Sechszehntes Capitel.

Die Wespe.

[174] Der Junker schwamm in Seligkeit. Er hatte die Fräulein in der Oper gesehen, und sprach in lauter Dithyramben. So sehr ich ihn liebte, konnte ich mich doch nicht enthalten, sie zu hassen. – »O wenn du dich entdecken dürftest!« – dachte ich – »Welcher Triumph, sie vergessen zu sehen!« –

Ich erzählte ihm mein Abentheuer, und er lachte herzlich darüber. Ach! er wußte nicht, daß ich nur für ihn glühte, und er nährte das Feuer, ohne es zu ahnen. Ich bekam Erläuterungen, die mir völlig neu waren;[175] aber sie machten meine Neugierde nur noch größer.

Eines Nachmittags war er auf dem Sopha eingeschlafen. Ich trat in das Zimmer, und erblickte jene schöne Erscheinung, die ich das erstemal im Bade gesehen hatte. Tausend liebliche Erinnerungen flogen vor meinen Augen vorüber, aber die Gegenwart schien sie alle zu übertreffen.

Ich näherte mich ihm so leis als möglich; kaum wagte ich zu athmen. Welche reizende Fülle! Welche liebliche Mischung! Meine Augen verschlangen ihn! Eine süße Wollust schien meine Nerven zu durchbeben; aber ich fühlte dennoch, daß sie unvollkommen war.

Er lächelte, als ob er träumte; ich hätte ihn küssen mögen! Ich konnte mich nicht enthalten, mich über ihn hinzubeugen, und seinen Athem einzuhauchen. Aber mein Finger[176] bebte leis an dem seinigen hin, und er erwachte. – »Das ist ja eine infame Wespe!« – sagte ich, und wurde über und über roth. – »Stellen Sie sich vor, gnädiger Herr! sie wollte Ihnen zum Aermel hineinkriechen.« –

»O Gustel!« – sagte er zärtlich – »Ich habe von ihr geträumt! Ich fand sie allein, und wir küßten uns!« – Er wollte fortfahren, als ein anderer Offizier hereintrat, und meine Gegenwart überflüssig war.

Voll von dem schönen Ideale, welches ich eben gesehen hatte, erinnerte ich mich an alles, was Jettchen gethan und gesagt hatte. Meine Phantasie schuf Bilder zusammen, die ich erst lange nachher berichtigen konnte; aber meine Leidenschaft wurde nur desto heftiger.

Es ist mit der Liebe, wie mit einem Uhrwerke. Wenn es einmal aufgezogen ist, muß man es ablaufen lassen!

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 174-177.
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