XXI

[670] Antwerpen


Es kostet eben keine große Mühe, in einer Stadt, die Raum für zweimal hundert tausend Menschen enthält, zwischen den übrig gebliebenen vierzig tausend Einwohnern sich hindurch zu drängen; das bloße Sehen ist es, was uns am Abend ermüdet auf unser Zimmer zurück treibt, wo ich Dir heute noch erzählen will, welche Schätze der Flammändischen Kunst in diesen Paar Tagen vor uns die Schau und Musterung haben aushalten müssen. Was wir gesehen haben, ist nur ein sehr geringer Theil der in Antwerpen noch vorhandenen Gemälde; alle Kirchen, Abteien und Klöster, deren es hier mehr als dreißig giebt, sind über und über mit den Meisterwerken Niederländischer Maler behängt; das weitläuftige Rathhaus, die Säle der Bürgerkompagnien, und die Börse, enthalten manches große und von Kennern gepriesene Werk, und außerdem zählt man verschiedene erlesene Privatsammlungen von kleineren Stücken. Wenn die Menge dieser Kunstgebilde mit ihrem Werth in einem direkten Verhältniß stände, so müßten sowohl Maler als Liebhaber der Malerei nach Antwerpen wie nach Rom wallfahrten und Jahre lang sich an dem Fleiße, der Geschicklichkeit und der Erfindungskraft der Niederländischen Meister weiden; doch daß es wirklich nur zu selten geschieht, das setzt die hiesigen Schulen tiefer unter die Italienischen herab, als meine Lobsprüche sie wieder heben können.

Die Malerei umfaßt einen so großen Kreis von Fertigkeiten und Kenntnissen, daß unter Hunderten, die sich ihr widmen, kaum Einer zu irgend einer auszeichnenden Stufe gelangt, und folglich wahre Künstlergröße auf diesem Wege so schwer zu erringen ist, wie in jener von Homer und Pindar betretenen Laufbahn. Ob ein Marmorblock, oder zerriebene Farben,[670] oder die Elemente der Sprache den rohen Stoff ausmachen, den der Künstler bilden soll: dies kann in so weit gleichgültig seyn, als nur die Arbeit den Werth des Kunstwerks bestimmt; und diese Arbeit nun – nach welchem andern Verhältnisse läßt sie sich schätzen, als dem gedoppelten, des innern Werthes und Reichthumes der schaffenden Seele, und des Grades der Vollkommenheit, in welchem sie sich mit ihrer Schöpfung identificirte? Oder sollte es hier wirklich nicht auf das erstere, nicht auf die Humanität des Künstlers ankommen? sollte nur die Gabe darzustellen, gleichviel was dargestellt würde, den Meister bezeichnen? Dann freilich giebt es keine größeren Maler als Douw und Miris und Metsü; dann könnte es sich treffen, daß ein Harlekin der größte Schauspieler genannt zu werden verdiente; dann hieße das Geklingel und Geklapper der Sylben, und die, wie Paul Denners Köpfe, bis auf jedes Härchen mühsam, ekelhaft und geschwätzig nach dem Leben kopirten Sittengemälde unserer Idyllenschmiede das non plus ultra der Dichtkunst.

