4. Leasowes

[825] Hoch in den Ulmenwipfeln sauste der Wind, rauh und kühl streifte er an uns vorüber, und die grauen Wolken von vielen Schattirungen jagten sich, stürzten sich schnell über einander her, ließen Sonnenblicke durchfallen, und das Blau des Himmels zeigte sich von Zeit zu Zeit durch zerrissne Öffnungen des Gewölkes. Da umfing uns ein dunkler Schattengang von allerlei Laubwerk. Noch sauste der Wind über uns; aber er berührte uns nicht mehr: wir vernahmen das sanfte Rieseln des Waldbachs, an dem unser Pfad sich hinschlängelte, und stiegen an mancherlei Gebüschen hinab in das Thal, bis wo sich der Bach zu einem stillen Flüßchen sammelte und leise dahin schlich im Gebüsche. Bald, zwischen den überhangenden Zweigen, öffnete es sich in einen stillen Wasserspiegel, dessen Gränze man nicht übersah. – Wenige Schritte brachten uns an den lieblichen See. Hinter uns war ein schöner Grashügel, vorn ein Dorfkirchthurm, und seitwärts blökende Lämmer mit ihren Müttern. Hier stürzte sich ein neues Gewässer ins Becken.

Eine Moosgrotte am Bach, der in unendlichen Kaskaden zwischen dem Gebüsch und grünen Kräutern silbern herabfällt.


Am Sitze steht die Inschrift:


GULIELMO SHENSTONE

QUI HUJUSCE RURIS AMOENITATES

NEC GRATAS OLIM NEC COGNITAS

INGENIO SUO INDACAVIT

LITTERIS EXORNAVIT

MORIBUS COMMENDAVIT

SEDEM CUM RIVO

DEDICAT

E.M.
[825]

Und gegenüber auf einer Anhöhe zwischen Taxus und hohen Eichen eine schöne Urne:


GENIO LOCI.


Weiter durch einen Kranz von Eichen, Buchen und Weißpappeln wand sich der Pfad hinan um eine Waldwiese, längs den Gränzen dieses Zaubergebiets, längs Hügeln mit Acker, Weide und Schatten gekrönt, bis wir an einen schönen Grashügel kamen, wo, umringt von hohen Fichten ein alter Krug auf einem hölzernen Gestelle steht. – Hier schwebte das Auge hin an die äußerste Gränze des Horizonts, und ruhete zuerst auf den Wrekin, dem fernen Gebirg' im blauen Nebelduft, und zog sich dann näher in die durch ein ander kreuzenden Berge und Thäler. Diese zeigten in unbeschreiblicher Mannichfaltigkeit ihre Zierde von hundertfältig schattirtem Grün, und ihre stets abwechselnden Umzäunungen, ihre schönen Formen, ihre Waldungen, ihre hoch emporstrebenden schwarzen Thurmspitzen, ihre weißen von der Sonne beschienenen Kirchthürme, Windmühlen, große weit ausgebreitete, in den Thälern ruhende Dörfer, zerstreuete Wohnungen, und den unnennbaren Reichthum in ewig abgeänderter Schönheit des Wuchses, der Gruppirung und des Laubes emporstrebender Bäume. Näher endlich unter unsern Füßen das ganze liebe Dichterland, und große Hügelrücken prangend mit grünen Saaten, und der Bach, der sich breit um den Hügel windet, von Erlen beschattet, die ihre Zweige in das Wasser senken, und Reihen schlanker, junger, leichtbewipfelter Eichbäume, die den Umkreis in allerlei Richtungen durchschneiden, und blühendes Gebüsch, welches die Wohnung des Eigenthümers halb versteckt.

Einige Schritte weiter öffnet sich eine neue Aussicht. – Ein Sitz in einem Gothischen offenen Kapellchen, zu beiden Seiten mit hohen Eichbäumen, deren Äste sich gatten. Zwischen ihnen geht die Aussicht über eine beschränkte, aber nicht minder schöne Gegend von großem Reichthum.

