Die Brück' am Tay

[165] (28. Dezember 1879)


When shall we three meet again?

Macbeth


»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«

»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«

»Am Mittelpfeiler.«


»Ich lösche die Flamm.«

»Ich mit.«


»Ich komme vom Norden her.«

»Und ich vom Süden.«

»Und ich vom Meer.«


»Hei, das gibt einen Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«


»Und der Zug, der in die Brücke tritt

Um die siebente Stund'?«

»Ei, der muß mit.«

»Muß mit.«


»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand!«


Auf der Norderseite, das Brückenhaus –

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht

Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,

»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,

Ich, der Edinburger Zug.«[165]


Und der Brückner jetzt: »Ich seh' einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,

Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd' alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein, –

Und in elf Minuten ist er herein.«


Und es war der Zug. Am Süderturm

Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.

Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,

Die bleiben Sieger in solchem Kampf.

Und wie's auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter, das Element.


Und unser Stolz ist unsre Brück';

Ich lache, denk' ich an früher zurück,

An all den Jammer und all die Not

Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab' ich im Fährhaus zugebracht

Und sah unsrer Fenster lichten Schein

Und zählte und konnte nicht drüben sein.«


Auf der Norderseite, das Brückenhaus –

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu;

Denn wütender wurde der Winde Spiel,

Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel',

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.[166]


»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«

»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«

»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«


»Ich komme.«

»Ich mit.«

»Ich nenn' euch die Zahl.«

»Und ich die Namen.«

»Und ich die Qual.«

»Hei!

Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«


»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand.«


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 165-167.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Cleopatra. Trauerspiel

Cleopatra. Trauerspiel

Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.

212 Seiten, 10.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon