Zwölftes Kapitel.

[33] Abenteuer einer Gesellschaft von Offizieren.


Der Leutnant, dessen wir im vorigen Kapitel erwähnt haben und welcher diesen kleinen Haufen kommandierte, war beinahe sechzig Jahre alt. Er war sehr jung in Kriegsdienste getreten und hatte schon als Fähnrich der Schlacht bei Tannieres beigewohnt. Hier empfing er zwei Blessuren und hatte sich übrigens so wohl verhalten, daß ihn der Duke of Marlborough gleich nach der Bataille zum Leutnant avancierte.

In dieser Stelle war er seitdem beständig stehn geblieben, das heißt, seit beinahe vierzig Jahren, während welcher Zeit er eine große Anzahl hatte über sich wegspringen sehen müssen, und nun die[33] Demütigung erlebte, unter dem Kommando von Knaben zu stehen, deren Väter noch die Kinderschuhe trugen, als er schon die ersten Dienste that.

Diese Zurücksetzung im Avancement lag indessen nicht bloß daran, daß er keine Freunde unter den Großen im Kriegs-Departement hatte; er hatte das Unglück, bei seinem Obersten nicht wohl angeschrieben zu stehen, welcher seit langen Jahren schon dies Regiment hatte. Auch hatte er den Haß, welchen dieser Mann gegen ihn trug, durch kein Versäumnis oder Versehn als Offizier, auch nicht einmal durch einen Fehler als Mensch sich zugezogen, sondern hatte solchen bloß der Unbesonnenheit seiner Frau zu verdanken, welche ein schönes Frauenzimmer war, und ob sie gleich ihren Mann außerordentlich liebte, dennoch sein Avancement nicht auf Kosten gewisser Gunstbezeugungen erkaufen wollte, welche der Oberste von ihr verlangte.

Der arme Leutnant war hierin um so sonderbarer unglücklich, weil er zwar die Wirkung der Feindseligkeit seines Obersten fühlte, aber nicht einmal wußte oder argwöhnte, daß er dergleichen gegen ihn hege; denn er konnte keine Feindseligkeit vermuten, zu welcher er, nach seinem besten Bewußtsein, keine Ursach gegeben hatte. Und seine Frau, welche fürchtete, ihres Mannes zarte Begriffe von Ehre möchten ihn in schlimme Händel verwickeln, begnügte sich damit, ihre Tugend unbefleckt zu erhalten, ohne des Ruhms ihrer Eroberung zu genießen.

Dieser unglückliche Offizier (denn ich glaube ihn so nennen zu dürfen) hatte außer seinen militärischen Verdiensten noch manche andre gute Eigenschaft; denn er war ein frommer, redlicher, menschenfreundlicher Mann, und hatte sich in seinem Kommando so wohl betragen, daß er nicht nur von der Mannschaft der Kompanie, bei der er stand, sondern vom ganzen Regiment aufs äußerste geschätzt und geliebt wurde.

Die andern Offiziere, welche mit ihm marschierten, waren ein französischer Leutnant, der lange genug aus Frankreich gewesen war, um seine Muttersprache zu vergessen, aber noch nicht lange genug, um dafür eine andere zu lernen; so, daß er eigentlich gar keine Sprache redete und sich über die gemeinsten Vorfälle des Lebens kaum verständlich machen konnte. Es waren auch noch zwei Fähnriche da, aber beide sehr junge Männerchen. Der eine davon hatte bei einem Prokurator sein Handwerk lernen sollen, und der andere war der Sohn einer Frau eines Tafeldeckers beim Kriegsminister. Sobald die Mahlzeit vorbei war, erzählte Jones der Gesellschaft, wie lustig und spaßhaft die Soldaten auf ihrem Marsche gewesen: »und bei alledem,« sagte er, »so lustig und laut sie schwätzen, will[34] ich doch wohl darauf schwören, daß sie sich vielmehr gleich den Griechen, als gleich den Trojanern, betragen werden, wenn sie nur erst an den Feind kommen.« – »Griechen und Trojanern,« sagte einer von den beiden Fähnrichen, »was für Kerls sind das? Ich habe von allen Truppen in Europa gehört, aber von dergleichen noch kein Wort.«

»Nun stellen Sie sich doch nicht unwissender, als Sie sind, lieber Fähnrich,« sagte der würdige Leutnant. »Ich sollte meinen, Sie hätten von den Griechen und Trojanern dennoch etwas gehört, ob Sie gleich vielleicht niemals die Iliade des Homers in irgend einer Sprache gelesen haben mögen, welcher Dichter, wie ich mich jetzt, da dieser Herr darauf anspielt, wieder erinnere, den Marsch der Trojaner mit dem Geschnatter einer Herde Gänse vergleicht, und dagegen den stillen Marsch der Griechen vorzüglich lobt. Und auf meine Ehre die Bemerkung unsers Herrn Kadetts ist sehr richtig und treffend.«

