Zwölftes Kapitel

[389] Diese Korrespondenz zwischen den zwei jüngeren Geschwistern setzte sich bis in den Februar hinein fort, wenig zur Freude Theresens, die gelegentlich einen von Leos Briefen las und es jedesmal beklagte, daß sich »das Poggenpuhlsche so weit verirren könne«, wobei sie übrigens der Schwester die Hauptschuld zumaß. »Meiner Meinung nach«, so hieß es regelmäßig, wenn dies Thema zur Sprache kam, »ist der ganze Briefwechsel überhaupt überflüssig; wenn er aber stattfinden soll, so möcht ich wohl, daß er einen andern Inhalt hätte. Du wirst ihn noch ganz zu dir hinüberziehen, in jene gesellschaftliche Sphäre, darin du dich leider wohl und immer wohler fühlst. Du willst nicht einsehen, daß die Welt, die du leichtfertig und hochmütig, und bloß um dich zu mokieren, als die ›christlich-germanische‹ bezeichnest, daß diese Welt mehr bedeutet als ein halbes Dutzend Gersons – denn so viele werden es doch wohl nachgerade sein. Es kommt auf das innerliche Leben an, nicht auf das äußerliche: die Äpfel mit der schönen Schale sind meist wurmstichig.«

»Und die grauen Reinetten überdauern den ganzen Winter.«

Therese zuckte die Achseln und brach ab, nahm auch nicht Veranlassung, darauf zurückzukommen, und zwar um so weniger, als sich das, was ihr die Mama in dieser Streitsache begütigend gesagt hatte, sehr bald erfüllen sollte. »Laß doch die beiden«, so etwa waren die Worte der Majorin bei jener Gelegenheit gewesen, »du solltest doch Leo kennen und wissen, wie wenig das alles auf sich hat. Heute will er das und morgen das. Ehe drei Wochen um sind, hört die Schreiberei zwischen ihnen von selbst auf.« Und so kam es auch. Leo schloß sich,[389] noch ehe der Januar zu Ende ging, einem katholischen Geistlichen an, der Dogmenstrenge mit Skat und Fidelität glücklich zu vereinigen wußte, welche neue Bekanntschaft denn auch sofort verhängnisvoll für die weitere Erörterung der Esther- und Flora-Frage wurde. Sie starb sehr bald ab.

Ja, die Korrespondenz nach Thorn hin erlosch rasch, aber die zwischen Sophie und Manon setzte sich fort, und keine Woche verging, ohne daß ein Brief aus Adamsdorf eingetroffen wäre, meistens gleichzeitig mit einer sorglich gepackten Kiste, deren Eintreffen Friederike, wenn sie sie öffnete, jedesmal mit derselben Rede begleitete: »Wieder frische Eier und alle eingewickelt und in Häcksel. Ja, das laß ich mir gefallen, gnäd'ge Frau. Denn erstens kriegt man keine frischen, wenn es auch draufsteht, und zweitens sind Eier doch immer besser, als was eben erst geschlachtet is. Ente geht noch, weil Ente fett ist; aber schon bei Hühnern fängt es an, und ist es gar Kalb, dann hat es immer einen Stich... Un ich werde auch gleich eins kochen, gnäd'ge Frau; Sie müssen sich auch mal was gönnen. Es ist wahr, Sie haben ja die Bonbons, aber das gibt keine Kraft un is bloß von wegen den Husten.«

Sophiens Briefe teilten sich, der Zeit nach, in solche, die sich mit ihrer fortschreitenden Genesung und, als diese schließlich da war, mit ihrer malerischen Tätigkeit beschäftigten. Diese Briefe zu lesen war immer ein Vergnügen, und einzelne davon nahm Manon sogar mit zu Bartensteins, um sie da zum besten zu geben, aber freilich meist nur, wenn der Alte zugegen war, der so was gern hörte, während die Damen eigentlich nur aus Artigkeit folgten. Flora (vielleicht weil sie wegen eines geplanten Ausfluges nach Olympia gerade Neugriechisch lernte) hatte eine Neigung, alles »unbedeutend« zu finden, was Manon, so verliebt sie in die Freundin war, doch bestimmte, mit ihren Mitteilungen schließlich etwas zurückhaltender zu sein.

