Erstes Kapitel.

[275] Zeigt, was man bei den neuern Autoren für Freibeuter-Plündereien zu achten und was man hingegen als rechtmäßige Beute erkennen kann.


Der gelehrte Leser muß bemerkt haben, daß ich im Verlaufe dieses ansehnlichen Werkes oft Stellen aus den besten alten Autoren entlehnt habe, ohne dem Original zu folgen oder nur des Buchs im geringsten zu erwähnen, woraus ich sie genommen. Dies[275] Verfahren eines Schriftstellers ist von dem gelehrten Abte Banier in der Vorrede zu seiner Mythologie, einem Werke von großer Erudition und gleicher Urteilskraft, in das gehörige Licht gestellt worden. »Es wird,« sagt er, »dem Leser leicht zu bemerken sein, daß ich sehr oft größere Rücksicht auf ihn als auf meinen eignen Ruhm genommen habe; denn ein Autor macht ihm gewiß ein wichtiges Kompliment, wenn er seinetwegen unterläßt, die gelehrten Stellen anzuführen, die ihm auf seinem Wege aufstoßen und welche ihm weiter nichts als die bloße Mühe des Abschreibens gekostet haben würden.« Ein Werk mit dergleichen Lückenbüßern anzufüllen, mag allerdings für einen offenbaren Betrug geachtet werden, welcher der gelehrten Welt gespielt wird, der man auf diese Weise das Geld aus der Tasche lockt, wenn sie dasjenige noch einmal in einzelnen Brocken und Fetzen bezahlen muß, was sie schon einmal im ganzen, wo nicht im Gedächtnisse, doch auf ihren Bücherbrettern stehen hat; und für den Ungelehrten ist es noch grausamer, welchen man solchergestalt überschnellt, etwas für sein bares Geld zu kaufen, wovon er keine Art von Nutzen haben kann. Ein Schriftsteller, der seinem Werke viele griechische und lateinische Stellen einschaltet, handelt an den Damen und artigen Herren ebenso hinterlistig als die Auktionsmakler an ihnen zu handeln pflegen, welche in ihren Parzellen einen solchen Wirrwar zusammenstopfen, daß man, um dasjenige zu erstehen, was man haben will, genötigt ist, viele Dinge mit zu bezahlen, die man nicht brauchen kann. Und doch, weil kein Betragen so rein und uneigennützig sein kann, das nicht von der Unwissenheit mißverstanden und von der Bosheit verdreht werden könnte, so bin ich einigemal in die Versuchung geraten, meinen eignen Ruhm auf Kosten meines Lesers zu bewahren und das Original abzuschreiben, oder doch wenigstens Kapitel und Vers anzuführen, wenn ich hier oder da mich der Gedanken oder Ausdrücke eines andern bedient habe. Ich bin wirklich etwas zweifelhaft, ob ich mir nicht durch das entgegengesetzte Verfahren oft geschadet habe und ob ich nicht dadurch, daß ich den Namen des Originalverfassers verschwiegen, mehr in den Verdacht einer gelehrten Plünderei verfallen bin, als den Ruhm erworben habe, daß ich nach den beliebten und belobten Grundsätzen des oben angeführten, mit Recht berühmten französischen Gelehrten gehandelt habe.

