61. An Dulcamaren

[518] Wie kan ich ohne Haß, dich, Dulcamara, lieben,

du Bittersüße du? Bald bist du gar zu gut,

bald, wenn ein schlechter Wahn ersteiget deinen Mut,

so steht mein naher Tod an deiner Stirn geschrieben.


So lange hast du nun diß Spiel mit mir getrieben.

Sag', ob dir meine Pein denn also sanfte tut,

ob dich mein Frohsein schmerzt? so weiß ich, teures Blut,

daß ich bei Lust und Not die Maße mehr muß üben.


Wär' ich, wie du gesinnt, so könt' auch ich, wie du,

bei gleichem Mute sein inzwischen Müh' und Ruh,

inzwischen Leid' und Lust bei einem Herzen stehen.


So, weil ich standhaft bin, weichst du ohn' Unterlaß.

Wie kan es anders sein? Ich muß zu Grunde gehen

durch dicht, gehaßtes Lieb, durch dich, geliebter Haß.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 518.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte