Zweites Kapitel.

[278] In welchem zwar der Junker seine Tochter nicht findet, dafür aber etwas anderes gefunden wird, welches seinem Nachsetzen ein Ende macht.


Die Geschichte kehrt jetzt zurück nach dem Gasthofe zu Upton, von wo wir erst den Fußstapfen des Herrn Junker Western nachgehen wollen; denn weil er bald zum Ende seiner Reise gelangen wird, so werden wir alsdann völlige Muße haben, mit unserm Helden zu gehen.

Der Leser wird die Güte haben, sich zu erinnern, daß besagter Junker ganz wütig aus dem Gasthofe wegritt und daß er in dieser Wut seiner Tochter nachsetzte. Der Stallknecht hatte ihm gesagt, daß sie über die Severne gegangen sei; also ging er mit seinem Gefolge gleichfalls hinüber und ritt, was er reiten konnte, und drohte Sophien das bitterste Unheil an, wenn er sie erwischte.

Er war noch nicht weit gekommen, als er an einen Weg gelangte, der doppelt auslief. Hier forderte er einen kurzen Kriegsrat zusammen, und nachdem er in demselbigen die verschiedenen Meinungen aufgenommen hatte, überließ er zuletzt dem Glücke die Sorge, ihn auf die rechte Spur seines Nachjagens zu leiten, und verfügte sich ohne weiteres auf die Worcester Heerstraße. Auf dieser Straße ging's ungefähr eine Stunde fort, als er anfing sich höchst bitterlich zu beklagen und öfters ausrief: »Sünd' und Schand' ist's,[278] so 'n Unglückshund is nicht mehr uf Gottes Erdboden, wie ich!« und dann eine ganze Ladung Flüche und Verwünschungen ausstieß.

Der Ehren Herr Pfarrer bemühte sich, ihm bei dieser Gelegenheit mit Trost zuzusprechen: »Geben Sie nicht Raum den Sorgen, gnädiger Junker,« sagte er, »gleich jenen, die keine Hoffnung haben! Sintemalen obgleich wir noch nicht im stande gewesen sind, das junge Fräulein einzuholen, so müssen wir es doch für ein Glück achten, daß wir bis jetzt noch ihre Fußstapfen auf dem rechten Wege verfolgt haben. Wer mag uns das Gegenteil beweisen, daß sie nicht bald ermüdet sein werde von ihrer Reise und dann weilen wird und verziehen in irgend einer Herberge, um ihr Herz zu laben und ihren Leib mit Speisen zu erquicken; und sollte sich das ereignen, so werden Sie, so wahr der Herr lebt, in kurzem wieder fröhlich sein und guter Dinge.«

»Pah! w's schiert mich's, Nickel,« antwortete der Junker, »'ch ärger' mich nur, daß 'n so schöner Morgen vor d' Hunde geht! 's ist verdammt hart, ein'n der schönsten Spürtage zu verlieren, denn das scheint's zu sein in dieser Jahreszeit und noch darzu, weil eben der Frost aufgegangen ist.«