In einem dieser Briefe hieß es: »Ich bin jetzt bei der Sündflut, die ja, wenn man will, auch ins Landschaftliche fällt. Wasser ist doch auch Gegend, und Gegend ist Landschaft. Und was denkt Ihr nun wohl, wie meine Sündflut aussieht? Ganz anders[390] wie andre, was ich, ohne unbescheiden zu sein, sagen darf, weil die Idee nicht von mir, sondern von Onkel Eberhard herrührt. Und auch eigentlich nicht von ihm, wie Ihr gleich hören werdet. Als ich mich nämlich vorige Woche beim Tee dahin äußerte, daß ich jetzt an die Sündflut herangehen wolle, sagte der Onkel: ›Ja, Fiechen, wie denkst du dir das nun eigentlich? Oder richtiger, ich will es gar nicht wissen, ich will dir lieber gleich sagen, wie ich es mir denke und wie ich es mir wünsche. Als ich noch in Berlin bei »Alexander« stand, war ich mal auf Besuch in einer benachbarten Dorfkirche, drin viele Bilder waren, auch eine Sündflut. Und aus der Sündflut ragte nicht bloß, wie gewöhnlich, der Berg Ararat mit der Arche hervor, nein, neben dem Ararat befand sich auch noch in geringer Entfernung ein zweiter Berg, und auf diesem zweiten Berge stand eine Kirche. Und diese Kirche war genau die kleine märkische Dorfkirche mit einem Laternenturm und sogar einem Blitzableiter, in der wir uns in jenem Augenblick gerade befanden. Und das hat damals einen so großen Eindruck auf mich gemacht, daß ich dich bitten möchte, du machtest es auch so und ließest auch zwei Kuppen aufsteigen und auf der zweiten Kuppe stände die Kirche von Adamsdorf. Das heißt die protestantische. Wenn sich die Katholiken darüber ärgern, können sie sich ja ihre Kirche auch malen lassen. Ich stehe zu Martin Luther und der reinen Lehre. Darin, denke ich, bin ich ein fester Poggenpuhl.‹ Ich erschrak erst, als der Onkel das sagte, weil ich es mir alles anders gedacht hatte, da's aber kein Entrinnen gab, so gab ich mich zufrieden, und jetzt, wo's beinahe fertig ist, hab ich mich in die Idee ganz verliebt. So kindlich es mir anfänglich vorkam und auch noch vorkommt, so hat es doch zugleich eine tiefe Bedeutung; als die alte Sündenwelt unterging und die neue ›bessere, sich aufbaute, war das erste, was neu erschien (denn die Tiere waren ja noch aus der alten Welt), die Kirche jenes kleinen märkischen Dorfes und jetzt also die von Adamsdorf. Es war, als ob Gott sie gleich dahin gestellt habe. Natürlich kann man darüber lachen, aber man kann sich auch darüber freuen. Und Du, meine liebe[391] Mama, die Du ja Gott sei Dank aus einem frommen Predigerhause bist, Du wirst es schön finden und den Onkel Eberhard noch lieber haben als zuvor. Er ist auch wirklich ein kapitaler Mann. Soviel über die Idee zu dem Bilde. Und nun wirst Du Dich nur noch wundern, wo und wie ich, die ich das Meer nie gesehen, die Vorstellung dazu hergenommen und zu meiner Sündflut verwandt habe. Nun höre. Vielleicht erinnerst Du Dich noch der Partie, die wir vorigen Herbst mit Bartensteins machten, alle dritter Klasse, was Bartensteins noch so sehr amüsierte. Dritter Klasse Ringbahn und bis Bahnhof Stralau. Und als wir da hoch oben ausstiegen, hoch wie der Berg Ararat, da lag der Rummelsburger See mitsamt der Spree wie eine mächtige Wasserfläche vor uns. Dieses Panorama hab ich für mein Bild benutzt. Der Bahnhof ist der Ararat, der Rummelsburger See die Sündflut. Auf stürmische Bewegung, weil ich doch sozusagen nur den Schlußakt der Sündflut gemalt habe, glaubte ich, ohne dadurch unkorrekt zu werden, verzichten zu können.«


Briefe verwandten Inhalts trafen öfter ein, unter denen einer, der Sophies »Untergang von Sodom und Gomorrha« beschrieb, des alten Bartenstein ganz besondern Beifall weckte. »Das ist eine Mahnung«, hatte er sich damals gegen Manon geäußert, ohne übrigens anzudeuten, wen er dadurch gemahnt sehen wollte.