Um aber hinfüro alle dergleichen Anschuldigungen von mir abzulehnen, will ich hier das Faktum gestehen und rechtfertigen. Die Alten kann man ansehen als eine fette Hut und Trift, worauf jedermann, der nur das geringste Gemeinderecht am Parnassus hat, befugt ist, seine Muse zu weiden und zu mästen. Oder, um es in ein helleres Licht zu stellen: wir Neuern sind gegen die Alten das,[276] was die Armen gegen die Reichen sind. Unter den Armen versteh' ich hier den großen und ehrwürdigen Haufen, welcher auch in der gemeinen Sprache unter dem Namen Pöbel bekannt ist. Wer nun aber die Ehre gehabt hat, von diesem Pöbel zu irgend einiger Vertraulichkeit zugelassen zu werden, der muß wissen, daß es einer von seinen angenommenen Grundsätzen ist, seine reichen Nachbarn ohne Scheu und Gewissen zu berauben und zu plündern, und daß dies bei ihnen weder für Sünde noch Schande gehalten wird. Und so treu und fest kleben diese Armen an dieser Maxime und handeln darnach so unverbrüchlich, daß fast in jedwedem Kirchspiele durchs ganze Reich eine Art von Bündnis gegen eine gewisse begüterte Person, genannt der Gutsherr, errichtet ist, dessen Eigentum von allen seinen Nachbarn als freie Beute betrachtet wird; und weil sie meinen, bei solchem Plündern und Verwüsten sei weder Sünde noch Verbrechen, so halten sie es für eine Ehren- und Gewissenssache, einander nicht zu verraten und sich bei solchen Gelegenheiten von aller Bestrafung durchzuhelfen.

Auf gleiche Art müssen die Alten, als da sind Homer, Virgil, Horaz, Cicero, und die übrigen von uns Schriftstellern betrachtet werden, als ebensoviele reiche Junker und Gutsherren, denen wir Armen des Parnassus zufolge eines undenklich alten Gebrauchs wegnehmen dürfen, woran wir nur die Hände legen können. Diese Freiheit behalt' ich mir vor und ich bin ebenso bereit, sie hinwiederum meinen armen Nachbarn einzuräumen. Alles, wozu ich mich dabei erkläre, und alles, was ich mir von meinen Brüdern wieder ausbedinge, ist unter uns auf eben die strenge Ehrlichkeit zu halten, welche die Herrn vom Pöbel gegen einander beobachten. Einer den andern bestehlen ist wirklich höchst strafbar und unanständig; denn das könnte ganz eigentlich heißen, einen armen Schlucker prellen (der noch dazu noch ärmer sein könnte als wir selbst) oder, um es in dem gehässigsten und schändlichsten Lichte zu zeigen, es wäre so gut als ein Einbruch in ein Spittelhaus.

Da also nach der strengsten Prüfung mein Gewissen mir keinen solchen Lumpendiebstahl vorwerfen kann, so will ich mich nicht weigern, die vorige Anklage als wahr einzugestehen, und werde mir auch niemals ein Bedenken daraus machen, mir eine jede Stelle zuzueignen, die ich in einem alten Autor für meinen Zweck dienlich finde, ohne den Namen des Autors dazuzusetzen, aus dem ich sie genommen habe. Ja noch mehr, den Augenblick, wie ich solche in mein Werk übergetragen haben werde, lasse ich mir das Eigentum an solchen Gedanken nicht absprechen, und ich erwarte, daß alle meine Leser von nun an solche ohne allen An- und Beispruch als meine eignen betrachten werden. Doch verlange ich nur, daß man[277] mir die Forderung unter der Bedingung einräumen soll, daß ich gegen meine Brüder mit der strengsten Ehrlichkeit zu Werke gehe; denn sollte ich jemals ja irgend etwas von ihrem geringen Armütchen borgen, so werde ich niemals ermangeln, ihr Merkzeichen darauf zu setzen, damit es zu jeder Stunde bereit stehe, seinem rechten Eigner wieder zugestellt werden zu können.

Die Versäumnis dieser Vorsicht war an einem gewissen Herrn Moore äußerst zu tadeln, welcher vorlängst einmal von Pope und Kompanie einige Zeilen erborgt hatte und sich die Freiheit nahm, sechse davon in seinem Lustspiele »Die wetteifernden Moden« abzuschreiben. Herr Pope aber, der solche glücklicherweise in besagtem Lustspiele wieder fand, bemächtigte sich seines Eigentums mit gewaltsamer Hand und nahm sie wieder zurück in sein eigen Werk, und zur fernern Züchtigung warf er obgedachten Moore in das dumpfe Gefängnis der Dunciade, wo sein armselig Andenken noch liegt und ewig liegen wird zur gerechten Strafe für solche unerlaubte Schliche im poetischen Handel und Wandel.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 275-278.
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