Erster Tag

Eine Art von Gebrüll – mich dünkte es die lieblichste Musik – hatte mich schon um 8 Uhr geweckt.

Ich eilte ans Fenster um meine Augen an den interessanten Urhebern dieser kraftvollen Töne zu weiden, und entdeckte zu meiner innigsten Freude einen Trupp junger Conscribirter, welche zum besten der Freiheit ihre Lungen auf das Uneigennützigste angriffen.

Ich konnte mich nicht enthalten etwas zur Vollstimmigkeit des Chores beizutragen, und ward durch den Beifall der Amazoninnen[11] des Zuges für meine Anstrengung hinlänglich belohnt.

Aber jetzt trat Herr Lamare, der Wirth des Hotels, herein, um die Befehle des Citoyen Baron zu vernehmen, und um ihm einen Citoyen Laquais vorzustellen, der als ein Muster von Treue und Geschicklichkeit berühmt war.

Die Treue des Citoyen Laquais mogte um so verdienstlicher seyn, da sie ihm nichts weniger als leicht zu werden schien.

Ich würde damals schon diese Bemerkung gemacht haben, wenn mich nicht die Anrede: »Mylord anglois!« plötzlich überzeugt hätte, daß ich mich und meine Garderobe keinem liebenswürdigerem Manne, als dem Citoyen Provence, anvertrauen könne.

Er beurlaubte sich mit einem Entrechat, um sein neues Amt sogleich anzutreten, und der Citoyen Lamare hatte die Güte, noch etwas bey mir zu verweilen, um mich durch[12] wiederholte »que Dieu me damne!« zu versichern; daß er mich eben so, wie der Citoyen Laquais, für einen englischen Lord gehalten habe.

»Grade deswegen wären mir die besten Zimmer zu dem sehr billigen Preise von 40 Louisdo'r monathlich eingeräumt worden. Der Lord schwebe ihm noch immer auf der Zunge, und blos die unendliche Achtung vor meinen Befehlen dränge ihn zurück.«

»Ich bekenne – setzte er hinzu – daß ich von jeher, trotz meines Patriotismus, ein unbeschreibliches Foible für die deutsche und englische Nation gehabt habe.«

»Gott soll mich verdammen, wo mir nicht ein einziger solider Fluch d'une telle ame noble lieber ist, als alle leeren Caressen der andern misère

»Nein, ich werde es mir stets zur Pflicht machen, diese liebenswürdige Jugend[13] auf das redlichste zu bedienen, und habe daher auch den berühmtesten Officier de Sante an mein Haus attachirt.«

»Der Citoyen Ramy wird noch heute die Ehre haben Ihnen aufzuwarten, und ich bin überzeugt, daß seine mannichfaltigen Talente von außerordentlichem Nutzen für Sie seyn werden.«

Ich versicherte nun zwar, »daß ich mich vollkommen wohl befände,« – aber der Citoyen Lamare betheuerte: daß man in dieser Stadt nicht vorsichtig genug seyn könne.

Während er noch beschäftigt war, mir die Gefahren, denen ich mich aussetzen würde, zu schildern, trat der Citoyen Ramy mit einer Zuversicht herein, die alle meine Zweifel verstummen machte.

Diese Zuversicht war um so nothwendiger, da er, wie so mancher großer Mann, dem Anstande und der Figur nach, sehr[14] leicht mit einem Marktschreyer hätte verwechselt werden können.

Nachdem er den Citoyen Baron, in der Hauptstadt der Welt, auf das lauteste bewillkommt hatte, ermahnte er den Citoyen Lamare sich des Glückes würdig zu machen, einen so liebenswürdigen jungen Mann zu bewirthen.

