Mittagstille

[119] Alles blau und mittagstill und einsam.

Ich liege in der Düne unter einer Fichte und sehe so ins Weite ...

Keine Seele rings! ... nur am Brückenkopf in einem Kahn drei Mädchen ... alle drei in hellen Kleidern und mit weißen Mützchen.

Sie klettern herum und lachen, wie Mädchen lachen ... dann stoßen sie ab und rudern hinaus ... die in der Mitte immer stehend.


Ich schließe die Augen und höre auf das Klappen der Ruder ... man hört ja so weit an der See ...


Nun singen sie ... und ...

eine seltsame Sehnsucht überrinnt mich ... eine Sehnsucht wie nach Heimat, Kindertagen und Kinderlachen ... ein Gewirr von bunten flatternden Fahnen ist um mich her ...

Mädchen, Knaben, Maien tragend ...[120]

und plötzlich sehe ich meine Mutter ... auf dem kleinen Balkon nach der Straße ... hinter ihren Blumentöpfen ... so wie sie immer stand ... nach mir aussehend und mir zuwinkend, wenn ich wieder einmal in die Heimat kam ... mit dem weißen Haar, mit den großen guten Augen und mit den vielen, vielen Furchen im Gesicht ...

Ja, ja! das weiße Haar und die vielen, vielen Furchen! ... und ich gäbe sonst was darum, die alte Frau einmal hier haben zu können und ihr das Meer zu zeigen, das sie nie gesehen und immer doch so lieb hatte ... so, so blau aber und so still und frei und heiter ...

Das Meer, denk ich mir, müßte den Menschen gut machen, sagte sie immer ...

o! ... ich gäbe sonst was darum ...


Und plötzlich ... bricht das Singen auf dem Wasser drüben ab ...

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 119-121.
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