Unstreitig hat die bloße Nachahmung der Natur schon ihr großes Verdienst; sie ist die unnachläßliche Bedingung zu weiteren Fortschritten. Es setzt sogar in allen drei Künsten, die ich eben erwähnte, ein weit getriebenes Studium, einen gewissen Umfang der Kenntnisse, der Erfahrung und Übung voraus, um nur den Mechanismus, so der Farbenmischung und Farbengebung, wie der metrischen Bewegungen und ihrer Anwendung, oder endlich der Mimik und Deklamation, auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Vielleicht aber liegt es schon in der Natur menschlicher Anlagen, daß gemeinhin bei der Concentration aller Kräfte auf diese mechanischen Vorübungen, die Fähigkeit zu den höheren Zwecken der Kunst hinanzusteigen, verloren geht oder wohl gar von Grund aus schon fehlt. In der Mechanik der Kunst konnten die Niederländer selbst einen Raphael übertreffen; allein wer seine Formen sieht, in seinen Gemälden Gedanken liest und Gefühle ahndet, den umfassenden, erschöpfenden wählenden Sinn darin erkennt, womit der hohe Künstler den Menschen und sein Treiben durchschaute – wird ihm der nicht die kleinen Mängel seiner Palette gern erlassen? Ich möchte fast noch weiter gehen, ich möchte mich überreden, daß den[671] größten Meistern so viel von diesem Machwerk zu Gebote gestanden, als sie gerade zur Vollkommenheit ihrer Darstellung bedurften, daß die üppige, wollüstige Vollendung eines Tizian den Eindruck hätte stören können, den Raphaels erhabener Ernst hervorbringen sollte. So viel ist wenigstens gewiß, daß die Darstellung der Griechischen Gottheiten darum bereits außerhalb der Gränzen der Malerei zu liegen und ein ausschließendes Eigenthum der Bildhauerei zu seyn scheint, weil das irdische Kolorit großentheils die Täuschung vernichtet, welche das idealisirte Ebenmaaß allein bewirken kann; die vortreflichsten gemalten Göttinnen und Götter sind weiter nichts, und machen keinen andern Eindruck, als schöne Frauen und Männer. Wenn ich diese Bemerkung auf solche Gegenstände anwende, die der Malerei vorzüglich angemessen sind und in deren Bearbeitung sie eigentlich ihre höchste Vollkommenheit erreicht, so dünkt es mich auch hier, daß der heroischen Natur, der idealischen Schönheit der ästhetischen und sittlichen Größe eine gewisse Täuschung, nicht nur der Formen, sondern auch der Farbengebung, nothwendig zugestanden werden müsse, welche mit dieser Einschränkung noch gedenkbar, und gleichwohl über jede gewöhnliche und bekannte Natur hinwegschwebend, den Charakter des Erhabenen ausdrückt. Würde nicht, zum Beispiel, die Wärme, womit es erlaubt ist eine Danaë, eine Leda oder eine Kleopatra zu malen, dem Bildniß einer Heiligen übel anstehen? Oder dürfte sich der Maler schmeicheln, wenn er die Himmelfahrt der Jungfrau schildert, die Phantasie des Zuschauers befriedigen und bestechen zu können, wofern er nicht die Vorstellung eines schweren, materiellen Körpers von Fleisch und Blut so viel als möglich durch die Illusion des Kolorits zu entfernen suchte?7

Den Künstlern kann man es nicht oft genug wiederholen, daß die treue Nachahmung der Natur keinesweges der Zweck der Kunst, sondern nur Mittel ist; daß Wahrscheinlichkeit ihr mehr als Wahrheit gilt, weil ihre Werke nicht zu den Wesen der Natur gehören, sondern Schöpfungen des menschlichen[672] Verstandes, Dichtungen sind; daß die Vollkommenheit dieser Geistesgeburten desto inniger empfunden wird, je unauflösbarer die Einheit und je lebendiger die Individualität ihres Ganzen ist; endlich, daß Schönheit ihr vollendendes äußerliches Gepräge und zugleich ihre inwohnende Seele bleiben muß. Vermittelst dieser Bestimmungen erklärt man sich leicht, warum in ächten Kunstwerken die Darstellung zuweilen so treu und wahr seyn kann, wie in bloßen Kopien nach der Natur; da hingegen umgekehrt der genielose Fleiß, auch wenn er täuschend genau darstellt, auf den Namen der Kunst, im höheren Verstande, keinen Anspruch machen darf. So würde es ebenfalls die Scheidung des Wesentlichen in der Kunst von dem Zufälligen sehr erleichtern, wenn man erwöge, daß sogar die rohesten Völker, die entweder einen höchst unvollkommnen oder noch gar keinen Trieb zu materiellen Kunstgebilden äußern, bereits wahre Poësien besitzen, welche, verglichen mit den geglätteten und künstlich in einander gefügten dichterischen Produkten der verfeinerten Kultur, diesen oft den Preis der Gedankenfülle, der Stärke und Wahrheit des Gefühls, der Zartheit und Schönheit der Bilder abgewinnen. Man begreift, wie diese Eigenschaften das einfache Hirtenlied, die Klagen und das Frohlocken der Liebe, den wilden Schlachtgesang, das Skolion beim Freudenmale und den rauschenden Götterhymnus eines Halbwilden bezeichnen können; denn sie gehen aus der schöpferischen Energie des Menschen unmittelbar hervor und sind unabhängig von dem Vehikel ihrer Mittheilung, der mehr oder minder gebildeten Sprache. Spröder ist der todte, körperliche Stoff, welchen der bildende Künstler außer sich selbst suchen muß, um seine Einbildungskraft daran zu offenbaren. Statt des conventionellen Zeichens, des leicht hervorzubringenden Tones, muß er die Sache selbst, die er sich denkt, den Sinnen so darzustellen suchen, wie sie sich im Raum geberdet, und hiermit werden alle Einschränkungen seiner Kunst offenbar. Die mechanischen Vortheile in der Behandlung des rohen Materials, die aus dem inneren Sinne zur äußern Wirklichkeit zu bringende, richtige Anschauung der Formen, die Erfahrung, welche den Künstler lehren muß, seinen Tiefblick durch die Veränderungen der äußern Gestalt bis in die Modifikationen[673] der Empfindung zu senken, und jene sinnlichen Erscheinungen als Zeichen dieser inneren nachzubilden – dies alles fordert einen ungeheuren Aufwand von Zeit und vorbereitender Anstrengung, wovon der Dichter, der sich selbst Organ ist, nichts zu wissen braucht. Je schwerer also die Darstellung und je längere Zeit sie erfordert, desto strenger bindet sie den Künstler an Einfalt und Einheit; je einfacher aber irgend eine Geburt des Geistes, desto mächtiger muß sie durch die Erhabenheit und Größe des Gedankens auf den Schauenden wirken. Daher ist die lebendige Ruhe eines Gottes der erhabenste Gegenstand des Meißels, und ein Augenblick, wo die Regungen der menschlichen Seele schön hervorschimmern durch ihre körperliche Hülle, ist vor allen des Pinsels großer Meister würdig.