Ob Madame Fortuna, welche zuweilen bei ihren mutwilligsten Neckereien etwas Mitleiden blicken läßt, sich des Junkers etwa ein wenig erbarmte und, weil sie beschlossen hatte, daß er seine Tochter nicht einholen solle, vielleicht willig war, ihm das auf eine andre Art wett zu machen, das will ich nicht behaupten; aber er hatte kaum die vorhin angezognen Worte gesprochen und ihnen zwei oder drei Flüche auf den Fersen nachgeschickt, als eine Kuppel Jagdhunde in einer kleinen Entfernung ihre melodischen Kehlen eröffneten, welche des Junkers Pferd und sein Reiter beide merkten und beide in einem Hui die Ohren spitzten und der Junker die Jagd anschrie: »Werten is in der Fährt! is in der Fährt! Hol' mich der Teufel, in der Fährt is er!« Damit setzte er seinem Tier die Sporen in die Rippen, dessen es wenig bedurfte, weil es wirklich mit seinem Herrn einerlei Sinnes war. Und somit die ganze Gesellschaft querein über die Saatfelder hingeritten auf die Hunde zu mit vielen Hollahos und Horitos! unterdessen der arme Pfarrer unter vielem Kreuzigen und Segnen hinter dem Haufen nachwackelte. Die Fabel erzählt: Die schöne Murnerin, welche Venus auf das Flehen eines zärtlich Verliebten aus einer Katze in ein schönes Frauenzimmer verwandelte, sei nicht so bald eine Maus gewahr worden als sie, eingedenk ihrer ehmals gewohnten Freuden und noch klebend an ihrer ursprünglichen Natur, aus dem Bett ihres Ehemanns aufgesprungen, um das kleine Tierchen zu verfolgen. Was für eine Lehre sollen wir hieraus nehmen? Nicht die, daß das junge Weib ein Mißbehagen[279] empfand an den Umarmungen ihres verliebten Gatten: denn ob zwar von einigen die Bemerkung gemacht worden, daß Katzen zur Undankbarkeit geneigt sind, so pflegen doch Weiber und Katzen, zumal bei gewissen Gelegenheiten, ganz freundlich schmeichelnd zu sein und zu kurren. Die Wahrheit ist, wie der gelehrte Herr Roger L'Estrange in seinen tiefgedachten Betrachtungen sagt: »Jagen wir die Natur zur Thür hinaus, so kommt sie durchs Fenster wieder herein; und Kätzchen, wird es auch eine Dame, wird doch das Mausen niemals lassen.« Auf eben die Weise müssen wir's auch dem Junker nicht für einen Mangel an Liebe zu seiner Tochter anrechnen; denn in Wahrheit, er besaß deren keinen geringen Teil; wir müssen nur nicht vergessen, daß er ein Landjunker und Jagdliebhaber war, und dann können wir die Fabel auf ihn anwenden und ihre sinnreiche Moral gleichfalls.

Die Hunde hielten sehr gut an, wie es genannt wird, und der Junker setzte nach über Hecken und Graben mit seinem gewöhnlichen Geheule, mit gewöhnlicher Behendigkeit und mit aller gewöhnlichen Fröhlichkeit des Herzens, auch drängte sich ihm kein Gedanke an Sophien in den Sinn, der ihm das Vergnügen versalzen hätte, das er an der Jagd fand, welche, wie er sagte, eine der schönsten war, die er jemals gesehen hätte, und die es, wie er schwur, wohl wert wäre, daß man seine zwanzig Stunden darnach ritte. So wie der Junker seine Tochter vergaß, so vergaßen die Bedienten, wie wohl nicht schwer zu glauben ist, ihr junges Fräulein, und der Herr Pfarrer, nachdem er sein großes Erstaunen für sich selbst auf Latein ausgedrückt hatte, ließ zuletzt gleichfalls alle ferneren Gedanken an die junge Dame fahren, und indem er in ziemlicher Entfernung nachhopperte, fing er an, über die Nutzanwendung seiner Predigt für den nächsten Sonntag zu meditieren. Der Junker, welchem die Jagdhunde zugehörten, war über die Ankunft seines Bruder-Junkers und Weidmannsgesellen gar höflich erfreut, denn alle Menschen schätzen Verdienste in ihrem Fache, und keinen wohlerfahreneren, jagdgerechteren Weidmann konnte man finden als Herrn Junker Western, auch wußte niemand besser als er, wie man die Hunde mit der Stimme aufmuntern und den ganzen Weidhaufen mit seinem Hollaho in frischen Atem setzen muß. In der Hitze der Jagd sind die Weidgenossen viel zu sehr beschäftigt, um auf irgend eine Art von Zeremonien zu achten, ja vielleicht nicht einmal auf die Dienste der Menschheit; denn wenn jemand von ihnen ein Zufall begegnet, daß er in einen Graben oder in einen Bach purzelt, so reiten die übrigen fort ohne sich darum zu bekümmern, und überlassen ihn gewöhnlicherweise seinem Schicksale. Daher die beiden Junker diese Zeit über, ob sie gleich einander oft ganz nahe waren, doch kein Wort[280] miteinander wechselten. Unterdessen sah doch der Patron der Jagd sehr oft und mit vielem Beifall die große Wissenschaft des Fremden, womit er die Hunde zu lanzieren wußte, wenn sie von der Spur gekommen, und faßte daraus eine hohe Meinung von seinem Verstande, sowie die Anzahl seiner Begleiter keine geringe Verehrung gegen seinen Stand einflößte. Sobald also, das kleine Tier verendet und damit die Jagdlust, welche es veranlaßt hatte, geschlossen war, nahten sich die beiden Junker einander und bewillkommten sich, wie sich's für edle Landjunker geziemt und gebührt.