Fiechen lebte sich inzwischen immer mehr ein, und je länger sie bei den Verwandten weilte, desto lebhafter wandte sie sich, neben ihren Malereien, auch den häuslichen Angelegenheiten von Schloß Adamsdorf und ganz besonders dem Charakter der Frau vom Hause zu. Gespräche, die sie, wenn sie gemeinschaftlich um die große Parkwiese gingen, mit der Tante führte, teilte sie, wenn es paßte, ganz ausführlich nach Hause hin mit. Einmal schrieb sie: »Wir haben gestern wieder unsern Spaziergang gemacht, um die große Wiese herum, in deren Mitte sich ein Gehege mit ein paar jungen Rehen befindet, reizenden Tiere, die ich auch noch zu verwenden hoffe. Da mit einmal, ich weiß[392] nicht mehr in welchem Zusammenhange, sagte die Tante: ›Ja, deine Schwester Therese. Sie wird nicht recht zufrieden mit mir gewesen sein und mich vielleicht bei euch verklagt haben, weil ich damals in Pyrmont nicht Lust bezeigte, mich der Fürstin von Wied vorstellen zu lassen, worauf sie beständig drang, und als ein Korso war, wollte ich nicht mit in der Reihe fahren und noch weniger die Pferdegeschirre mit Rosengirlanden ausstaffieren lassen. Es erschien mir alles unpassend, und ich hab es ihr auch frank und frei gesagt. Therese, wie das so oft geschieht, hat eine falsche Vorstellung von meiner Vermögenslage, die mal glänzend war, aber es nicht mehr ist. Es liegt mir daran, dich über diese Dinge, die ziemlich kompliziert sind, aufzuklären. Ich bin aus einer einfachen bürgerlichen Familie, die klein und arm anfing und es nachher zu Reichtum brachte. Da heiratete mich mein erster Mann, der damals nichts besaß, und kaufte sich Schloß Adamsdorf, denselben Besitz, der schon früher einmal, als es aufhörte Kloster zu sein, in seiner Familie war und dann verlorenging. Er war ein vollkommener Kavalier, und wir führten eine sehr glückliche Ehe, in der übrigens, was das Vermögen angeht, die Rollen sehr bald gewechselt wurden. Mein Geld nämlich ging verloren, und wir hätten Adamsdorf wieder aufgeben müssen, wenn nicht mein Mann durch Todesfälle ganz unerwartet ein ziemlich bedeutendes Vermögen geerbt hätte. Das hat uns an dieser Stelle gehalten. Aber alles, was wir besitzen, ist dadurch wieder Leysewitzisch geworden und muß den Leysewitzes verbleiben, was dein Onkel auch von Anfang an gewußt hat und guthieß. Ich habe das seltene Glück erfahren, in zwei Ehen zwei gleich treffliche Männer zur Seite gehabt zu haben. Alles hat sich zum Guten für mich gefügt, aber diese glückliche Gestaltung der Verhältnisse darf ich auch nicht vergessen und muß danach leben. Es liegt so: Von allem, was du hier siehst, haben wir nur den Nießbrauch; Schloß, Gut, Vermögen, alles fällt zurück, und weil es so ist, habe ich haushalten gelernt. Und du, du bist ein gutes und kluges Kind und kannst mir in allem folgen. Therese, die, wenn ich Andeutungen der Art machte, kaum mit halbem[393] Ohr hinhörte, wollte nicht recht daran glauben. Das ist immer so. Was einem nicht paßt, das glaubt man nicht gern.‹

Ja, liebe Mama, das war es, was die Tante mich wissen ließ. Es wird ganz gut sein, wenn Therese davon erfährt. Aber in Deiner Antwort bitte ich Dich, all dieser Dinge, trotzdem sie mir wahrscheinlich mitgeteilt wurden, um sie Dich wissen zu lassen, nicht zu erwähnen; ich bin daran gewöhnt, Deine und der Schwestern Briefe beim Frühstück vorzulesen, und eine auf diese meine Mitteilungen bezügliche Antwortstelle würde mich nur in Verlegenheit bringen.