»Die Deuvel hol'! icke sick erinnre das reckte gute!« sagte der französische Leutnant. »Mir icke das hab' gelesn in die Schul, in die Madame Daciers Uebersessenung. Von die Griech, und die Trojans mache die Krieg vor ein Dame; Oui, Oui! Ick haben gelesen all das.«

– »Zum Satan, mit all'n den Homo's!« sagte der Fähnrich Northerton! »Noch hab' ich die Striemen davon da, wo ich sitze. Da ist Tom, von unserm Regimente, der hat immer ein'n Homo in der Tasche; – verdammt will ich sein, kann ich nur dazu kommen, wenn ich ihn nicht ins Feuer werfe, und denn ist noch da der Corderius, ein ebenso verfluchtes Hurkind, das mir manche Knippchen gekostet hat.«

– »Sie sind also auf Schulen gegangen, Herr Fähnrich Northerton?« sagte der Leutnant.

»Vor allen Satan, was sollt' ich nicht!« antwortete er. »Mag mein Vater dafür braten, daß er mich hinschickte. Der alte Knasterbart wollte einen Pfaffen aus mir machen; aber, hol' mich der Teufel, dacht' ich bei mir selbst, ich will dem alten Paruckenstocke eine Nase drehen, die soll sich gewaschen haben! Nicht ein'n Pfifferling von alle dem dummen Zeuge soll'n sie mir in meinen Kopf hineinbringen! – da ist Jerom Oliver, von unserm Regiment, der stand schon auf'm Sprunge, so ein Tintenkleckser zu werden; und jammer und schade wär' das gewesen; denn, des Teufels bin ich! wenn's nicht einer der scharmantesten Kerls von der Welt ist. Aber, er hängte seinem alten Hosenschröter noch eine ärgere Nase an. Denn der Jeroms hat für alles Geld, was er dem alten Nußbeißer kostet, nicht einmal schreiben und lesen gelernt.«[35]

»Sie geben Ihrem Freunde ein sehr rühmliches Zeugnis, und ein sehr verdientes, wie ich nicht leugnen möchte,« sagte der Leutnant. »Aber, lieber Northerton, lassen Sie, ich bitte, lassen Sie das gottlose und ebenso thörichte Fluchen und Schwören beiseite; denn Sie irren sich, das versichre ich Sie heilig, wenn Sie glauben, es lasse witzig und artig. Ebenso wünschte ich, Sie folgten meinem Rate und ließen die Geistlichen ungeschoren. Spottnamen und spöttisches Witzeln über eine ganze Gesellschaft von Männern läßt sich niemals rechtfertigen; ganz vornehmlich aber nicht, wenn es über ein so heiliges oder nur ehrwürdiges Amt hergeht; denn, über die Männer im Amte spotten, ist ebensoviel, als über die Amtsverrichtung selbst spotten; und ich stelle es Ihrem Bedenken anheim, wie unanständig eine Aufführung für Männer sein muß, welche auf dem Marsche begriffen sind, für die protestantische Religion zu fechten.«

Herr Adderly (so hieß der andre Fähnrich) hatte bis dahin gesessen, und mit seinen Absätzen gespielt, und ein Liedlein mit Surdinen geträllert, ohne zu scheinen, als ob er auf die Unterredung merkte. Jetzt ließ er sich vernehmen: »O Monsieur, on ne parle pas de la Religion dans la Guerre.« – »Richtig gesagt, Töstel!« sprach Northerton. »Wenn la Religion die einzige Sache wäre, so möchten meinethalben die Pfaffen ihre Schlachten für sich allein ausfechten!«

»Ich weiß nicht, meine Herren,« sagte Jones, »was Ihre Meinung sein mag; für mein Teil aber denke ich, kein Mensch kann für eine wichtigere Sache fechten, als für seine Religion; und, so wenig ich auch in der Geschichte belesen bin, so habe ich doch immer bemerkt, daß keine Soldaten so brav gefochten haben, als die, welche der Religionseifer beseelte. Meinerseits, ob ich gleich, wie ich hoffe, meinen König und mein Vaterland ebenso aufrichtig liebe, als nur irgend ein Mann im ganzen Reiche, so hat doch die Sache der protestantischen Religion keinen geringen Anteil daran, daß ich in diesem Kriege als ein Freiwilliger zu dienen entschlossen bin.«

