrten und ächzten schwerbeladene Wagen, die, wie vom Sturme getrieben, dem geräumigen Heustadel zuschwankten. Das war ein Rennen und Jagen überall, ein Durcheinander von Befehlen und Erwiderungen, die nur noch der Eingeweihte deutlich fand, wie die Rufe des Seemanns beim Sturm. Kein Mensch ging noch seinen gewohnten Schritt. Selbst Stighans war aus der Fassung gekommen. Es jagte – oder wie man hier sagt, wenn beim Heuen ein Gewitter droht – jeuchte auch ihn so sehr als einen. Im Sprung brachte er ein Fuder heim, welches der Knecht denn doch gar zu breit und zu hoch geladen hatte. Noch hart vor dem engen Stadeltor, welches wohl für ein nicht so bedeutendes Anwesen gebaut war, knackte ein Rad, und der Wagen leerte seine allzu große Last gerade da ab, wo beim Regen, der schon näher und näher kam, auch die lange Dachrinne auszuleeren pflegte. Die, welche Hansen das Futter heimbringen halfen, wollen ihn sogar leise fluchen gehört haben, während er fortlief, um einen schon zum dürren Heu gezogenen Wagen zum Umladen einer Last zu holen, die er schon gerettet glaubte und die nun, hart vor dem Stadeltore, nicht nur schwer von der Dachtraufe bedroht, sondern auch seiner ferneren Tätigkeit ein Hindernis war, welches durchaus zuerst auf die Seite geräumt werden mußte.

Andere erlebten ähnliches. Da zog einer zwei aneinander gebundene Wagen auf einmal zu seinem Heu und hatte dann die Heugabel vergessen, ohne welche durchaus nichts zu machen war; dort nahm einer aus Versehen den Wagen seines Nachbarn weg – die Aufregung, der Lärm wuchs mit jedem neuen Donner, der minutenlang durch die Berge rollte. Mancher Zuschauer hätte da seinen Spaß gehabt, aber es gab eigentlich keine Zuschauer mehr, seit der Pfarrer sich in seine hinter der Kirche zwischen Bergen versteckte Wohnung geflüchtet hatte. Selbst des Krämers Zusel tat heute mit, und zwar so streng als eine. Selbst als die ersten großen Tropfen auf den neuen Strohhut fielen, der zu ihrem glühenden Gesichtchen[126] so prächtig stand, ließ sie sich nicht aus dem Felde treiben, wo sie bei ihrer Verteidigungs- und Rettungsarbeit bei dem rauschend dürren Heu weit mehr Freude als sonst beim Zusehen hatte. Mit einem flinken Heuer aus einer anderen Gemeinde wollte sie ausharren bis zuletzt. Und wirklich fuhren die beiden erst mit einem kaum halb geladenen Wagen heim, als es um sie dunkler und dunkler zu werden begann und der Nebel auf sie herabhing, daß sie immer hart an einer Schneewand zu stehen schienen, über die ein mächtiger Wasserfall zischend und brausend herunterstürzte. Tropfnaß kam Zusel heim, die schwarze, glänzende Juppe und der neue Strohhut waren verdorben; dennoch hatte man das Mädchen lange nie so froh und aufgelegt zu jeder Neckerei gesehen als jetzt. Während einige vom Barometer redeten und bedauerten, daß man ihm mehr als der unheilverkündenden Morgenröte geglaubt habe, hatte Zusel, die jetzt wieder trocken gekleidet, frischer und schöner war als je, nur von ihren und des Heuers Heldentaten zu erzählen. »Das war herrlich, und ich hätte noch gern eine Weile fortmachen mögen«, sagte sie mit der Fröhlichkeit eines vom munteren Spiele heimgekommenen Kindes. »Schade nur, daß es gar nicht mehr ging. Aber wir beide, ich und der Heuer, haben uns tapfer gewehrt, drum müssen wir schon noch übermorgen mitsammen Kirchweih halten und auch auf dem Tanzplatze die letzten sein. Nicht wahr, Heuer?«

Daß der Heuer ja sagte, versteht sich wohl von selbst. Es war der größte Augenblick, den der Bursche erlebte, wie eine gute Meinung er auch schon früher von sich selbst gehabt haben mochte. Eine ganz neue Welt tat sich vor ihm auf, und bald stand er mitten unter tausend schönen Hoffnungen, so daß ihn selbst der Krämer nicht in die Wirklichkeit zurückzurufen vermochte, wie alltäglich kühl er auch sagte: »Nun, nun! Man muß noch nicht glauben, daß alles schon angebunden sei, was einem einmal etliche Schritte nachläuft. Mädchenlaunen sind übernächtig, und wer ihnen traut, dem kann es gehen wie dem, der über ein schnell entstandenes Eis fährt. Doch ich[127] gönne der Zusel den Spaß, und der Heuer ist wohl klug genug, um selbst ganz richtig über die Sache zu denken.«