Wenn ich mit diesen Vorbegriffen die Werke der Niederländischen Schulen betrachte, so hält es, wie mich dünkt, nicht schwer, das rechte Maaß ihres Verdienstes anzugeben. Ich sehe große Anlagen, Riesenkräfte, die unter einem glücklichern Himmel, in einem größern Wirkungskreise, bei einer andern Erziehung und anderen bestimmenden Verhältnissen Wunder der Kunst hervorgebracht hätten. Hier verzehren sie sich im Kampfe mit den Schwierigkeiten des Mechanismus, und wenn sie diese ganz besiegt haben, ist der Gedanke, den sie darstellen wollen, des Sieges nicht werth. Als Trophäen können wir indeß diese Werke nicht nur gelten lassen, sondern auch mit Dank und Bewunderung annehmen; Trophäen nämlich, wie der Mensch sie auf seinen Zügen bis an die äußerste Gränze seiner Herrschaft über die sinnliche Welt erbeuten kann. Das Gesetz der Mannichfaltigkeit scheint eine Zusammenschmelzung aller Gattungen der Vollkommenheit in einem Menschen so wenig wie in einem Werke zu gestatten; wo Licht und Schatten, Haltung, Effekt, wahre Färbung, treue Nachahmung gegeben werden, dort müssen wir nicht allein Verzicht thun auf die hohe ästhetische Begeisterung, die sich bis zur Darstellung der Harmonien zwischen dem sinnlichen und dem sittlichen Schönen emporschwingt, sondern wir müssen uns auch zufrieden geben, wenn das sehr löbliche Bemühen Effekt herauszubringen, zu dem sehr anstößigen Fehler falscher Umrisse verleitet, der gerade dann[674] am unverzeihlichsten ist, wenn er nicht durch Schönheiten einer höhern Ordnung vergütet wird. Die Niederländer haben gezeigt, was sich mit Farben machen läßt, aber freilich nur mit Niederländischem Geiste und an Niederländischer Natur. Ist es nicht Rechtfertigung genug für sie, daß auch unter den Italienern die Meister in der Farbengebung weder in der Composition, noch in der Zeichnung, noch in der Erfindung, und am wenigsten im Erhabenen Meister waren? Was können sie dazu, daß eine reizende Venezianerin in der Cyprischen Rangordnung so hoch über einer handfesten Flämischen Dirne zu stehen kommt? – Jetzt, dünkt mich, wären wir in der rechten Stimmung, um Niederländische Bilderkabinette zu besuchen.

