Siebentes Kapitel.

[206] In welchem die Abenteuer beschlossen werden, welche sich in dem Gasthofe zu Upton begaben.


Zuerst also war der Herr, welcher soeben anlangte, niemand anders als der leibhaftige Junker Western, welcher seiner Tochter[206] dieses Weges nachgesetzt war. Und wäre er so glücklich gewesen, nur zwei Stunden früher zu kommen, so hätte er nicht nur seine Tochter, sondern obendrein noch seine Nichte dazu gefunden, denn dies war wirklich die Gemahlin des Herrn Fitz Patrick, welche dieser vor fünf Jahren, da sie unter Ihro hochweisen Gnaden, des Fräuleins von Western Aufsicht stand, entführt hatte.

Jetzt war aber diese Nichte fast zu gleicher Zeit mit Sophie aus dem Gasthofe davongereist. Denn als sie durch die Stimme ihres Ehegemahls aus dem Schlaf geweckt worden, hatte sie die Frau Wirtin zu sich bitten lassen, und da sie von derselben erfahren, wie die Sachen ständen, hatte sie diese gute Frau mit einem übertriebenen Preise bestochen, ihr zu ihrer Flucht Pferde zu schaffen. Solch' eine Ueberredungskraft hatte das Geld in diesem Hauswesen, und obgleich die Frau vom Hause ihr Stubenmädchen als einen untreuen Dienstboten fortgejagt haben würde, wenn sie ebensoviel gewußt hätte als meine Leser, so war sie doch selbst gegen Bestechungen ebensowenig probefest, als es die arme Susanne gewesen war. Junker Western und sein Neffe waren einander von Person nicht bekannt. Der erste würde sich auch um den letzten gar nicht bekümmert haben, wenn er ihn auch gekannt hätte, denn da dies eine erschlichene und folglich nach der Meinung des guten Junkers eine unnatürliche Verbindung war, so hatte er von dem Augenblick ihrer Vollziehung an das arme junge Frauenzimmer für ein Ungeheuer dahingegeben, und seitdem niemals dulden wollen, daß solche in seiner Gegenwart nur genannt würde. Die Küche war nunmehr ein Schauplatz allgemeiner Verwirrung geworden. Western erkundigte sich nach seiner Tochter und Fitz Patrick forschte ebenso hitzig nach seiner Frau, als Jones hereintrat und unglücklicherweise Sophiens Muff in der Hand hielt.

Sobald Western unsern Jones sah, ließ er das laute Holla ertönen, welches bei den Weidmännern gebräuchlich ist, wenn das ausgelassene Stück Wild vor die Kuppel kommt. Er lief drauf flugs auf Jones zu, packte ihn an und schrie: »Da, den Keuler hab'n wir! gebt nur acht, die Bache is gewis nich weit!« Die Unterredung, welche hierauf in Weidmanns-Stil auf einige Minuten erfolgte, wobei viele von vielerlei Dingen zugleich sprachen, würde ebenso beschwerlich zu beschreiben, als unlustig zu lesen sein.

Nachdem sich Jones aus Herrn Westerns Händen losgemacht und sich einige von der Gesellschaft zwischen beiden ins Mittel gelegt hatten, beteuerte unser Held seine Unschuld damit, daß er von dem Fräulein nichts wisse; als der Pfarrer Schickelmann sich hervormachte und sagte: »Es ist vergebne Thorheit, es leugnen zu wollen! Denn man seh' nur, das Zeugnis wider Euch ist in Euren Händen. Ich[207] selbst kann es auf einen gerichtlichen Eid bezeugen, daß der Muff, den Ihr da in Euren Händen habt, dem Fräulein Sophie zugehört, denn ich habe ihn seit den letzten Tagen her sehr oft an ihrem Arme gesehn.« – »Meiner Fike Muff?« schrie der Junker ganz wütig. »Hat er meiner Fike Muff? Soll'n Zeugen sein, der Diebstahl ist bei'm gefunden! Vor'n Richter will ich mit'n stracks uf der Stelle, wo ist meine Tochter? Bube!« – »Herr,« sagte Jones, »ich bitte, beruhigen Sie sich doch! Des Fräuleins, Ihrer Tochter Muff ist's, das gesteh' ich; aber sie hab' ich mit keinem Auge gesehn, das versichr' ich Sie auf meine Ehre.« Bei diesen Worten verlor Herr Western vollends alle Geduld, so daß er kein verständliches Wort mehr hervorbringen konnte.

