36. Der Frommen

[507] Die Schönste heißest du, wenn Schönheit schöne macht,

die Keuscheste von Zucht. Doch laß' ich mir behagen,

dir vor der Frömmigkeit den Namen anzutragen,

die aus den Augen dir mit kluger Einfalt lacht.


Mund trifft mit Herzen zu. Der Schönheit sanfte Pracht

gibt deiner Demut nach. Es kommen Viel' und fragen,

wie kan ich ihnen doch was mehr und bessers sagen,

als was sie hatten schon bei sich von dir gedacht?


Dein Ansehn redt für dich, das sittige, das liebe,

in welches die Natur die Treflichkeit ganz schriebe,

die in der Seelen liegt und hell erglänzt, wie sehr


sie auch sich in sich hält. An Menschen nur sind Mängel

und was verwerflich ist. Au dir, du reiner Engel,

ist ganz Verwerflichs nichts, ist ganz nichts Menschlichs mehr.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 507.
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