Man führte uns zuerst in die Privatsammlung des Herrn Huybrechts, der uns aber den Genuß seiner vaterländischen Kunst beinahe verleidet hätte, indem er mit einem Corregio prunkte. Zwar er selbst ahndete nichts von der gefährlichen Überlegenheit des Italieners; denn er besaß gewiß eben so theure Stücke von Niederländischen Meistern! Zum Glück hatte dieses Gemälde so wenig von der belobten Anmuth des zarten Allegri, die Yorick in seiner Laune durch ein patronymisches Wort, the Corregiescity of Corregio, so schön individualisirt, daß die Flammänder noch mit heiler Haut davon kamen. Wenn das Stück ein Original ist, wofür ich es doch nicht halte, so hat es sich vortreflich conservirt. Es stellt eine Mutter vor, mit dem schlafenden Kinde. Sie scheint nach der Natur gezeichnet; allein vielleicht eben darum sind die Züge so plump und haben die zurückstoßende Bezeichnung der Dummheit. Auch dem Maler des seelenvollen Reizes ist es also nicht immer gelungen, ihn zu haschen im flüchtigen Augenblick der Beobachtung, oder, daß ich es wahrer sage, ihn einem Körper einzuhauchen, dem die Natur ihn versagte. Das Kind hingegen ist ein schlafender Amor, so schön und lächelnd im Schlafe, mit der Gesundheit Frische auf den Wangen.

Unter den Niederländischen Gemälden in dieser Sammlung haben die Seestücke ein ausgezeichnetes Verdienst. Backhuisen entwarf die segelnden Fahrzeuge mit vieler Wahrheit, und Bonaventura Pieters war vor andern glücklich, wenn er die[675] durchsichtigen Wellen des aufgeregten Elements in ihrer großen Verbindung, gleichsam als belebte Theile eines unermeßlichen Ganzen, schilderte. Die schöne Aussicht der Stadt Briel hatte vorzüglich diese Erhabenheit, welche mit der Idee von Leben und Bewegung in den Fluthen verbunden ist. Die Darstellung architektonischer Perspektiven im Innern Gothischer Kirchen ist ebenfalls ein besonderes Niederländisches Talent, und obwohl die Gebäude selbst, die hier so zahlreich sind, nur treu kopirt werden durften, so erhöht es doch den Werth der Gemälde und gereicht der künstlerischen Phantasie zum Ruhme, daß sie den Gesichtspunkt der Diagonallinie wählte, um die Einförmigkeit der parallel laufenden Pfeiler brechen und malerische Kontraste hineinzaubern zu können. Insbesondere gefiel mir hier ein kleines Stück in dieser Gattung, von Flinck, wegen der vortreflichen Vertheilung des Lichtes.

Von dem sorgfältigen Gabriel Metsü zeigte man uns eine Violinspielerin, an welcher außer ihrem Atlasrocke nichts Bewundernswürdiges war; der Rock hatte freilich die täuschendste Ähnlichkeit mit dem schönsten ächten Atlas. Wie gefährlich hätte der Künstler mit diesem Talent zum Nachahmen seinen berühmtesten Mitbrüdern werden können, wenn er es auf edlere Gegenstände angewendet hätte! Allein das Schicksal, welches ihm diesen beneidenswerthen Pinsel verlieh, fesselte seine Einbildungskraft an einen Kleiderschrank, oder legte den malerischen Bildungstrieb in die Seele eines Schneiders. – Die Kenner sagen, daß die Holländische Schule keinen größeren Künstler als Franz Miris, den ältern, hervorgebracht hat. Ein altes Weib mit einer halb ausgeleerten Weinflasche rühmte hier die Kunsterfahrenheit dieses Meisters. Man könnte an diesem Bilde die Transsubstantiation ad oculum demonstriren und im Gesicht der Alten genau angeben, wohin der fehlende Wein aus der Flasche gekommen sei. Die größte Empfänglichkeit, verbunden mit dem seltensten Beobachtungsgeiste und einer großen Kraft im Darstellen, können folglich ohne alle Feinheit des Geschmackes und der Empfindung bestehen. An diesem ekelhaften Gemälde ist vorzüglich die sichere Nachahmung der Natur zu bewundern, wobei sich Miris so ganz auf sein richtiges Auffassen und festes Zeichnen verläßt, und keinen Effekt, obwohl in einem[676] so kleinen Stücke, durch Manier hat erzwingen wollen. Das Gegentheil bemerke ich hier an einem Bauerngelage von Cuylenburg, das zwar in Teniers Geschmack gemalt ist, aber weder seine Leichtigkeit noch seine Wahrheit hat.

Zu den größeren Stücken in dieser Sammlung gehört eine nackte, weibliche Figur, von schöner Farbengebung, von Peter van der Werff, einem Bruder des Ritters Adrian. Eine Königin von England und ein kühn skizzirtes Porträt des Bildhauers Feuherbe verdienen als Werke van Dyks genannt zu werden. Auch leuchtete uns hier ein Stral aus Rembrandts Phantasie, in Gestalt eines prächtigen Sultans, entgegen. Die Tochter des Blumenmalers Seghers und eine Nonne (hospitalière) von Rubens, hatten seine bekannte Kraft im Porträt. Die Frische der Farben in dem letztern Bildniß war unübertreflich; man möchte glauben, es käme nur eben von der Staffelei. Daß dieser wichtige Theil der Vorkenntnisse, welche die Malerei voraussetzt, die Wahl dauerhafter Farben, heutiges Tages so sehr vernachlässigt wird, gereicht unsern Künstlern schon jetzt zum Vorwurf, und bringt sie einst um den Ruhm, den sie von der Nachwelt ärndten könnten.