Einige von den Bedienten hatten Herrn Fitz Patrick benachrichtigt, wer Herr Western wäre. Der gute Irländer also meinte, er habe hier eine gute Gelegenheit, seinem Onkel einen angenehmen Dienst zu leisten und sich vielleicht dadurch bei ihm in Gunst zu setzen. In dieser Absicht ging er auf Herrn Jones zu und rief aus: »Bei meiner armen Seele! Herr! Sie sollten sich ins Herz hinein schämen, daß Sie mir ins Angesicht leugnen wollen, des Herrn seine Tochter gesehn zu haben, da Sie doch wissen, daß ich Sie mit ihr zusammen im Bett gefunden habe.« Hierauf wendete er sich an Western und bot ihm an, ihn geradeswegs zu dem Zimmer zu führen, wo seine Tochter sei; nachdem dieses Anerbieten angenommen worden, gingen er, der Junker, der Pfarrer und einige andere ungesäumt hinauf nach Madame Waters Kammer, in welche sie mit nicht geringerer Gewalt einbrachen, als vorher vom Herrn Fitz Patrick geschehen war.

Die arme Frau fuhr mit ebensoviel Erstaunen als großem Schrecken aus dem Schlaf auf, und sah vor ihrem Bette eine Figur stehn, von der man mit allem Fug glauben konnte, sie sei aus einem Irrenhause entlaufen. Solche Wildheit und Verwirrung herrschte in Herrn Westerns Blicken, der nicht so bald das Frauenzimmer betrachtete, als er zurückprallte, und durch seine Gebärden schon, noch eh' er den Mund aufthat, hinlänglich zu erkennen gab, daß dies nicht die Person sei, welche er suchte.

Mit so viel größerer Zärtlichkeit sind die Damen für ihren guten Namen, als selbst für ihre Person besorgt, daß, obgleich hier die letzte in größerer Gefahr zu schweben schien als vorher, doch, da der erste sicher war, Madame Waters nicht so heftig schrie, als sie es bei der vorigen Gelegenheit für nötig befunden hatte. Unterdessen befand sie sich nicht so bald wieder allein, als sie alle Gedanken auf fernern Schlaf fahren ließ, und weil sie Ursachen genug hatte, mit ihrem gegenwärtigen Logis unzufrieden zu sein, so stand[208] sie auf und kleidete sich an so eilig als möglich. Junker Western schritt nun dazu, das ganze Haus zu durchsuchen, aber mit ebenso schlechtem Erfolg, als er die arme Madame Waters beunruhigt hatte. Er kehrte also ganz trostlos wieder zurück nach der Küche, woselbst er Herrn Jones noch im Gewahrsam seiner Bedienten vorfand.

Dies heftige Gelärm und Getümmel hatte alle Leute im Hause, obgleich noch kaum der Tag angebrochen war, auf die Beine gebracht. Unter diesen befand sich ein Herr von sehr ernsthaftem Ansehen, welcher die Ehre hatte, in der Grafschaft Worcester eine obrigkeitliche Gerichtsperson vorzustellen. Herr Western hatte von diesem Umstande kaum Nachricht bekommen, als er ohne weiteres seine Klage bei ihm vorbringen wollte. Der Richter lehnte es von sich ab, sein Amt zu verrichten, weil, wie er sagte, er weder einen Aktuarium noch ein gerichtliches Protokoll oder Gesetzbücher bei sich führte und er unmöglich alle Gesetze in Ansehung der Töchterdiebereien und dergleichen Sachen im Kopf und Gedächtnis haben könnte.

Hier erbot sich Herr Fitz Patrick, ihm seinen Beistand zu leihen, indem er der Gesellschaft berichtete, er habe die Rechte studiert. Und in der That hatte er einige Jahre in der nordischen Gegend von Irland bei einem Prokurator als Schreiber gedient, als er, um eine ansehnlichere Bahn des Lebens zu betreten, seinen Prinzipal verließ, nach England hinüberging und da die Geschäfte anfing, die keine Lehrjahre erfordern, nämlich die Geschäfte eines junkerierenden Müßiggängers, in welchen er's denn auch so weit gebracht hatte, wie wir zum Teil schon erzählt haben.

Herr Fitz Patrick behauptete, es käme im gegenwärtigen Falle gar nicht auf das Gesetz gegen die Entführung der Töchter an; der Diebstahl eines Muffs sei ohne allen Zweifel kapital, und diesen Diebstahl zu beweisen, sei es hinlänglich, daß man das gestohlene Gut beim Diebe gefunden habe.