Im übrigen hab ich seit vielen Wochen nichts von den Brüdern gehört. Wendelin, das fällt nicht auf, er schrieb immer nur Pflichtbriefe. Aber Leo? Mitunter ängstige ich mich doch und denke, sein nächster Brief kommt aus Kamerun oder Namaqualand. Ehe nicht seine Verhältnisse geordnet sind, kommt er nicht zur Ruhe. Aber wo soll diese Ordnung herkommen?«


Es war Ende Mai, als Sophie diesen Brief schrieb, und sie vermied klugerweise, das darin behandelte Thema noch einmal zu berühren. Es genügte ihr, daß ihr Brief seine Wirkung getan und das ungerechte Kritteln der älteren Schwester in eine gerechtere Beurteilung umgewandelt hatte.

Das stille Leben in Schloß Adamsdorf nahm mittlerweile seinen Fortgang und erfuhr nur einen Wandel, als der Hochsommer heran war und die Tante, eine passionierte Schlesierin, allwöchentlich einmal auf eine Fahrt ins Gebirge drang. Abwechselnd fuhr man bis Schreiberhau oder Hermsdorf oder Krummhübel, um dann von diesen Punkten aus höher ins Gebirge hinaufzusteigen, nach Kirche Wang oder dem Mittagsstein, oder selbst bis zu den Schneegruben. Sophie skizzierte irgendeine Szenerie für ihre alttestamentlichen Bilder und sagte dabei: »Das ist Abrahams Grab, das ist der Sinai, das ist der Bach Kidron.« Ihr größtes Vergnügen aber war immer, wenn auf dem Heimwege, da, wo man das Fuhrwerk zurückgelassen hatte, noch einmal Rast gemacht und das Tun und Treiben der Berliner »Sommerfrischler« beobachtet wurde. Das gab dann[394] jedesmal Heiterkeitsstoff für die Rückfahrt, und Onkel Eberhard wurde nicht müde zu versichern: »Ja, diese Berliner, man mag sie nun lieben oder hassen, amüsant sind sie, und ihnen so zuzusehen ist immer wie ein Schauspiel. Eigentlich ist es auch wirklich so was; denn sie kucken sich immer um, ob sie auch wohl ein Publikum haben, vor dem sich's verlohnt, den Vorhang aufzuziehen.«

An den Bildern für die Kirche wurde den ganzen Sommer über fleißig weitergearbeitet. Ende August war Sophie schon bei »Saul in der Höhle« (die Höhle dazu hatte sie dicht bei den Kräbersteinen entdeckt), und Saul selbst war halb Onkel Eberhard, halb der Kretschamwirt, der einen Vollbart trug und einen bösen Blick hatte. David aber war der Assessor. Onkel Eberhard freute sich aufrichtig am Fortschreiten der Arbeit und versicherte jeden Tag, daß er nie geglaubt hätte, von einer solchen Sache soviel Freude haben zu können. Er erging sich dann auch in wohlgemeinten Äußerungen über Künstlerleben überhaupt und nahm alles zurück, was er in seinen früheren Jahren darüber gesagt hatte. »Man kann darüber lachen, aber es ist doch immer eine kleine Schöpfung. Und schaffen macht Freude. Wenigstens kann ich mir nicht denken, daß Gott die Welt aus Verdrießlichkeit geschaffen hat.«

»Mancher sieht doch so aus, Onkel.«

»Ja, Fiechen, da hast du recht. Mancher sieht so aus. Aber was kommt nicht alles vor! Und das einzelne beweist nichts. Das ist ein fataler Zug jetzt bei den Menschen, daß sie den Ausnahmefall zur Regel machen wollen. Und wenn sie sich dabei nur was Hübsches aussuchten! Aber nein, was recht Häßliches muß es sein. 's war freilich vor dreißig Jahren auch nicht viel besser. Ich hab es noch erlebt, wie das mit den Affen aufkam und daß irgendein Orang-Utang unser Großvater sein sollte. Da hättest du sehen sollen, wie sie sich alle freuten. Als wir noch von Gott abstammten, da war eigentlich gar nichts los mit uns, aber als das mit dem Affen Mode wurde, da tanzten sie wie vor der Bundeslade.«

