Siebenter Brief
Reinhold an Olivier

[23] Und, setze ich hinzu, Du wirst wohl thun, sie zu vermeiden. – Doch nein! lieber gleich das Messer an den Schaden! er könnte unheilbar werden.

Also – denn warum soll ich nicht schreiben, was Du denkst? – Antonelli hat seine Munterkeit verlohren, heißt mit andern Worten; er ist sich seiner Empfindung[23] bewußt, seine Unschuld ist dahin, er wünscht Julie zu besitzen, das ist nicht möglich, und er fühlt sich elend.

Julie? ob sie Dich liebt? – Aber hat sie Dir Liebe versprochen? Ich achte Sie, und werde nie einem Andern gehören. Das waren ihre Worte. Hast Du sie vergessen? Woher kommen nun mit einemmale die Träume von Liebe?

Fasse Dich! was hilft der Zorn? was hilft die Reue? – Ich kenne Dich, und will Dich vor Dir selbst zu retten suchen.

Siehe, was vermagst Du über die Vergangenheit? nicht einen Gedanken, viel weniger eine Handlung kannst Du zurücknehmen.[24] Aber die ganze Zukunft, in so fern Dein Wille auf sie wirken kann, hängt von Dir ab. Darum nun fasse sie unerschrocken ins Auge! Was läßt sich von ihr erwarten?

Entweder Du erhebst Dich zur Gerechtigkeit, Du foderst nicht mehr, als sie versprach, und suchst zu verdienen, was Du wünschest. Mag immerhin ihre Sinnlichkeit für einen Andern sprechen, mag es ihr unmöglich seyn, lebhafter für Dich zu empfinden; ihre Pflicht wird die Oberhand behalten. Es ist nicht gedenkbar, es ist schlechterdings unmöglich, daß sie sich jemals zu etwas Unedlem herablasse. Worauf soll nun ein anderer Mann seine Hoffnung gründen? Und was wird aus einer[25] männlichen Liebe ohne Hoffnung? – Sie erstirbt, sie muß ersterben, und alles kehrt wieder in die ruhige Ordnung zurück.

Vielleicht bist Du so glücklich Vater zu werden. Dann ist sie mit tausend Banden an Dich gefesselt. Die ganze Kraft ihres Herzens wird sich in der Mutterliebe erschöpfen. Ihre Welt ist in Deiner Nähe, Du bist der Gott in dieser Welt, und was außerhalb ist wird ihr fremd.

So empfindet eine Julie; oder alles müßte mich täuschen.

Aber wie wird sie bey aller Reinheit und Vortrefflichkeit empfinden, wenn Du der Leidenschaft folgst?[26]

Du ahnest Mangel an Liebe, und fühlst Dich unglücklich. Aber wird Mißtrauen, Härte und mürrische Kälte, das gewöhnliche Gefolge der Eifersucht, diesen Mangel ersetzen? – Wirst Du glücklicher seyn, wenn Du Furcht, dann Mißfallen und zuletzt Abscheu erregst? – O fort, fort mit den Greueln die ich jetzt ahne! Nein! nein! Du wirst, Du mußt das Beste erwählen.[27]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 23-28.
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