Sechstes Kapitel

[72] »Was willst du?« – rief ich ihm ärgerlich entgegen – »doch wohl nicht den Krankenwärter machen?«

»In der That, das war meine Absicht!« – sagte er, indem er mich mit seinen großen redlichen Augen unbeschreiblich theilnehmend ansah.

»Du begreifst aber,« – fuhr ich ungeduldig fort – »daß das nicht angeht. – Sollen wir der guten Person zwey Menschen statt Einem aufbürden?«

Er. Sie hat mich aber selbst darum gebeten.

Ich. Wer?

Er. Mlle. R.[72]

»Ich will nach Hause! ich will nach Hause!« – rief ich, von Fieberhitze glühend – und in dem Augenblicke trat Sophie herein.

»Mein Gott! was ist denn vorgefallen?« – fragte sie erschrocken.

»Ich will nach Hause!« – rief ich abermals – »Sie haben keine Zeit, mich zu warten! jetzt ist es auch einerley, ob ich genese!« –

Das Fieber nahm zu, und von nun an wußte ich nicht mehr, was mit mir vorgieng.

Einst dünkte mich, ich erwache von einem langen schmerzhaften Traume. Da sah ich Sophien schlummernd an meiner Seite sitzen. Ihr Kopf hatte keinen Ruhepunkt und wollte so eben auf eine scharfe Ecke des Bettes sinken, als ich ihn leise mit meinem Arme auffing.[73]

Aber in dem Augenblicke fühlte ich einen so lebhaften Schmerz, daß ich nur mit der äußersten Anstrengung einen lauten Schrey zurückhalten konnte.

Ich bemerkte Binden an meinen Armen, sah eine Menge Flaschen und Schachteln auf dem Tische, und fing an zu muthmaßen: daß das Alles wohl mehr als ein Traum seyn könnte.

Die Uhr schlug zwey, das Nachtlicht brannte sehr dunkel; aber ich konnte demohngeachtet eine große Veränderung in Sophiens Gesichte wahrnehmen.

Die schöne Ruhe war aus ihren Zügen verschwunden, und ein leidenschaftlicher Gram schien an die Stelle derselben getreten zu seyn.

»Große, liebenswürdige Seele!« – dachte ich – »bin ich es? – hast du um mich getrauert? – Ach so war deine Ruhe auch nur Täuschung, und so vermag[74] der Gram über dich, was er über uns alle vermag! – Was werde ich hören müssen! – Wie viel magst du für mich gelitten haben!« –[75]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 72-76.
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