Neuntes Kapitel

[30] »Hier her!« – sagte ich im gebietherischen Tone, als er um die andere Ecke des Gartens biegen wollte – »wer hat dir erlaubt, in Mariens Zimmer zu treten?«

Er. Ihre Tante.

Ich. Das ist eine Lüge!

Er. – Indem er mich mitleidig ansah – »Meynen Sie mich?«

Ich. »Dich!« – sagte ich – und griff an den Hirschfänger.

Er. Wollen Sie hauen oder schlagen? – beydes wäre lächerlich; denn ich wette, Sie wissen nicht warum.

Ich. »Bube!« – rief ich, und jetzt flog der Hirschfänger aus der Scheide. – »Bube, ich werde!« –[30]

»Was wirst du, Gustav?« – wiederholte er, indem er ruhig vor mich hin trat – und plötzlich fiel mir die große Narbe in die Augen, die er davon trug, als er mich – ich war damals zehn Jahr alt – vom Pferde riß, in dem Augenblicke, da ich in Gefahr war, geschleift zu werden.

»Was wirst du?« – fragte er noch einmal – und ich lag in seinen Armen.

Nein, ich war nicht böse! – verzärtelt, verzogen, heftig, aufbrausend war ich; keinen Widerspruch konnte ich dulden: darum hatte man auch Heinrich schon vor drey Jahren aus der Gegend entfernt. Aber jetzt, da er, mit so mannichfaltigen Kenntnissen bereichert, zurückkehrte, so fest und doch so sanft, so männlich und doch so kindlich sich anschließend – jetzt mußte ich ihn lieben.

»Ach, Heinrich!« – sagte ich, und drückte ihn fest an meine Brust –[31] »Heinrich! was denkst du von Marien?« –

Er. Daß sie ein Engel ist, und daß ich sie haben müßte, wenn ich sie bekommen könnte, und wenn du sie nicht schon hättest.

Ich. Ach, Gott! ich habe sie noch nicht!

Er. Geduld! Geduld! es wird alles gut werden.

Ich. Ja; aber wann? –

Er. Nun das weiß man freylich nicht; aber sey nur ruhig: ich glaube wirklich, sie liebt dich.

»Heinrich,« – rief ich, und erstickte ihn fast mit meinen Küssen – »woher glaubst du das? woher vermuthest du das?

Er. Ey nun, das läßt sich nicht gut sagen! genug – das war nicht zu verkennen – ihr Auge suchte etwas, was es nicht fand – sie war unruhig, und wollte[32] es verbergen. – Nun? warum denn mit einem Male wieder so tiefsinnig?

Ich. Aber Heinrich, du gabst ihr doch die Rose – warum thatest du das?

Er. Ey, mein Gott! weil ich es nicht lassen konnte.

»O Heinrich!« – rief ich erschrocken – »also thust du doch manchmal etwas blos weil du es nicht lassen kannst!« –

Er. Allerdings! alles Unschuldige, alles, was weder mir noch andern schaden kann, thue ich ohne Bedenken, wenn mich meine Neigung dazu treibt. Oder – wie ich vorhin so leichtfertig weg sagte – wenn ich es nicht lassen kann.

Ich. Ach, Heinrich! du wirst sie lieben.

Er. Ey das versteht sich! ich liebe sie ja schon jetzt.

Ich. Sie wird dich wieder lieben. –

Er. Hahahaha! ich dachte gar! mich,[33] den Pachterssohn! – mich in meiner grünen Jacke! –

Ich. Höre, Heinrich, du mußt mir etwas versprechen.

Er. Nun?

Ich. Du darfst sie nie wieder anrühren. – Wie du schweigst? – Heinrich, was sagtest du vorhin? Du würdest nie etwas Schädliches thun – sieh, dies wäre sehr schädlich; denn, bey Gott, dein oder mein Leben! –

Er. Nun! nun! nur nicht wieder so hastig!

Ich. Heinrich! liebst du mich nicht mehr?

Er. Das ist ja eben das Unglück! gerade weil ich Sie liebe –

Ich. Wie? gerade deswegen wirst du nicht versprechen!

Er. Werde ich versprechen

»O Heinrich!« – rief ich, und schloß[34] ihn aufs neue in meine Arme – »was soll ich für dich thun? was willst du haben?«

Er. Haben! – ich will doch nimmermehr hoffen –

»O sey nicht böse! sey nicht böse!« – sagte ich, und zog ihn mit auf den Weg nach unserm Guthe – »laß uns überlegen, was jetzt anzufangen ist.«[35]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 30-36.
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