Hier winkte Northerton dem Adderly und raunte ihm mit einer listigen Miene ins Ohr: »Riechst du's, Adderly? Riechst du den Fuchs?« Dann wandte er sich an Jones, und sagte: »Bin sehr erfreut, daß Sie unser Regiment gewählt haben, um darin als Freiwilliger mitzugehen; denn sollte unser Feldprediger dann und wann ein Glas zuviel trinken: so sehe ich, können Sie gleich an seine Stelle treten. Ich glaube, Herr, Sie sind auf Universitäten gewest: darf ich mir die Freiheit nehmen, zu fragen, auf welcher?«

»So ferne davon, Herr Fähnrich,« antwortete Jones, »daß ich Universitäten besucht haben sollte, habe ich sogar den Vorzug vor Ihnen selbst, daß ich nicht einmal auf Schulen gewesen bin.«[36]

»Ich meinte nur so,« schrie der Fähnrich, »wegen Ihrer großen Gelehrsamkeit!« – »O, mein Herr Fähnrich,« versetzte Jones, »es ist für einen Mann ebensowohl möglich, etwas zu wissen, wenn er nicht auf Universitäten gewesen ist, als es unmöglich ist, die Schulen besucht zu haben, und dennoch nichts zu wissen.«

»Gut gesagt, junger Herr Kadett!« schrie der Leutnant. »Auf mein Wort, Herr Fähnrich Northerton, Sie thäten besser, Sie foppten ihn nicht; denn er ist Ihnen überlegen, wie Sie sehn!«

Northerton wurmte der Hieb des Jones nicht wenig; indessen dachte er doch, die Beleidigung sei nicht hinlänglich, eine Ohrfeige, einen Schurken oder Hundskopf zu rechtfertigen, welches die einzigen Antworten waren, auf die er sich eben besinnen konnte. Er schwieg also für jetzt stille; beschloß aber in seinem Sinne, die erste Gelegenheit wahrzunehmen, um den Witz mit Grobheit zu erwidern.

Jetzt kam die Reihe an Jones, ein Frauenzimmer zu nennen, auf dessen Gesundheit man trinken sollte, oder wie man's nennt, einen Toast zu geben; und er konnte sich nicht enthalten, seine teure Sophie zu nennen. Dies that er mit um so größerer Freimütigkeit, da er es für platterdings unmöglich hielt, daß jemand von den gegenwärtigen Herren die Person erraten würde, welche er meinte.

Der Leutnant aber, welcher den sogenannten Toastmaster, das ist Zeremonienmeister, bei den auszubringenden Gesundheiten vorstellte, war mit dem Namen Sophie allein nicht zufrieden, sondern sagte, er müsse auch ihren Geschlechtsnamen wissen; worauf Jones ein wenig Anstand nahm, aber gleich darauf Sophie von Western nannte. Fähnrich Northerton beteuerte, er wolle nicht auf ihre Gesundheit in einer Reihe mit seinem eigenen Toast trinken, wofern nicht jemand für ihre Würdigkeit Bürgschaft leiste, »ich kenne eine Sophie Western« sagte er, »die es fast mit der Hälfte aller jungen Kerls zu Bath zu thun gehabt hat, und vielleicht könnte es eben das Mädchen sein.« Jones versicherte ihm sehr feierlich das Gegenteil und beteuerte, das junge Frauenzimmer, das er genannt, sei von hohem Stande und großem Vermögen. »Ei, ja, ja!« sagte der Fähnrich, »das ist sie. Bei meiner Seele, 's ist dasselbige Mädchen, und wer wettet ein halb Dutzend Flaschen Burgunder? Tom Franz von unserem Regiment soll sie in jedem Weinhause in der Brückengasse uns zuführen, so wie wir da sind!« Er fuhr darauf fort, ihre Person ganz genau zu beschreiben, (denn er hatte sie dort mit ihrer Tante gesehen) und beschloß endlich damit, daß er sagte: ihr Vater besäße große Güter in Somersetshire.

