Sechstes Kapitel

[197] Jetzt kämpften Dankbarkeit und Eifersucht einen schrecklichen Kampf in meinem Herzen. Ich erinnerte mich des ersten Blickes den Marie auf Heinrich warf – und die Eifersucht wollte die Oberhand gewinnen – aber dann traten wieder alle schönen erhabenen Aufopferungen des Freundes vor mir hin – und die Dankbarkeit siegte.

Nein! – rief ich – nein! er soll nicht reisen! mit ihm verläßt mich mein Schutzgeist! ohne ihn verzweifle ich an mir selbst! nie kann ein menschliches Wesen mir das werden, was er mir war. – Wohlan! es ist Zeit, daß auch ich einmal ihm und der Tugend ein Opfer bringe! –[197]

Schnell eilte ich auf sein Zimmer; aber man sagte mir, daß er im Garten sey. Hier suchte ich ihn lange vergebens; bis ich ihn endlich einen langen Gang tief mit sich selbst beschäftigt, hinauf gehen sah.

Leise folgte ich ihm nach. Er sprach mit sich selbst und ich hörte Mariens Namen und den meinigen. Aber was war das, was er mit so heißen Küssen und mit Thränen bedeckte? jetzt stand er am Ende des Ganges, ich dichte hinter ihm. – Gott! es war Mariens Bild! – ein lauter Ruf des Schreckens verrieth mich; er kehrte sich um und wir verstummten vor einander.

»Nimm es!« – sagte er endlich – »damit keine Erinnerung mir übrig bleibe!

»Woher? – stammelte ich, und die Eifersucht erwachte mit allen ihren Quaalen.

Von mir selbst – antwortete er – Ich mahlte es in Neapel aus der Phantasie,[198] als mich die Sinnlichkeit am schrecklichsten bestürmte. Es hat mich gerettet. –

»Verräther!« – schrie ich wüthend und riß ihm das Bildniß aus der Hand – »warum nicht auch mich? ach Schlange, die ich in meinem Busen nährte, jetzt kenne ich dich! und wohl mir, daß ich dich kenne, ehe du das Herz noch ganz mir zernagst! –

Geh! verlaß mich, ich werde keine Thräne um dich weinen! O der unerhörten Treulosigkeit! er hatte das Mittel, mich zu retten, und er gebrauchte es nicht! – Nur einen einzigen Blick auf diese himmlischen Züge, und ich wäre nie bis zum Thiere hinabgesunken! Aber ich sollte sinken! ich sollte, damit er allein! – o ich darf es nicht ausdenken! ich darf nicht! –

»Unglücklicher!« – rief er – als ich dies Bild mahlte; warst du schon ohne[199] Rettung verloren. Ich gehe! mögest du dir selbst vergeben, so wie ich dir vergebe. Noch war ich zweifelhaft, ob ich dich verlassen dürfte; aber jetzt bin ich es nicht mehr. Ich habe nur gelobt, mich nicht von dir zu trennen, bevor du es selbst verlangtest. Du hast es verlangt – ich bin meines Wortes entbunden.«

Leb wohl! genieße ein Glück, worauf ich um deinetwillen Verzicht gethan hatte – was ich dir mit der Ruhe meines Lebens erkauft haben würde.

Leb wohl und vergiß mich, wenn du kannst.[200]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 197-201.
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