Die Magistratsperson ließ sich am Ende durch den Zuspruch eines so gelehrten Rechtsgehilfen und durch das heftige Anhalten des Junkers bereden, ein hochnotpeinliches Halsgericht zu eröffnen, in welchem er seinen Richterstuhl einnahm. Und nachdem er den Muff in Augenschein genommen, welchen Jones noch immer in der Hand hielt, und den Pfarrer darüber den Eid abnehmen lassen: daß besagter Muff ein Eigentum des Herrn Western sei, erteilte er Herrn Fitz Patrick den Auftrag, einen ordentlichen Verhaftsbefehl auszufertigen, welchen er hernach, wie er sagte, unterzeichnen wolle.

Jones verlangte jetzt gleichfalls gehört zu werden, was ihm endlich nach vielen Schwierigkeiten zugestanden ward. Er produzierte[209] alsdann Herrn Rebhuhn als Zeugen, daß er den Muff wirklich gefunden habe. Was ihm aber noch mehr zu statten kam, war Susannens Aussage, daß Fräulein Sophie selbst ihr solchen eingehändigt habe, mit dem Auftrage, ihn in die Kammer zu legen, woselbst Herr Jones solchen gefunden hätte.

Ob es eine angeborne Gerechtigkeitsliebe oder das anziehende, mutige und anmutige Wesen in Jones' Gestalt war, welches auf Susanne wirkte – diese Entdeckung zu machen, das will ich nicht entscheiden; ihr Zeugnis aber hatte die Wirkung, daß die Magistratsperson in ihrem Richterstuhl zurücksank und erklärte: »Die Sache sei jetzt ebenso klar für den Gefangnen, als sie vorher wider denselben gewesen wäre.« Welchem Ausspruche der Pfarrer sich beistimmig erklärte, indem er sagte: Gott solle ihn behüten, im geringsten dazu beirätig zu sein, daß eine unschuldige Person zu Leibesstrafen verdammt würde. Der Richter erhob sich also von seinem Stuhle, sprach den Gefangnen frei und ledig und schloß seine hochnotpeinliche Dingbank.

Der Herr Junker Western gab jetzt einem jeden von den Anwesenden einen herzlichen Fluch, befahl stracks die Pferde vorführen zu lassen und ritt fort, seiner Tochter nachzusetzen, ohne sich um seinen Neffen, Herrn Fitz Patrick, im geringsten zu bekümmern oder sich auf dessen Ansprüche der Verwandtschaft mit ihm mit einer Silbe einzulassen, ungeachtet aller der Verbindlichkeiten, welche er soeben von diesem Herrn empfangen hatte. Ja, noch dazu vergaß er in seiner großen Eile und der Heftigkeit seines Eifers zu allem Glück, Herrn Jones den Muff wieder abzufordern; ich sage zu allem Glück, denn Jones würde sich lieber auf der Stelle haben totschlagen, als sich solchen wollen nehmen lassen.

Jones machte sich mit seinem Freunde Rebhuhn gleichfalls auf den Weg, sobald er seine Rechnung bezahlt hatte, um seiner geliebten Sophie nachzuspüren, mit dem nunmehr festgefaßten Entschlusse, diese Nachsuchung nicht eher wieder aufzugeben, bis er sie gefunden habe. Er konnte es sogar nicht einmal über sich erhalten, von Madame Waters Abschied zu nehmen; ja, ihr Andenken war ihm abscheulich, weil sie, obgleich nicht mit Vorsatz, die Ursache gewesen, daß er der glücklichen Zusammenkunft mit Sophie verlustig gegangen, welcher er nunmehr eine ewige Beständigkeit schwur.

Was Madame Waters anbelangt, so machte sie sich die Gelegenheit der Kutsche, welche nach Bath zurückging, zunutze und reiste nach diesem Orte in Gesellschaft der beiden irländischen Herren, nachdem die Frau Wirtin so gütig gewesen, ihr von ihren Kleidern zu leihen, und für diese Gefälligkeit nur einen kleinen Mietzins nahm, der nur ungefähr das Doppelte betragen mochte, was solche[210] neu wert gewesen waren. Unterwegs söhnte sie sich völlig wieder mit Herrn Fitz Patrick aus, welcher in der That ein wohlgestalter Mann war; auch that sie auf ihrer Seite alles, was sie konnte, um ihn über die Abwesenheit seiner Ehegattin zu trösten.

Auf diese Weise endigten sich die mancherlei wundersamen Abenteuer, welche Herr Jones in seinem Gasthofe zu Upton bestanden hatte, woselbst noch bis auf den heutigen Tag von der reizenden Sophie unter dem Namen des Engels von Sommersethire häufig gesprochen wird.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 206-211.
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