Die Zärtlichkeit der Liebhaber kann nicht wohl den leisesten Spaß mit dem Namen ihrer Geliebten vertragen. Unterdessen ahndete doch Jones, der übrigens gemäß seines Temperaments Liebhaber[37] und Held genug dazu war, diese Verleumdung nicht so hastig, als er vielleicht gesollt hätte. Da er, die Wahrheit zu bekennen, von dieser Art Witz noch nicht viel erlebt hatte, so verstand er ihn wirklich nicht und bildete sich eine ganze Weile hindurch ein, Northerton habe sich in der Person seiner Geliebten geirrt. Jetzt aber wendete er sich mit einer ernstlich drohenden Miene gegen den Fähnrich und sagte: »Ich bitte, mein Herr, wählen Sie sich einen andern Gegenstand für Ihren Witz; denn, ein- für allemal ich leide keinen Mutwillen oder Spaß mit dem Charakter dieser jungen Dame.« – »Mutwillen oder Spaß! Der Teufel hol' mich, wenn ich in meinem Leben etwas ernsthafter gemeint habe! Tom Franz, von unserm Regiment, hat's zu Bath mit beiden zu thun gehabt; mit Nichte und Tante.« – »So muß ich denn im Ernst sagen,« schrie Jones, »daß der Herr einer der unverschämtesten Schurken auf Gottes Erdboden ist.«

Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als der Fähnrich, eine volle Weinflasche, begleitet von einer ganzen vollen Ladung von Flüchen, nach Jones' Kopfe warf; sie traf ihn ein wenig über dem Schlafe an der rechten Seite und streckte ihn augenblicklich zu Boden.

Als der Siegesheld gewahr ward, daß sein Feind ohne Bewegung vor ihm lag, und daß aus der Wunde ziemlich reichlich Blut hervorquoll, begann er darauf zu sinnen, das Schlachtfeld zu verlassen, woselbst keine Ehre mehr einzuernten war; allein der Leutnant verhinderte es, indem er sich vor die Thüre stellte und ihm solchergestalt den Rückzug abschnitt.

Northerton lag dem Leutnant sehr dringend an um seine Freiheit, indem er ihm die gefährlichen Folgen seines Bleibens zu Gemüte führte und ihn dabei fragte: was er weniger hätte thun können? »Schwere Not!« sagte er. »Ich hatte bloß meinen Spaß mit dem Kerl. Ich habe in meinem Leben kein böses Wort über Fräulein Western gehört!« – »Haben Sie nicht, wirklich?« sagte der Leutnant. »Nun, so verdienen Sie reichlich, gehangen zu werden; sowohl für Ihren Spaß, als dafür, daß Sie solche Waffen brauchen. Der Herr ist mein Arrestant, und soll keinen Schritt von dannen setzen, bis die gehörige Wache zu seiner sicheren Begleitung anlangt.«

Solch ein überwiegendes Ansehen hatte unser Leutnant über den Fähnrich, daß alle die brausende Kourage, welche unsern Held zu Boden gestreckt hatte, den besagten Fähnrich schwerlich soweit beseelt haben möchte, seinen Degen gegen den Leutnant zu ziehen, hätte er auch einen an der Seite hängen gehabt. Alle Degen aber, welche an der Seite des Eßzimmers aufgehängt waren, hatte der französische Offizier gleich beim Anbeginn des Zanks in Sicherheit[38] gebracht; so daß also Herr Fähnrich Northerton genötigt war, den Ausgang dieser Sache abzuwarten.

Der französische Herr und der Fähnrich Adderly hatten auf Verlangen des befehlhabenden Offiziers den Körpers unsers Jones von der Erde aufgehoben; da sie aber wenig oder gar keine Zeichen des Lebens an ihm spüren konnten, so ließen sie ihn wieder sinken. Adderly fluchte auf ihn, weil er ihm seine Weste blutig gemacht hätte, und der Franzose beteuerte: »Sur mon honneur! Icke, mick werd nick touchir die toter Mann; abend keört, die Kehäß von der Land ihr ängt hauf die Person, die hihm hat faß an der Leßte.«

Als sich der gute Leutnant an die Thüre stellte, ergriff er auch zugleich den Zug der Klingel und schellte; und als der Aufwärter darauf augenblicklich er schien, schickte er ihn hin, eine Rotte Musketiere und einen Wundarzt zu holen. Diese Ordre, nebst der Erzählung des Aufwärters von dem was er selbst gesehen hatte, schaffte nicht nur die Soldaten herbei, sondern brachte auch den Wirt vom Hause, seine Frau, alles Gesinde, und in der That jedermann, der sich eben in der Schenke befand, auf die Beine.

Alle Begebenheiten kurz und klein zu beschreiben und alle Gespräche des folgenden Auftritts zu erzählen, steht nicht in meinem Vermögen, ich müßte denn vierzig Federn haben und mit allen zugleich schreiben können, so, wie die Versammlung zugleich sprach. Der Leser muß sich daher mit den wichtigsten Vorfallenheiten begnügen und vielleicht schenkt er mir das übrige sehr gerne.

