Balaklawa

[162] Der Angriff der Leichten Brigade,


25. Oktober 1854


(Frei nach Alfred Tennyson)


»Eine halbe Meil', eine halbe Meil',

Auf Sattel und Schabracke,

Vor, in Sturmeseil',

Vor, zur Attacke.

Zählt nicht der Kanonen Zahl,

Hinein, hinein ins Todestal ...«

(Alle hören's verwundert)

»Vorwärts, Leichte Brigade, vor« –

Und hinein ins Feuer- und Höllentor

Reiten die Sechshundert.


Leichte Brigade, der Siegespreis

Ist heute hoch, ist heute heiß,

Aber kein Murren, nicht laut, nicht leis,

Keines, obwohlen ein jeder weiß,

's ward irgendwo geblundert –[162]

Vorwärts; sie fragen und zagen nicht,

Vorwärts; sie wanken und schwanken nicht,

Vorwärts, gehorchen ist einzige Pflicht,

Ins Todestal,

In voller Zahl,

Reiten die Sechshundert.


Vorwärts! Kanonen rechts und links,

Kanonen in Front, gewärtig des Winks,

Selbst die Feinde sehen's verwundert.

Schrapnell und Kartätschenschuß,

Todesgruß und Todeskuß,

Falle, was da fallen muß,

In den Höllenrachen, ins Todestal,

Noch voll in Zahl,

Reiten die Sechshundert.


Säbel heraus! Die Klingen fein

Blinken und blitzen im Sonnenschein,

Und die Leichte Brigade, nun ist sie hinein,

Fast über sich selber verwundert;

Ihre Säbel, in Rauch und Pulverqualm,

Singen manch einem den letzten Psalm,

Aber endlich, aus Qualm und Rauch

Und ermattet bis auf den letzten Hauch,

Abgejagt und abgehetzt,

Müssen sie rückwärts, rückwärts jetzt –

Nicht mehr Sechshundert.


Kanonen rechts, Kanonen links,

Kanonen im Rücken, gewärtig des Winks;

Verdoppelt jetzt Salv' um Salve kracht,

Rückwärts, rückwärts wogt die Schlacht,

Und wen es aus dem Sattel schoß,

Den Reiter zertritt sein eigen Roß,

Das Fahnentuch mit flatterndem Band

Geht schon in dritt' und vierte Hand,

Ist zerschossen und zerzundert,[163]

Der Tod mäht rascher von Schritt zu Schritt,

Leichte Brigade, was bringst du noch mit?

Dein Siegesritt war ein Todesritt,

Ein Todesritt der Sechshundert.


Wird je verblassen euer Ruhm?

Nimmer. Ihr strahlt in Heldentum,

Und die Welt, sie staunt und wundert.

Hoch unsre Balaklawa-Schlacht,

Und die Leichte Brigade, die's gemacht,

Hoch die Sechshundert!


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 162-164.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon