Sieben und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

[166] Die Verlegenheiten des Herrn Obristen wollte ich Ihnen zum Besten geben und war freilich damals gestimmt in einen ziemlich komischen Ton zu verfallen; aber leider hat es jetzt mit diesen Verlegenheiten eine sehr ernsthafte Bewandniß, und das Komische giebt sich von selbst.

Geschlagene Leute sind wir! – Ein schreckliches, unerhörtes Verbrechen lastet auf unserer[166] Seele. – Mit einem Worte! – fassen Sie sich – wir haben ... getanzt. – Ob die Erde nicht bebte? ob sich die Sonne nicht verfinsterte? – Ach nein! Aber der Obriste hat, vor Schrecken und Ärger, einen Schwindel davon getragen.

Gott weiß es! Dies hat auch mich fürchterlich erschreckt; aber .... Doch sie mögen selbst urtheilen.

Nach, wer weiß wie vielen abschlägigen Antworten, bittet uns der König heute zu dem letzten Balle. Wie gewöhnlich sucht man Entschuldigungen hervor. Aber er läßt sich nicht irre machen, und besteht darauf, uns wenigstens als Zuschauerinnen daran Theil nehmen[167] zu sehen. Julie frägt mich unentschlossen mit den Augen. Ich gebe ihr durch Zeichen zu verstehen, daß ja nichts dabey zu wagen ist, und ... wir versprechen zu kommen.

Hoch erfreut eilt der König davon; aber Angst, Reue und Schrecken ziehen nun augenblicklich bey uns ein. »Was wird der Obriste denken! – Man hätte ihn um Rath fragen, man hätte schlechterdings nicht zusagen sollen.«

Ich gestehe, diese übertriebene Bedenklichkeiten erbitterten mich. Um so mehr, da der König, trotz meiner kindischen Furcht, sich bis diesen Augenblick mit musterhafter Anständigkeit betragen hat. Wie gesagt, die Bedenklichkeiten erbitterten mich und ich hielt eine[168] Strafpredigt über Freiheit, Selbstschätzung u.s.w. die sich vor Meister und Gesellen konnte hören lassen.

Julie schwieg. Es scheint ihr unmöglich, einem heftigen Menschen zu widersprechen. Freilich, wer durch die stille Trauer auf diesem Engelgesichte nicht zur Besinnung kommt, mögte wohl schwerlich dazu gelangen. Ich aber suchte mich jetzt absichtlich dagegen zu verhärten, verliebte mich immer mehr in meine Tiraden, und würde ohne Zweifel noch eine gute Stunde damit fortgefahren haben, hätte mich der Durst nicht in einer der schönsten überfallen.

Hastig ergrif ich ein Glas Wasser; aber[169] eben so schnell fiel mir Julie in den Arm: »Trink nicht – sagte sie mit einer Stimme, die sich zu der meinigen wie eine Flöte zu einem kleinen Brummbaß verhielt – das Wasser ist eiskalt, und Du bist schrecklich erhitzt.«

Noch wollte ich trotzen; aber da sah ich in das Himmelauge, aus dem die Liebe nicht weicht, alle meine Tiraden waren vergessen und ich mußte froh seyn mich an ihrer Schulter verbergen zu können.

Das Andenken dieses Augenblicks hat etwas so feierlich rührendes für mich, daß ich meine Erzählung schlechterdings auf ein andres Mal verschieben muß. Ich will Sie durchaus[170] weder feierlich, weder rührend noch gerührt machen. Denn, wahrhaftig! würde hier die ganze Welt gerührt; so mögte es schlimm um uns aussehen.

Nur so viel zur Nachricht: Der Obriste ist außer Gefahr, und wie gewöhnlich von fünf Uhr an gestiefelt, gespornt und vollkommen marschfertig. Zum Niederlegen bey Tage haben ihn weder die Bitten des Königs noch des Arztes vermögen können. Sein Kammerdiener – der ihn, wohlbemerkt, niemals anrühren darf – versichert, er habe ihn bis diese Stunde noch nicht in Nachtkleidern gesehen. Dagegen aber müssen eine wohlgereinigte Uniform mit Wäsche und allem Zubehör auf den[171] andern Tag bereit liegen, um dem Obristen beim Erwachen sogleich in die Hände zu fallen

Sonderbar! Ihnen das wie eine Neuigkeit zu erzählen! Was will ich damit? – Nun es macht eine dumme Empfindung in mir rege. Meine Feinde würden sagen; es verdrüßt mich.[172]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 166-173.
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