Das erste, was geschah, war, daß man sich der Person des Fähnrichs Northerton versicherte, welcher der Wache von sechs Mann, mit einem Korporal an ihrer Spitze, in Verwahrung gegeben und von dieser aus einem Orte weggeführt wurde, den er sehr gerne und willig verließ; sie führte ihn aber zum Unglück an einen Ort, wo er sehr ungerne hinging. Die Wahrheit zu sagen, sind die Wünsche des Ehrgeizigen sehr unstät und grillenhaft; denn denselbigen Augenblick, da dieser junge Held die obenerwähnte Ehre erhalten hatte, wäre es ihm ganz lieb gewesen, wenn er sich nach irgend einem Winkel der Welt hätte begeben können, woselbst der Ruf von seiner Heldenthat seine Ohren niemals erreicht hätte.

Es wundert uns und vielleicht auch einige Leser, wie der Leutnant, ein so würdiger guter Mann, seine erste Sorge vielmehr darauf gerichtet sein lassen konnte, den Thäter zu verfesten, als der verwundeten Person das Leben zu retten. Wir setzen diese Beobachtung hier nicht in der Absicht her, um uns anzumaßen, die Gründe für ein so sonderbares Betragen ausfindig zu machen; sondern, damit sich in der Folge nicht ein oder der andre Kritikus mit der Entdeckung breit machen könne. Wir möchten diesen Herren gerne[39] zeigen, daß wir das Sonderbare in einem Charakter ebensogut sehen können, wie sie selbst. Unser Geschäft aber ist, die Thatsachen zu erzählen, wie sie sind; und haben wir das gethan, so ist es die Sache des gelehrten und einsichtsvollen Lesers, im Originalbuche der Natur nachzuschlagen, aus welchem jede Stelle unsers Werks abgeschrieben ist, ob wir gleich nicht immer Kapitel und Seite zu unsrer Gewährleistung anführen.

Die Gesellschaft, welche nunmehr anlangte, war von einem ganz andern Schrot und Korn. Sie setzten ihre Neugierde in Ansehung der Person des Fähnrichs fürs erste beiseite, bis sie ihn hernachmals in einer weit anziehenderen Stellung zu sehen bekommen würden. Für jetzt war ihre ganze Sorge und Aufmerksamkeit auf den blutigen Gegenstand gerichtet, der vor ihnen auf dem Fußboden lag; und welcher, als man ihn auf einen Stuhl in eine aufrechte Stellung setzte, sehr bald wieder anfing, Zeichen des Lebens und der Bewegung an sich blicken zu lassen. Diese wurden nicht so bald von der Gesellschaft wahrgenommen (obgleich Jones anfänglich für völlig tot geachtet wurde), als sie flugs alle darüber herfielen, ihm Rezepte zu verschreiben, denn niemand war von dem Orden der wahren Aerzte vorhanden, sondern jedermann nahm das Amt derselben über sich.

Aderlassen! war die eintönige Stimme des ganzen versammelten Haufens im Zimmer; unglücklicherweise aber war niemand gegenwärtig, der die Operation verrichten konnte: jedermann schrie also, »laßt den Barbier kommen!« Kein Mensch aber setzte einen Fuß aus der Stelle. Verschiedne Herzstärkungen wurden ebenso vergeblicherweise verordnet; bis der Wirt eine Kanne von seinem Doppelbiere nebst einer Scheibe gerösteten Brots herzubringen befahl, welches, wie er sagte, die beste Herzstärkung von der Welt wäre.

Die einzige Person, welche die hauptsächlichsten, oder die in der That nur einige wirkliche Dienste leistete, oder doch schien als ob sie welche leisten wollte, war die Wirtin. Sie schnitt einige von ihren Haaren ab und legte solche auf die Wunde, um das Blut zu stillen. Sie machte sich selbst darüber her, mit ihrer Hand des Jünglings Schläfe zu reiben; und nachdem sie mit bitterer Verachtung von dem Bierrezepte ihres Mannes gesprochen hatte, schickte sie eine von ihren Mägden hin und ließ aus ihrem eigenen Schranke eine Flasche Branntwein holen. Sobald die gebracht war, erhielt sie's über Jones, der eben wieder zu Sinnen gekommen war, daß er einen starken, herzhaften Schluck davon nahm.

Nicht lange hierauf kam der Wundarzt, welcher, nachdem er die Wunde besichtigt, die Achseln gezuckt, den Kopf geschüttelt und alles getadelt, was bis daher gethan war, sogleich befahl, seinen Patienten[40] zu Bette zu bringen. Wir befinden für gut, ihn darin einige Zeit seiner Ruhe zu überlassen, und machen sonach diesem Kapitel ein Ende.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 33-41.
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