Ihre Zusammensprache war unterhaltend genug, und vielleicht erzählen wir solche noch in einem Anhange oder bei einer andern Gelegenheit. Weil sie aber auf diese Geschichte nicht den geringsten Bezug hat, so können wir es nicht über uns erhalten, ihr hier einen Platz zu geben. Sie beschloß sich mit einem zweiten Jagen, und dieses mit einer Einladung zum Mittagessen. Auf diese, welche angenommen wurde, folgte ein weidliches Trinkgelag, das seitens des Junker Western mit einem ebenso weiblichen Nachmittagsschläfchen endigte.

Unser Junker war seinem Wirte, auch selbst dem Pfarrer Schickelmann diesen Abend bei Flasch' und Becher keineswegs gewachsen, was sich, seiner Ehre im geringsten unbeschadet, aus seiner Ermüdung gar füglich erklären läßt, die er sich an Geist und Leib zugezogen hatte. Er war wirklich, wie die gemeine Redensart lautet, über und über eingeseift, denn noch ehe er seine dritte Flasche zu sich gesteckt hatte, brachte ihn der Wein so völlig unter die Füße, daß, ob er gleich lange nachher erst zu Bett getragen wurde, ihn doch der Pfarrer als abwesend betrachtete, und nachdem er dem Junker vom Hause Sophiens ganze Geschichte erzählt hatte, von diesem das Versprechen erhielt, daß er die Gründe unterstützen wolle, welche er sich vorsetzte, den nächsten Morgen geltend zu machen, um Herrn Western zum heimkehren zu bewegen.

Sobald demnach der gute Junker sein Haarweh ausgeschlafen hatte und sich nach seinem Morgentrunke umzusehen begann und die Pferde vorzurufen befahl, um Sophien von neuem nachzusetzen, hub Herr Schickelmann mit seinen Abmahnungsgründen an, welche der Herr vom Hause so nachdrücklich unterstützte, daß sie am Ende Eingang fanden und Herr Western dareinwilligte, wieder nach Hause zu kehren, wozu er hauptsächlich durch einen Grund bewogen ward, nämlich, daß er nicht wüßte, welchen Weg er nehmen sollte, und daß er möglicherweise ebensogut von seiner Tochter weg als zu ihr hinreiten könnte. Er nahm also Abschied von seinem Bruder Weidmann, und indem er darüber seine große Freude bezeigte, daß der Frost aufgegangen wäre (welches vielleicht nicht die geringste[281] von den Ursachen war, die ihn nach Hause trieben), ritt er nordwärts oder vielmehr rückwärts nach Sommersetshire, doch nicht eher als bis er einen Teil seines Gefolges abgefertigt hatte, seine Tochter aufzusuchen, der er ebenfalls eine Generalsalve der bittersten Flüche und Verwünschungen nachschickte, deren er sich nur besinnen konnte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 278-282.
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