Zwischen Sommer und Herbst

[4] ... Wenn Sichel und Sense durch das Korn rauscht ... jenes leise Dengeln am Abend ... scharf, hart, und doch, ich weiß nicht: müde, wie Reue, wie heimliches Weinen! ... und ein paar Schnitterinnen, auf dem Heimweg, über die Felder hin, ein Lied singend ...

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»Du bist der scheidende Sommer, ich bin der sterbende Wald!«

Nach Heine.


Vielleicht kommt doch einmal die Zeit, auch für dich, da die Gärten im Schatten liegen, Marie-Anne, und die Rosen in heimlicher Sehnsucht dem Sonnenstrahl nachflattern, der da mit müder Hast sich durch das Laubgehänge zum Park hinaussucht, als flüchte er vor dem Spott des Satyrs Herbst, der grinsend am Torgitter lehnt ... die Zeit, da das Lied des Vogels stille geworden[5] in den Wipfeln und die Wälder schweigsam und reglos stehen in nebelspinnender Dämmerung.


Noch zwar leuchtet der Sommer in üppiger Jugendpracht, mit glühender Wange, mit bebender Lippe und schwellender Brust, berückend, liebeverlangend, verführerisch, schön ... schön ... wie du mir entgegentratst, Marie-Anne: morgens, wie das Frührot den Tag weckt: frische Blumen in der Hand, vorm Fenster gepflückt, verzehrende Glut im dunkeln Auge, verhaltene Leidenschaft in der Stimme, mit wogender Brust, traumglühend, sehnsuchterregt, liebeverlangend, verführerisch, schön ... schön ... wie du ... wenn du vom Mondlicht überflutet, im verschwiegenen Zimmer, die weißen Arme um mich schmiegtest und der Duft deines Körpers wie sengende Lohe in mein Blut zischte ... noch leuchtet der Sommer in üppiger Jugendpracht ... vielleicht kommt aber doch einmal die Zeit, auch für dich, da die Gärten im Schatten liegen und die Rosen der Sonne nachflattern, Marie-Anne![6]

Denkst du noch jener ersten frühen Zeit ... ehe jene Stunden kamen am See ... wie glücklich wir zusammen! fröhlich und selig wie Kinder, über nichts jubelnd und jauchzend?!

Denkst du noch jener Abende dann, da wir die Arme umeinander, die Gartenhalde entlang gingen, beim Aveläuten vom Tal her ... und das Märchenweben der Sommernacht mit seiner stummen Sehnsucht uns überglühte, daß Lippe sich auf Lippe verlor und kaum satt zu werden vermochte in seligem Durst?!

Denkst du noch, wie glücklich wir da waren, damals ... und dann ... nachher ... bis jene Stunden kamen am See?!


Und es könnte noch so sein, es könnte noch sein, wie es war! denn noch leuchtet der Sommer in üppiger Jugendpracht ... wenn du nicht müde wärest und verdrossen und ...

lächeltest ... jenes feine, schmerzende Lächeln verglühter Leidenschaft ... wenn ich, wie sonst, deine Hand einmal nehme und an die Lippen drücke[7] oder ... allzu stürmisch vielleicht ... meinen Arm um deinen Hals schlingen möchte ...

ich täte dir weh! sagst du, und ... und ... »es ist so schwül und schwer und ich bin müde!«


Ja ... ich tue dir weh! und es ist so schwül und schwer und du bist müde!

sommermüde! ...

Sichel und Sense rauscht durchs Korn und wie windvertragenes Dengeln klingt es herüber, scharf und hart, halb Reue, halb Sehnsucht, wie heimliches Weinen ... und die Glockenlaute vom Tal her ... wie ein Aveläuten unserer Liebe! ... Was ich auch tue, ich tue dir nichts mehr zu Freude, ich tue dir nichts mehr zu Dank! ... Vielleicht aber kommt doch einmal die Zeit, auch für dich, da die Gärten im Schatten liegen, Marie-Anne, und du zurückdenkst an deinen Weggenossen von einst, dem nichts zu viel war für dich und der da sorgte für dich, wie ein Vater für sein Kind und der an dir hing, wie ein Kind an seiner Mutter, ... den du aber ... laufen[8] ließest, wie man einen ... laufen läßt, dessen man eben müde geworden ...

vielleicht kommt doch einmal die Zeit, da du siehst, was du verloren, da es dir leid tut, nicht froher gewesen zu sein, da dich ein Heimweh überschleicht nach jenen Tagen unseres Kinderglücks und du wie die Rosen mit heimlicher Sehnsucht dem Sonnenstrahl nachflattern möchtest, der mit müder Hast durchs Laubgehänge sich zum Park hinaussucht, als flüchte er vor dem Satyr am Torgitter ...

die Zeit, da das Lied des Vogels stille geworden ist in den Wipfeln und die Gärten im Schatten liegen, Marie-Anne!

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 4-9.
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