Fünf und zwanzigster Brief
Julie an Wilhelmine

[80] Die Spuren waren von Thränen. O meine Wilhelmine! noch immer grämst Du Dich; bestehst darauf: ich sey unglücklich. Warum hältst Du diese Vorstellung so fest? Das Gegentheil ist ja doch möglich, und wird sogar immer wahrscheinlicher.

Auch ich, Geliebte, habe manches über[80] mein künftiges Leben nachgedacht. Hätte ich hoffen können, mit einem Manne, den ich leidenschaftlich liebte, glücklich zu werden; wer wüßte was ich gethan haben würde. –

Aber welchen Grund konnte ich dieser Hoffnung geben. Alles belehrte mich, daß es auch dem besten Manne unmöglich wird, leidenschaftliche Liebe an einem Weibe zu ertragen, daß Leidenschaft und Weib, ihm eben so widrig klingt, wie Häßlichkeit und Weib, und daß, wo diese traurige Disharmonie sich findet, an kein Glück zu denken ist.

Wie wäre es auch möglich? Haben wir uns einmal dem männlichen – für uns wahnsinnigen Gedanken – überlassen: genießen[81] zu wollen; so achten wir keine Schranken. Von einer feinern Organisation, weit mehr als die Männer, zum Streben nach dem Unendlichen getrieben, wollen wir nun eine Verbindung, die unter zwey unvollkommnen Wesen, nicht einmal in der Idee bestehen kann.

Alle Täuschungen des Wissens, der Ruhmsucht und der thierischen Sinnlichkeit, mit welchen sich die Männer, oft bis an ihr Ende, so glücklich betäuben, sind bey uns nicht wohl möglich.

Wir fühlen nun mit allen Kräften unsers Wesens: daß die Verbindung Zweyer, oder Aller zu Eins, der Zweck aller Schöpfung seyn muß. Die Zeit, wo wir den trüben[82] Dunstkreis unsrer Erde zu einem vollkommnern Leben durchbrechen werden, ist für uns schon verflossen.

Eins! eins wollen wir seyn mit dem Geliebten. Kein Gedanke, keine Ahnung soll uns entgehen. Ein ewiger seeliger Tausch, Zusammenklang alles Wissens und Begehrens. Ach! schon mitten in diesem höchsten Wunsche werden wir plötzlich durch die schreckliche Wirklichkeit unterbrochen, und sinken zurück – – – unter die Herrschaft eines Mannes.

Während wir uns so in, ja über den Wolken umhertrieben, wie fürchterlich hat sich diese Herrschaft ausgedehnt! Gleichwohl macht sie den, der sie ausübt, nicht glücklich.[83]

Mit ganz andern Wünschen und Hoffnungen war er zu uns gekommen. Selbst von den Leidenschaften irre geführt, suchte er ein Wesen, das über alle Leidenschaft erhaben, ihm himmlischen Frieden entgegen brächte. In dieser seeligen Stille wird sein Wille sich läutern, sein Verstand von nun an das Beste erwählen.

Schon der Anblick dieses Wesens, das rein und vollendet aus den Händen der Natur hervorgieng, hebt ihn über sich selbst. Alles was er mühsam erlernte, ward diesem Wesen angebohren. An Verstand und Willen weit über ihn erhaben, ist es dennoch mit dem beseeligenden Irrthume begabt: es werde in beyden[84] von ihm übertroffen. Was hat er zu fürchten? Es ist die liebende Einfalt, der er sich übergiebt.

Aber wie schrecklich wird er selbst nun aus diesem Traume erweckt. Statt heiterer, seeliger Stille, findet er leidenschaftliche Unruhe. Hört Foderungen, Klagen. – Ach! Rechenschaft soll er geben von seinen Empfindungen. Man will sie wägen und prüfen. O Gott! statt ertragen zu werden, soll er tragen. Er kann es nicht, sein ganzes Gefühl empört sich dagegen.

Um seine Leiden aufs höchste zu bringen sieht er nun noch die Schönheit entfliehen. Die Schönheit, ohne die er die Weiblichkeit[85] nicht denken kann, mit der er die ganze Weiblichkeit ausspricht.

Es ist zu viel! er muß sich rächen! – Ach, er hat sich schon gerächt, er ist schon ein Tyrann, eh er es selbst nur ahnet. Die unglücklichen Weiber! Hätten sie gestrebt liebenswürdig – der Liebe würdig – zu seyn, statt Liebe zu fodern; sie hätten das, was sie wünschten, und vielleicht weit mehr noch erhalten.[86]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 80-87.
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