Ein neu Trostlid zu der Begräbnüs

Prudentii, nach der meinung vbersehen.


1.

Laßt euer klagē sein vnd sehnen,

jr Christen, wischt ab euer tränen!

Was dörfft jr euch lang vbel heben?

im tod sind man ein neues leben.


2.

Warumm zirt man die gräber herlich,

begrabt den todten leib auch ehrlich,

On das bedent das die hie ligen

nur schlaffen vnn noch auffstehn mügen.


3.

Es scheint wol, obs alls dahin seie,

weil er da ligt on sinn vnd scheue,

Aber der aus nichts etwas schafft

lebt noch vnd übt sein alte krafft.


4.

Es ist eine kleine zeit dahinden,

dz wir vns wider zsammen finden

Vnnd eben mit der haut bekleidet,

doch mit vnsterblicheit bereitet.


5.

Bald kommt die zeit, dz die kalt glider

welche hie schwach erligen nider

Ir rechte wärm bekommen wider,

wan Gots Posann wird hören jder.


6.

Als dan wird in den dörren beinen

Gots Geist vnd macht kräfftig erscheinen,

Alsdan wird sinn, vernunfft vnd gmüt

sich thun ins lebendige blüt.


7.

Als dann wird das längst verwäsen

ins vorig wesen wider gnesen,

Auch von der Erden verzuckt werden

der leib zu seiner sel on bschwerden.


8.

Das körnlin gesät gegen winter,

wiwols erstickt, richts nicht dest minder

Sich auf im Sommer von der Sonnen

vnd grünt, weil es den sig hat gwonnen:


9.

Also der leib so hie verscharret

im grab zu aschenstaub zerfaret

Wird, wan die ewig Sonn scheint eben,

erstehn zum ewigen sommerleben.


10.

Darnmm, o Erd, magst wol hinnemmen

den körper in dein schos beklemmen,

Wir wöllen dir den gern vertrauen,

mit haut vnnd har jhn zu verdauen.


11.

Aber in jenen letzten tagen

wird er dich nagen in dem magē,

Das du jn wider aus must speien,

auf das jn Got klar mög verneuē.


12.

Mach jm nur lind genug das betlein,

das er ausrhu auf disem stätlein,

Aber wie weich dus machest immer

wil er bei dir doch bleiben nimmer.


13.

Dan er ein andre rustat weis,

Abrahams schos vnd paradeis,

Alda sein sel dan auff jn harret,

das sie sich wider zu jm paret.


14.

Bewar dz pfand des leibs nur ebē

welchs dir vertraut wird vbergebē,

Weil Got sein ebenbild wird bald

von dir erfordern jn sein gwalt.


15.

Dan wie wolt Got sein gschöpff verliren

welchs er that nach seim bild formirē?

Wie wolt er nicht des gschöpfs gedencken

dem er auch seinen son dorft schencken?


16.

Hierumm seh vnd stell jhn bald wider

in gstalt wie man dir gibt die glider:

Ach das die selbig zeit bald käme,

dz was du haltst Got zu jm näme!


17.

Aber, Got lob, die zeit ist da,

dan was der glaub faßt, das ist nah,

Drumm must du, Erd, auch bald erbeben

vnd dise leich vns wider geben.


18.

Vnd du, Tod, must sammt allen Teufflen

an deiner todten macht verzweifflen,

Weil jr vns ruen lasen müsen,

ewig mit Got der freud zugnisen.


19.

Seh, solchen trost der seln bescheide,

das sie vom leib dest liber scheide,

Weil dis zu jrer freiheit frommt

vnd wider zu jrm leib doch kommt.


20.

Der leib, weil er hie hat sein mütlin,

war er d'selē herberghüttlin,

Die Got ein zeitlang drein losiret,

bis er sie wider daraus füret,


21.

Ir das eng häuslin zu bereiten

zum ewigen Palast vol frenden,

Der jr nicht meh beschwärlich sei,

sond' zu seim lob ewig frej.


22.

Den selben gast der Edlen selen

jr jrdisch gäst solt für hoch zelen

Vnnd zeitlich die hie weyhen gern

zur wonung enerm Got vnd Herrn.


23.

Das namlich jr allein jm trauen

vnnd nicht auff eigen kräfften bauen,

Das jr an zeitlichem nicht hencken,

sonder nach himlischem gedencken,


24.

Nach vnserm rechten Vatterlande,

dahin all wol vnd walfart stande,

Welchs vns dan hat HERR Jesus Christ

vor längst durch sein tod zugerüst.


25.

Der wöll vns auch vorthin erfüllen

mit seinem Geist, zu thun sein willen,

Das wir, man er kommt zu gericht,

mit jm eingehn ins ewig licht.


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 810.
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