Am Jahrestag

[42] (27. September 1888)


Heut ist's ein Jahr, daß man hinaus dich trug,

Hin durch die Gasse ging der lange Zug,

Die Sonne schien, es schwiegen Hast und Lärmen,

Die Tauben stiegen auf in ganzen Schwärmen.

Und rings der Felder herbstlich buntes Kleid,

Es nahm dem Trauerzuge fast sein Leid,

Ein Flüstern klang mit ein in den Choral,

Nun aber schwieg's – wir hielten am Portal.


Der Zug bog ein, da war das frische Grab,

Wir nächsten beide sahen still hinab,

Der Geistliche, des Tages letztes Licht

Umleuchtete sein freundlich ernst Gesicht,

Und als er nun die Abschiedsworte sprach,

Da sank der Sarg, und Blumen fielen nach,

Spätrosen, rot und weiße, weiße Malven,

Und mit den Blumen fielen die drei Salven.[42]


Das klang so frisch in unser Ohr und Herz,

Hin schwand das Leid uns, aller Gram und Schmerz.

Das Leben, war dir' s wenig, war dir' s viel?

Ich weiß das eine nur, du bist am Ziel,

In Blumen durftest du gebettet werden,

Du hast die Ruh' nun, Erde wird zu Erden,

Und kommt die Stund' uns, dir uns anzureihn,

So laß die Stunde, Gott, wie diese sein.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 42-43.
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