Mit diesen Worten, nur so im Vorbeigehen flüchtig hingeworfen, glaubte sich der Krämer schon im voraus sicherstellen zu müssen gegen allerlei, was im stolz aufgerichteten Köpfchen des Heuers vielleicht sich zu regen begann. Er konnte sich den raschen Entschluß des wunderlichen Mädchens nur erklären, wenn er als gewiß annahm, was er sich und ihm wünschte. Wenn Zusel jetzt einmal neben Hansen vorbeiging, so redete sie ihn immer ganz besonders freundlich an; ja in der Woche vor der Kirchweih blieb sie wohl auch auf der Gasse neben ihm stehen, als ob sie erwarte, nun müsse er vom nächsten Sonntag anfangen und sie wenigstens um ein Tänzchen bitten. Der Krämer nahm das um so gewisser an, da sie nie die beste Laune von ihm zu holen schien. Tanzen aber wollte Zusel durchaus, das hatte sie schon lange gesagt, und nun sollte wohl auch noch Hans ein wenig geärgert werden. Dazu nun war der Heuer ganz der Rechte. Er stand gar zu niedrig, als daß dieser Spaß mit dem etwas eiteln Menschen für mehr als eine Spielerei gehalten werden durfte. Als daher der Krämer nach seinem Zuspruch Zusels spöttisches Lächeln zu bemerken glaubte, war ihm wieder so wohl wie einem armen Sünder mit dem Beichtschein in der Tasche. Seine Freundlichkeit gegen den Heuer machte, daß diesem der Kamm noch mehr schwoll und er am Samstag mit den vom Krämer angestellten Heuerinnen kaum noch reden mochte. Wer den alten Mann seinen Laden für die Kirchweih herrichten sah, so bedächtig und sicher, der ahnte nicht, wieviel anderes dieser starre Kopf unterdessen rechnete. Aber es mußte gut gehen, die Zahlen schienen zu stimmen, denn über sein hartes Gesicht flog zuweilen etwas wie ein Lächeln. Ja, ja, er hatte schon viel gewonnen. Das Mädchen war wenigstens aus seiner Starrheit, aus dem unverfolgbaren Difteln und Grübeln heraus. Allerdings mußte Zusels toller Streich viel zu reden geben, doch damit war vielleicht mehr zu gewinnen, als im schlimmsten Falle verloren ging. Daß der träge Hans[128] sich am Karsamstage selbst wegen Eierschalen umgesehen hatte, war eine Tat gewesen, wie billiger weise wenigstens in diesem Jahr keine zweite mehr von ihm verlangt werden konnte, wenn es nicht gelang, ihn mit Gewalt zu treiben. Das aber sollte nun geschehen und geschah auch ziemlich sicher durch die Laune seines Kindes. Ja, es stimmte alles so gut, daß der Krämer seine Zusel für ein verteufelt kluges Mädchen zu halten begann. Die Eifersucht oder nichts mehr mußte wirken. Das war ganz klar, nun erfuhr man jedenfalls, woran man mit dem närrischen Burschen sei. Hans war gewohnt, sich alles auf halbem Wege entgegenkommen zu sehen; nun aber sollte er sich wenigstens so rühren und regen lernen um das hübscheste und eines der reicheren Mädchen wie gestern um sein vom Gewitter bedrohtes Heu. Immer siegesgewisser begann der Mann sich Hansens langes Gesicht vorzustellen, wenn der Angelikas Schwester mit dem fremden Heuer auftreten sehe. Stolz, Neid, Mitleid, alles mußte sich regen und den Burschen neben seiner armen, bleichen Magd keine frohe Minute mehr erleben lassen. Und wenn's nun gleich zünden sollte, wenn es ihn mit Gewalt zu Zusel trieb, dann war ja der Heuer eben der rechte Mann, den man jeden Augenblick wieder ganz ruhig fallen lassen durfte, ohne daß dabei etwas zu fürchten war.

Und wenn Hans wirklich und wider alles Erwarten sich gar nichts abtrotzen ließ, wenn er noch länger Dorotheens Narr sein wollte und die alte Stigerin das litt, nun, dann war das Mädchen darum noch nicht unglücklich. War er doch mit dem Hansjörg endlich so weit, daß das Denken an ihn der Zusel lästig zu werden begann und sie eine Zerstreuung suchte. Ja, Hansjörg war nun doch glücklich weg. Das war dem Krämer jetzt genug, und freudig hoffte er, daß der morgige Tag etwas Gutes bringen werde, während Zusel sich von der Ungeduld eines tanzlustigen Mädchens nicht mehr das mindeste anmerken ließ.

Quelle:
Franz Michael Felder: Reich und Arm, in: Sämtliche Werke. Band 3, Bregenz 1973, S. 118-129.
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