Achtes Kapitel.

[112] Ein kindisches Werk, aus welchem man gleichwohl einen Hang zur Gutmütigkeit des Tom Jones ersehen wird.


Der Leser wird sich erinnern, daß Herr Alwerth dem Tom Jones als eine Art von Schmerzensgeld für die Strafe, die er nach seiner Meinung unschuldigerweise erlitten hatte, ein kleines Pferd schenkte.

Dies Pferd behielt Tom ein halbes Jahr, und dann ritt er es zu einem Markte in der Nachbarschaft und verkaufte es.

Als er nach seiner Heimkunft von Schwöger quästioniert wurde, was er mit dem Gelde angefangen habe, das er aus dem Verkaufe des Pferdes gelöst, erklärte er ganz ungescheut: »das wolle er ihm nicht sagen!«

»Oho!« sagte Schwöger, »das will man mir nicht sagen, so soll man's meinem Haselstocke schon bekennen;« denn dies war der Mittler, an den er sich in zweifelhaften Fällen, die Wahrheit herauszubringen, allemal zu wenden pflegte.

Tom war schon auf den Rücken eines Bedienten gestreckt und alles in Bereitschaft zur Exekution, als Herr Alwerth ins Zimmer trat, dem armen Sünder eine Gnadenfrist erteilte und ihn mit sich in ein anderes Zimmer nahm, woselbst er, als er mit Tom unter vier Augen war, ihm dieselbe Frage vorlegte, welche Schwöger an ihn vorher hatte ergehen lassen.

Tom antwortete: Sein Gehorsam erlaube nicht, ihm irgend etwas zu verhehlen; dem tyrannischen Orbil würde er aber niemals anders antworten als mit einer Karbatsche, und er hoffte bald im stande zu sein, ihm damit alle seine Grausamkeiten einzutränken.

Herr Alwerth gab dem Jüngling einen sehr scharfen Verweis wegen seiner unanständigen und unehrerbietigen Ausdrücke gegen seinen Lehrer, noch mehr aber wegen seines erklärten Vorsatzes, sich zu rächen. Er bedrohte ihn mit dem gänzlichen Verluste seiner Gunst, wofern er jemals wieder ein ähnliches Wort aus seinem Munde hörte; denn, sagte er: der Freund und die Stütze eines gottlosen Taugenichts wolle er niemals sein. Durch diese und dergleichen Erklärungen drang er dem Tom einige Zeichen der Reue ab, welche dem Burschen aber kein sonderlicher Ernst war, denn er sann wirklich auf eine Wiedervergeltung der schmerzhaften Gunstbezeigungen, welche er von den Händen des Pädagogen genossen hatte. Gleichwohl ward er von Herrn Alwerth dahin gebracht, wegen seiner Rachgier gegen Schwöger sich reuig zu bezeigen, und[113] darauf erlaubte ihm der gute Mann, nachdem er ihm noch einige heilsame Vermahnungen gegeben hatte, weiter zu reden, welches er that, wie folgt.

»In Wahrheit, mein teuerster Herr Vater! ich liebe und verehre Sie mehr als die ganze Welt. Ich weiß, wie unendlich viel ich Ihnen zu verdanken habe, und ich würde mich selbst verabscheuen, wenn ich mein Herz der Undankbarkeit fähig hielte. Könnte das kleine Pferd sprechen, das Sie mir geschenkt haben, gewiß es würde Ihnen erzählen, wie lieb und teuer mir Ihr Geschenk war; denn ich hatte größere Freude daran, es zu füttern, als darauf zu reiten. Ja, gewiß, liebster Herr Vater, es ging mir durchs Herz, daß ich es missen sollte, ich hätt's aus keiner andern Ursache auf der Welt verkauft, als aus der, welche mich dazu nötigte. Sie selbst, liebster Herr Vater, hätten an meiner Stelle ebendasselbe gethan, denn keiner hat noch so innig die Not andrer Menschen gefühlt, als Sie. Was würden Sie fühlen, teuerster Vater, wenn Sie bedächten, daß Sie es selbst verursacht hätten? – Gewiß, gewiß, kein Elend könnte größer sein, als das Ihrige.« – »Als wessen, Kind,« sagte Alwerth, »was willst du damit sagen?« – »O liebster Vater,« antwortete Tom, »Ihr armer Wildmeister ist mit seiner Frau und vielen Kindern, seitdem Sie ihn abgedankt haben, fast vor Mangel und Hunger umgekommen. Ich konnt's nicht aushalten, diese armen Leute so nackt und verhungert zu sehen, und dabei zu wissen, daß ich die Ursache aller ihrer Leiden gewesen bin. – Ich konnt's nicht aushalten, liebster Vater, bei meiner Seele, ich konnt's nicht!« (Hier rieselten ihm die Zähren über die Wangen und er fuhr weiter fort) »Es war, um sie vom völligen Untergange zu retten, daß ich mein teures Geschenk hingab, ungeachtet ich es so unendlich lieb hielt. – Für sie habe ich das Pferd verkauft, und sie haben alles Geld bis auf den letzten Heller bekommen.«

Hier stund Herr Alwerth einige Augenblicke im stillen Nachdenken, und ehe und bevor er sprach, stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Endlich ließ er Tom mit einem sanften Verweise von sich, wobei er ihm den Rat gab, wenn es künftig darauf ankäme, jemand aus der Not zu helfen, so solle er sich lieber an ihn wenden, als zu außerordentlichen Mitteln greifen, um es für sich selbst allein zu thun.

Diese Sache war nachher die Materie zu manchen Untersuchungen zwischen Schwöger und Quadrat. Schwöger hielt dafür, es wäre eine offenbare Auflehnung gegen Herrn Alwerth, dessen Absicht gewesen, den Kerl wegen seines Ungehorsams zu bestrafen. Er sagte: in einigen Fällen käme ihm das, was die Welt Barmherzigkeit nenne, vor, als ein Eingriff in den Willen des Allmächtigen,[114] welcher gewisse Personen ausgezeichnet hätte, unglücklich und elend zu sein, und hier wäre auf eben die Art, gegen den Willen des Herrn Alwerth gehandelt worden, und er beschloß, wie gewöhnlich, mit einer herzlichen Empfehlung seines Schulszepters.

Quadrat focht hart dagegen an; vielleicht aus Parteilichkeit gegen Schwöger, oder auch aus Gefälligkeit gegen Herrn Alwerth, welcher das, was Tom gethan hatte, gar sehr zu billigen schien. Was er aber anführte, würde hier, da ich überzeugt bin, daß die meisten meiner Leser viel geschicktere Advokaten für den armen Jones sein müssen, unschicklich und vorlaut sein, zu erzählen. In der That war es nicht schwer, eine Handlung unter die Regel des Rechts zu bringen, die es unmöglich gewesen sein würde aus der Regel des Unrechts herzuleiten.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 112-115.
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