Zehntes Kapitel

[84] So lange das Bekenntniß der Liebe noch nicht über Sophiens Lippen gekommen war, herrschte eine schöne Mäßigung in ihrem Betragen; aber jetzt fing diese an immer mehr zu verschwinden.

Sie hatte mir ihren guten Ruf, ja sogar ihre freundschaftlichen Verbindungen aufgeopfert; jetzt wollte sie alles in mir wiederfinden. Ich ward ihr Abgott; und alle ihre Gedanken und Empfindungen bezogen sich nur auf mich.

Unser ganzes Verhältniß war mit einem Male verwandelt. Das Wesen, das vormals so weit über mich erhaben schien, lag jetzt zu meinen Füßen, verehrte meine[84] Worte wie Orakelsprüche, und zitterte, wenn ich die Stirn runzelte.

Welcher Mann hätte ein solches gänzliches Dahingeben ertragen, welcher Mann hätte es verdienen können! – mich bethörte es so sehr, daß ich von dem achtungsvollsten Betragen zur beleidigendsten Unart überging.

Aber gerade das stille, von aller Leidenschaft entfernte Wesen war es ja auch, was mein unruhiges Herz zu Sophien geneigt hatte. – Ich wähnte, sie sollte mich heilen, sie sollte über die Stürme des Lebens mich erheben – und ach! jetzt ward sie selbst davon ergriffen. Was ich suchte, was ich liebte, war verschwunden – ich Grausamer hatte selbst nicht geruht, bis es zerstört war.

Ihr unglücklichen Weiber! wie könnt ihr so thöricht seyn, eure ganze Glückseligkeit den Händen eines Mannes, eines[85] angebohrnen Feindes, zu vertrauen! – Nein, wollt ihr euch nicht dem schrecklichsten Elende Preiß geben: sucht immerhin uns glücklich zu machen, aber hofft es nie durch uns zu werden.[86]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 84-87.
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