Bei einer weit ausgebreiteten Wiese, wo man das Wasser im Gebüsche halb versteckt sieht, giebt ein kleines Wäldchen rechts, Lions walk, dichten Schatten. Das Wasser bildet einen Teich, der sich an den Gipfeln unter die Bäume zieht, und von mehreren Seiten kleine rieselnde Zuflüsse aus den Gebüschen[826] erhält. Unter den verflochtenen Wurzeln einer schönen Buchengruppe, an einem moosigen Felsen, läuft ein silbernes Fädchen Wasser, und stürzt sich einige Schuhe tief plätschernd hinab. Über die Wurzeln der Bäume stiegen wir den Hügel hinan. Wie braust der Sturm, wie stürzt der Regen hinab! Kaum schützen uns hier die dichten Buchenschatten. Auf dem Sitze steht:


Hîc latius otia fundit

Speluncae vivique lacus, hîc frigida Tempe

Mugitusque boum mollesque sub arbore somni.


Hilf Himmel, welch ein Guß! Dieser dicht belaubte Gang schützt uns nicht mehr! Dort seh ich ein Sacellum. Wir wollen die Laren um Erlaubniß bitten, an ihrem Herde zu stehen. Es ist Pans Tempel.


Pan primus calamos cera conjungere plures

Edocuit; Pan curat oves, oviumque magistros.


Auf dieser modernden Bank läßt es sich ruhen und verschnaufen, und den langen, langen geraden Pfad durchsehen, den wir so schnell hierher durchlaufen sind. Hier können wir uns trösten über die plötzliche schneidende Kälte in diesen Irrgängen. Ist es doch, als paßten sich Ort und Wetter und Benennung! Siehe da ein heller Sonnenblick! Wir eilen weiter.

Wir steigen herab an der Gränze, längs Wiesen und Schatten, die sich weit hinter den Wohnhäusern hin ziehen. Plötzlich ein Wald! Ein Pfad windet sich schnell hinab in die jähe Tiefe; unten rauscht kühner und mächtiger der klarste Waldstrom dieses Ortes; ein schäumender Sturz über die dickbemooste Felsenbank aus einer heiligen Grotte mit Epheu bekleidet, mit Stechpalmen umwunden, schleunigt seinen Lauf; und immer wieder stürzt die Welle mit neuer Jugendkraft die Bahn der Zeit sich hinab. Wer ist der Schutzgeist dieser Schatten? wem spielt die Najade? wen verkündigt diese feierliche Stille des Waldes? Ha! ein Obelisk!


GENIO P. VIRGILII MARONIS

LAPIS ISTE CUM LUCO

SACER ESTO.
[827]

Und ein Sitz!


CELEBERRIMO POETAE

JACOBO THOMSON

PROPE FONTIS ILLI NON FASTIDITI

G.S.

SEDEM HANC ORNAVIT.


Quae tibi, quae tali reddam pro carmine dona?

Nam neque me tantum venientis sibilus austri,

Nec percussa juvant fluctu tam litora, nec quae

Saxosas inter decurrunt flumina valles


Am Baum:


Sweed Najad in this crystal wave

Thy beauteous limbs with freedom lave,

By friendly shades encompast, fly

The rude approach of vulgar eye;

Yet grant the courteous and the kind

To trace thy footsteps unconfin'd,

And grant the swain thy charms to see,

Who formd these friendly shades for thee.

R. Dodsley


Diesen wunderschönen Hügel krönt eine Gruppe blühender, dickbelaubter Roßkastanien. Wir müssen uns ihren heiligen Schatten nahen. Wie? diese Schatten verbergen einen Tempel? Umhüllt mit blühendem Geisblatt, umpflanzt mit Kiefern und Tannen, steht hier eine alte Abtei in Gothischem Geschmack, deren Inneres zum Wohnhaus einer alten Dienerschaft eingerichtet ist. Ein Zimmerchen hat der Besitzer für sich. –

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 825-828.
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