Man kennt mich hier schon – fuhr er fort, nachdem er den Herrn Wirth durch ein Zeichen entfernt hatte, – und weiß, daß ich über gewisse Dinge keinen Spas verstehe. Wird der Citoyen Baron nicht gehörig bedient, so hat er sich deswegen nur an mich zu wenden.«

»Nun, wie stehet es denn mit unsern Adressen, Bekanntschaften, u. s. weiter? – indem er sich sehr bequem auf ein Sopha niederließ – hat man Sie guten Häusern empfohlen?« –[15]

»Wenigstens schienen sie es meinen Freunden zu seyn.«

»Ah ha! scheinen! scheinen und seyn! mein geliebter Freund!« –

»Hier sehen Sie selbst,« – sagte ich, indem ich meine Brieftasche öffnete. –

»Nun ja! nicht übel! – aber doch nicht hinreichend für Ihre Reputation, für Ihren Eintritt in die Welt.« –

»Alle diese Häuser sind von einer Parthei – zu monoton. – Verschiedenheit der Meinungen, Abwechslung der Gegenstände, das ist es, was einen jungen Mann bildet.«

»Na! Na! lassen Sie mich nur machen! will Sie schon einführen. – Kenntniß des Terrains! Kenntniß des Terrains, das ist jetzt die Hauptsache. Um Gottes willen keinen Schritt ohne mich! könnten sich schrecklich embrouilliren!« –[16]

»Nun wie ists? – schon eine kleine Societé für diesen Mittag engagirt?« –

»Noch nicht.«

»Hm – hm – schlimm – darf ich nicht zugeben – werden mir hypochondrisch – dürfen nicht allein essen. – Die vermaledeyten Einladungen! – hat man zehnmal abgeschlagen, muß man doch endlich einmal annehmen. Könnte ich mich nur losmachen! – nun, erwarten Sie mich bis zwey Uhr. Ich will mein Möglichstes thun. – Sans adieu! ich muß zu meinen Kranken!«

Jetzt meldete der Citoyen Provence eine Menge Kaufleute, Schneider, Schuster, Tanz- Musik- Sprach-Fecht- und Gott weiß, was alles für Meister.

Diese nebst meiner Toilette unterhielten mich vollkommen bis zum Mittagsessen.

Man hatte aufgetragen und – wie rührend! – der Officier de santé erwartete mich schon an der Tafel.[17]

Wir wurden durch zwey junge Citoyens bedient, welche mir mit sehr vieler Grace ankündigten: daß sie die Ehre hätten mir anzugehören.

»Wie ist das möglich?« – fragte ich etwas erstaunt. –

»Der Citoyen Lamare hat uns engagirt.«

»Sonderbar!« – fuhr ich fort –

»Gewöhnlich! ganz gewöhnlich!« – wiederholte der Doctor. –

»Le Citoyen Baron kann ohne drey Leute kein Haus machen. Aber laissons cela! hier sind wichtigere Dinge! – Von wem ist der Wein?« –

Le Sieur Jasmin nannte zitternd den Namen.

»Poison infernal!« – rief der Doctor »daß man sich nicht unterstehe dem Baron dieses Geschmier vorzusetzen. Feder! Papier! – Hier« – fuhr er fort – »ist[18] der Name eines ehrlichen Mannes. Hundert Flaschen, fürs Erste, bis ich selbst komme und ein ordentliches Assortiment für den Baron ausnehme.

Jasmin flog, und ich drückte dem Doctor dankbar die Hand.

Ce n'est rien mon enfant« – sagte er – »ich ärgre mich nur, daß man sich erfrecht, so etwas in einem Hause zu unternehmen, wo ich ein und ausgehe. – Nichts mehr davon! Guillaume den andern Gang.«

Jetzt kam der Wein, und der Doctor bewies nun auf das Ueberzeugendste; daß er ihn für nichts weniger als schädlich halte.

Aus Gefälligkeit für mich ward die Tafel ziemlich verlängert, und kaum daß wir noch bey meinem Banquier eintreten konnten, so hatte auch schon die Uhr zur Oper geschlagen.[19]

Die Realisirung meiner Wechsel machte nicht die geringste Schwierigkeit, und der Doctor ward dadurch in eine wahrhaft rosenfarbene Laune versetzt.

Jetzt ging es in die Oper, und die armen Hände des Officier de santé kamen nur in den Zwischenacten zur Ruhe.

Wie gern hätte ich ihm beygestanden, aber die fürchterlichen Rouladen der Primadonna und die grausenhaften Verrenkungen des ersten Tenors erschütterten mich so sehr, daß ich eine unüberwindliche Mattigkeit in allen Gliedern fühlte.