Das war gerade am zweiten September, daß Onkel Eberhard[395] und Sophie dies Gespräch hatten, oben in der Giebelstube, die die Adamsdorfer Herrschaften ihrer Nichte zum Atelier eingerichtet hatten. Eine Stunde später fuhr der Onkel nach Hirschberg, wo der Sedantag wie herkömmlich festlich begangen werden sollte. Natürlich auch durch eine Rede auf Kaiser Wilhelm. Und diese Rede, wie nicht minder selbstverständlich, hatte der alte General von Poggenpuhl zu halten, dem dabei schlechter zumute war als bei St. Privat im allerverflixtesten Moment. Sonst, wenn er die schöne Fahrt durchs Tal machte, lachten ihn die Felder in ihrem Segen an, aber heute sah er nicht, wie der Hafer stand, er sah ihn überhaupt nicht, sondern memorierte in einem fort und sagte sich in wachsender Unruhe: »Jetzt ist es eins. Noch drei Stunden, dann fängt mein Leben erst wieder an und vielleicht auch mein Appetit. Bis dahin ist es nichts.« Er hatte denn auch Kopfweh, ein leises Ticken an zwei Stellen, das sich bei der beständig wiederkehrenden Frage: »Wenn ich nun steckenbleibe?« natürlich noch steigerte. Zuletzt aber fand er sich auch darin zurecht oder resignierte sich wenigstens. »Und wenn ich nun wirklich steckenbleibe, was ist es denn am Ende? Zu meiner Zeit konnte überhaupt keiner reden, und das wissen die Vernünftigen auch. Außerdem hab ich die Einleitung ganz intus, und wenn ich merke, daß ich mich zu verwickeln anfange, so sag ich bloß: ›... Und so möcht ich Sie denn fragen, Sie alle, die Sie hier versammelt sind, sind wir Preußen? Ich bin Ihrer Antwort sicher. Und in diesem Sinne fordre ich Sie auf...‹ Und dann das Hoch.«

All das gab ihm seine Haltung einigermaßen wieder, aber er blieb trotzdem in einem gewissen Fieber, und dies hielt auch noch an, als der schreckliche Moment bereits vorüber war. Vielleicht lag es auch daran, daß er gleich nach seinem Hoch ein großes Glas herben Ungar heruntergestürzt hatte. Nach dem Kaffee überfiel ihn ein Schwindel. Es ging aber wieder vorüber, und in bester Laune brach er schließlich auf. Die Sterne funkelten; es war schon herbstlich frisch, und er fröstelte. »Höre, Johann«, sagte er, »hast du nicht eine Zudecke?«[396]

»Nein, Herr General; ich werde aber meinen Mantel ausziehen.«

Aber da kam er schön an. »Unsinn, Menschen Rock vom Leibe ziehen; ich, ein Poggenpuhl.« Und in solchen Ausrufungen sprach er noch eine Weile weiter.

Es war ein Uhr, als er in die Dorfgasse einfuhr. Im Schlosse war noch ein alter Diener auf, ebenso Sophie. Die sah schon auf dem Flur, wie verändert er war. »Onkel, du frierst so, soll ich noch einen Tee machen oder eine Stürze?«

»Unsinn. General Poggenpuhl ...«

Es klang so sonderbar, und Johann sagte zu Sophie: »Gott, Fräulein, so sagt er schon immerzu. Ich glaube, er ist sehr krank.«


Er war sehr krank. Doktor Nitsche, der am andern Morgen gerufen wurde, bemerkte zu der Tante: »Gnädige Frau, wir müssen nasse Tücher aufhängen und ein mattes Licht und vollkommene Ruhe«; zu Sophie aber sagte er: »Typhus, mein gnädiges Fräulein.«

»Wird er wieder?«

Er zuckte die Achseln.

Quelle:
Theodor Fontane: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Band 7, Berlin und Weimar 21973, S. 389-397.
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