Vierzigster Brief
Wilhelmine an Julie

[133] Ich bin in der Schweitz; aber meine Erwartung ist nicht befriedigt. Blendender Schnee auf den Bergen, schneidende Luft in den Thälern, die Menschen eben so kalt und düster wie sie. O das alles ist mir fürchterlich zuwider!

Ewiger Zank unter den Hohen, ewige[133] Klage unter den Niedern. Mangel bey allem Überfluß. Sclaverey bey allem Freyheitstrotz. Ach kein Feuer, keine Lebendigkeit! Einsylbig, langweilig, das prosaischste Volk auf der Erde. (So weit meine Wenigkeit sie gesehen hat.)

Ja! donnernde Wasserfälle und schaurige Klüfte. Überhangende Klippen und stürzende Lavinen. Wer Lust hat erschlagen zu werden, der kommt hier schon recht.

Ob ich das alles in einer andern Laune nicht anders gesehen haben würde? Kann seyn! aber ganz unwahr ist es nicht; darauf kannst Du Dich verlassen.

Nein! nein! mit dieser grausenden, zügellosen Natur kann ich mich nicht vertragen,[134] mit diesen Menschen nicht sympathisiren. Was helfen mir die feisten Kühe und die üppigen Wiesen? Was mir fehlt können sie mir nicht geben.

Aber was fehlt mir denn? – Nun, fürs erste will ich glauben: ein milderer Himmel, ein geistvolleres, lebendigeres Volk, Werke der unsterblichen Kunst, an denen sich mein Geist laben und erheben kann.

Italien! Italien! da will ich hin. Antonellis Mutter ist da. Auch die will ich sehen. O was gäbe ich darum, daß sie arm wäre, oder sonst meiner Hülfe bedürfte! Gewiß! sie wird mich lieben; denn ich werde ihr von dem Lieblinge erzählen.[135]

Wäre ich die Mutter dieses Sohnes; Könige und Kaiser müßten mir weichen. Ach! hätte ich nur ein Kind! nur ein einziges Kind! Ein solches Wesen, das ich mit Todesquaal mir erkauft, mit Lebensgefahr mir erhalten hätte! – Ich wollte alles! ja Dich selbst wollte ich darüber vergessen.

Nur Geduld! nur Geduld! nur nicht gelächelt! es wird sich alles finden! – In Italien giebt es noch Menschen, die Liebe verstehen. Bauer, oder Bürger, einerley! »Mein Freund – sage ich dann – gefalle ich dir; so mögte ich wohl auf ein Jahr der fünf deine Frau werden. Sind wir glücklich; so geben wir noch vier Jahre zu. Dann drey, dann[136] zwey, und zuletzt hast du die Freyheit, dich alle Jahr von mir zu trennen.

Aber in der Zeit wo du mir gehörst, gehörst du mir ganz. Kein Laufen, kein Gaffen! das sage ich dir! – Ich binde mich; aber auch du bist gebunden. Hältst du nicht Wort; so ziehst du weiter. Aber die Kinder bleiben mir, oder aus der ganzen Sache wird nichts.«

Du merkst wohl, daß ich die wichtigste Klausel zuletzt bringe. Ist er damit zufrieden, dann mag er nach den ersten fünf Jahren schon weiter ziehen, und den größten Theil meiner Reichthümer mitnehmen. Ich bleibe doch reicher als er.[137]

Ob er aber dabey glücklich seyn wird? – O ja! wenn er vernünftig ist, warum nicht? – Ich würde für ihn braten und kochen, ihn warten und pflegen und alles, was mir an Freuden bekannt wäre in unserm Hause versammlen. Aber, die Kinder gehören mir! damit wecke ich ihn des Morgens, und die Kinder gehören mir! wiederhole ich ihm des Abends, und wenn er das nicht vertragen kann; so zieht er weiter; oder zieht gar nicht, weil er nicht kommt.

Nichts von Inconsequenz! die gewöhnlichen Ehen widerstehen mir noch eben so sehr wie vormals. Es ist mir unbegreiflich, warum[138] sich die Leute schlechterdings auf das ganze Leben zusammen schmieden lassen.

Was wäre denn nun dabey verlohren? wenn sie alle vier, oder fünf Jahre gesetzmäßig erinnert würden; wie viel große Ränke des Bräutigams und viel kleine der Braut erfoderlich waren, um des heiligen Joches würdig erachtet zu werden.

Nein! nein! auf kurze Zeit wenigstens müßten sie getrennt, und ohne feyerliche Erklärung nicht wieder verbunden werden.

Denke Dir! alle fünf Jahre eine neue Hochzeit! Welch ein Familienfest! Väter, Mütter, Kinder, Gesinde, alles würde jauchzen, und jede eheliche Frau würde in ihrem[139] Leben ein paar Dutzend Flitterwochen mehr zählen.

Sage nur, warum sind die Menschen nicht längst auf diesen Einfall gekommen? Warum wollen sie schlechterdings vor Langeweile sterben? Bewillkommen sich mit Gähnen Morgens und Abends, und denken auf kein Mittel zur Rettung.

Leb wohl! Auf alles was Du mir schreibst antworte ich Dir nichts; die Zeit wird schon antworten.[140]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 133-141.
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