Der Doctor versicherte mir, daß es mehrerern Ausländern so gehe. Man müsse erst für die hohen Schönheiten dieses Meisterspiels empfänglich gemacht werden, um sie ganz zu genießen.

Ich gab das zu, und versprach: mein Möglichstes zu thun. Indessen vertröstete er mich auf das Ballet, und machte mich[20] besonders auf eine Tänzerin aufmerksam, welche ein Muster von uneigennütziger Liebenswürdigkeit seyn, und sich durchaus von den Personen ihres Standes unterscheiden solle.

Ihre Figur war in der That sehr anziehend, und ich hatte nichts dawider, als der Doctor mir vorschlug, ihr, nach einem geendigten Solo unsre Aufwartung zu machen.

Hatten wir auf dem Theater ihre Lebendigkeit bewundert, so mußte man gestehn, daß sie hinter den Coulissen alle Vorstellung übertraf.

Ein Dutzend junger Citoyens wurden dergestalt von ihr in Athem erhalten: daß sie alle Geistesgegenwart zu bedürfen schienen, um der schnellfüßigen Göttin nach Würden zu huldigen.

Aber ein Wink meines Begleiters, und sie hatten vollkommen Zeit neuen Weihrauch zu sammeln.[21]

Der Citoyen Baron ward mit einer Theilnahme bewillkommt, die ihn freylich sehr stolz, aber auch herzlich verlegen machte.

Sein holprichtes Französisch ward jetzt noch ein klein wenig holprichter, und ein Pas de deux, wozu die Citoyenne Rose abgerufen ward, konnte nicht erwünschter für ihn kommen.

Wir eilten zurück in die Loge, und der Doctor vertraute mir: daß er die Erlaubniß erhalten habe, mich noch heute zum Souper bey der liebenswürdigen Freundin einzuführen.

Wie viel Glück auf einmal! – Alle Ermahnungen des Doctors, die Kunst der Tänzer zu bewundern, waren vergebens. – Ich versank aus einem süßen Traum in den Andern, und nur die Besorgniß: ob ich mich auch angenehm genug darstellen würde, – konnte mich für eine kurze Zeit erwecken.[22]

Jetzt war das Schauspiel geendigt; unser Wagen rollte vor das Hotel der Citoyenne Rose, und wir wurden in einem mit asiatischer Ueppigkeit möblirten Saale auf das Schmeichelhafteste bewillkommet.

Die Citoyenne stellte mir ihre Mutter vor. Auch ward ich mit einer Freundin des Doctors bekannt gemacht. Er war gütig genug, diese sogleich in eine lebhafte Unterhaltung zu verwickeln, wahrscheinlich um mir Zeit zu lassen, der liebenswürdigen Rose eine vortheilhafte Meynung von mir einzuflößen.

Mit der bewundernswürdigsten Leichtigkeit ergänzte sie meine schülerhaften Ausdrücke, und kaum war eine Viertelstunde vergangen, als wir uns so gut verstanden, als man sich nur immer verstehen kann.

Bey Tische mußte ich an ihrer Seite sitzen, und da eine Parthie Whist vorgeschlagen ward, erklärte sie durchaus keinen andern Theilnehmer haben zu wollen.[23]

Der Champagner und diese berauschenden Aeusserungen waren freilich nicht sehr vortheilhaft für meine Börse. In Kurzem hatte ich 80 Louisd'or verspielt, und da meine schöne Nachbarin dey dem Verwechseln der Kleider ihr Geld vergessen hatte, so war der Doctor so gütig, mir eine Rolle von 50 Louis vorzuschießen.

Die 80 Louisd'or hatte Mama in Sicherheit gebracht, die 50 gingen zu der Hausfreundin über, und da das Glück diesen Abend – wenigstens im Spiele – sich schlechterdings nicht für mich erklären wollte, so beschloß man mit seinen Launen bis morgen Geduld zu haben.

Die liebenswürdige Rose schenkte mir noch einen theilnehmenden Blick, man packte mich in meinen Wagen, und meine drey Citoyens trugen mich zu Bette.[24]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 9-25.
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