Vier und dreißigster Brief
Olivier an Julie

[114] Julie! haben Sie mich vergessen? O Julie! hassen Sie mich? – Ich bin unglücklich, unbeschreiblich unglücklich. Ich sehe, ich höre Sie nicht mehr. – Nein, aus Sich selbst haben Sie das nicht gethan. Man hat Sie gezwungen, Sie gewaltsam mir entrissen.[114]

Aber dieser Brief wird in Ihre Hände kommen. Sie werden ihn lesen. Julie! wollen Sie nicht wiederkehren? wollen Sie mich nicht der Verzweiflung entreißen? – Es ist alles verändert. Gewiß Sie sollen frey bleiben. Aber lassen Sie mich Ihre Stimme wieder hören! nehmen Sie diese schreckliche Nacht von meiner Seele! – O Julie! sagen Sie mir, daß Sie mich nicht hassen. Julie! meine einzige Julie! kehren Sie wieder! Ich nenne, ich schreibe Ihren Namen so oft. Ach es liegt etwas tröstendes in diesem Namen. –

Aber Sie können diesen Brief nicht lesen. Meine Hand zitterte so heftig. Ich muß ihn abschreiben. Wird meine Julie mir antworten?[115] Gewiß! woher nähme sie die Härte zu schweigen.

Ich habe den Brief wieder abgeschrieben, und kann mich noch immer nicht von dem Blatte trennen. So lange es in meinen Händen ist, fühle ich nicht den entsetzlichen Schmerz in meiner Brust. Mich dünkt, Sie hätten es schon berührt, hätten es gelesen. Ihre Antwort stünde darauf. O meine Julie! werden Sie mir antworten? –[116]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 114-117.
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