Drittes Kapitel

[61] »Ein Ball? – ja das lasse ich mir gefallen! – Marie – wer weiß – o Gott wenn es möglich wäre! – ja! ja ich nehme es an! überdem finde ich dort eine Menge Bekannte, und kann bey der Gelegenheit am besten eine Auswahl treffen.«

Da war ich denn mitten unter einem Haufen geschminkter und ungeschminkter Schönen. – Ach, ich suchte ein Mariengesicht, aber es war nicht zu finden. Nackte Arme, zur Schau ausgestellte Busen, übermäßig zärtliche Augen. – Das alles wirkte freylich auf meine Sinne, aber mein Herz fühlte sich dennoch verwaist.[61]

Indem nun Sinnlichkeit und Schmerz sich meiner abwechselnd bemeisterten; fiel es mir auf, daß Alt und Jung, sobald der Tanz geendigt war, nur immer nach einer Seite des Zimmers hinströmte.

Neugierig drängte ich mich vor, die Ursache davon zu entdecken, und wurde zu meinem größesten Erstaunen, mitten in einem Zirkel von jungen Männern und blühenden Mädchen eine Person gewahr, welche weder schön noch jung und beynahe in ein sehr einfaches graues Kleid verhüllt war.

»Unbegreiflich!« – sagte ich zu meinem Nachbar – wegen dieser Person drängt sich alles dahin! –

Er. Sehr begreiflich; wenn man sie kennt.

Ich. Aber wer ist sie denn?

Er. Die Tochter des berühmten R.

[62] Ich. Mein Gott, die Freundinn meiner Tunte! ich habe ein Empfehlungsschreiben an sie; aus Furche habe ich es noch nicht abgegeben.

Er. Wovor fürchten Sie sich denn?

Ich. Himmel, eine alte Jungfer! –

Er. Ja, aber was für Eine! –

Ich. Wahrhaftig, Sie könnten mich neugierig machen! –

Er. Das wünsche ich um Ihrentwillen.

Ich. Wohl gar eine Gelehrte?

Er. Freylich, wenn Sie es so nennen wollen. Doch wenn Sie selbst kein Gelehrter sind; so können Sie Jahre lang mit ihr umgehen, ohne etwas davon gewahr zu werden.

Ich. Nun, das nenne ich mir ein Wunder!

Er. In der That, ein Wunder von Sanftmuth, Bescheidenheit und überschwenglicher Herzensgüte.

[63] Ich. Sie werden ja recht warm.

Er. So wie jeder, der von ihr spricht.

Ich. Aber wie konnte diese Person unverheurathet bleiben?

Er. Ihr Bräutigam starb; und nachher hat sie sich zu keiner Verbindung wieder entschließen können. Aber was fehlt Ihnen? Sie werden blas.

»Wahrscheinlich die eingeschlossene Luft« – sagte ich stotternd und eilte nach Hause.

»Ach Unglückliche!« – rief ich – »so fandest du nie wieder, was du verlorst! und doch hast du das Leben ertragen. Dich muß ich kennen lernen!«[64]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 61-65.
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