Das Kabinet des Herrn van Lancker enthält einen noch ungleich größeren Schatz von Niederländischen Schildereien. Die Landschaften von Both, van Goyen, Cuyp, Berghem, Wynants, Roos und anderen, eine reicher, niedlicher, vollendeter als die andere und jede mit dem eigenthümlichen Verdienst ihrer Urheber bezeichnet, buhlen hier um den Beifall des Kenners. Unstreitig hat die Phantasie des Landschaftsmalers ein großes, weites Feld; die allgemeine Lebenskraft des Weltalls, die regen Elemente des Lichtes, des Äthers, des Wassers und der allgebärenden Erde geben ihr das begeisternde Schauspiel jenes größten, anbetungswürdigsten Wunders, einer immer jungen, aus ihrer Zerstörung stets wieder erstehenden Schöpfung. Das Verhältniß aber zwischen der Landschaftsmalerei und ihrer älteren Schwester, der Menschenbildnerin, scheint mir am besten dadurch bezeichnet zu werden, daß in der einen alles schon deutlicher, umgränzter Gedanke ist, was in der andern noch unbestimmbares, zartes, ergreifendes Gefühl bleiben muß. In der Landschaft wirken allgemeine Harmonie, durchgeführte Einheit des Ganzen,[677] große Kontraste, zarte Verschmelzungen, alles aber zu einem unnennbaren Effekt, ohne abgeschnittenen, bleibenden Umriß. Weder Lichtmassen noch Wolken, Luft und Gewässer, noch Felsen, Gebirge und Unebenheiten des Bodens haben beständige, ihnen angeeignete Formen; selbst Bäume und Pflanzen sind in unendlich höherem Grad als die Thiere der Veränderlichkeit des Wuchses und der Gestalt unterworfen, und ihre Theile, Blüthen und Laub, verlieren sich mit ihren bestimmteren Formen in der Entfernung, aus welcher sie dem Auge begegnen, und fließen zusammen zu Gruppen und Massen, denen der Künstler kaum auf dem Vordergrunde die Bestimmtheit der Natur mittheilen darf. In dämmernder Ferne hingestellt, kommen die Urbilder schon hieroglyphisch bezeichnet an unsere Sehorgane; um so viel mehr ist die Bezeichnung, womit wir sie nachahmen können, in unserer Willkühr, wofern sie nur ihren Zweck, nämlich den täuschenden Effekt jener schönen Verwirrung der Umrisse und jenes lieblichen Licht- und Schattenspiels, hervorbringt. Auch in dieser Gattung von Kunstgebilden kann indeß die Phantasie des Malers ihre Größe und Stärke zeigen; auch sie ist einer edlen, dichterischen Behandlung fähig, wenn nur das wesentliche Ziel der Kunst, die Zusammenstellung des Schönen und die Belebung des gesammelten oder erfundenen Mannichfaltigen zur unauflösbaren Einheit, dem Künstler immerfort vor Augen schwebt. Der Mangel unabänderlicher Formen hat zwar die Folge, daß es für die Landschaft kein bestimmtes Ideal geben kann; allein dagegen ist die Freiheit des Künstlers desto unumschränkter; das weite Reich des Natürlichen und Wahrscheinlichen liegt vor ihm, und es hängt von seiner Willkühr ab, gefällige Bilder, sanfte Harmonien, erhabene Phänomene, mächtige Bewegungen, erschütternde Wirkungen daraus zu schöpfen. Etwas von diesem unbestimmten Schönen der Natur findet man in den Werken aller vorhin genannten Landschaftsmaler; aber wenn es auf die Feuerprobe der Kritik ankommt, haben wir nur Einen Claude.

Diese Sammlung enthält auch einen unvergleichlich schönen Wouwermanns, den ich aber nicht mit der ekstatischen Bewunderung ansehen kann, die ihm der Kenner zollen mag. Ist das Getümmel einer Schlacht, das Gewühl der Kämpfenden[678] durch einander, der Anblick entseelter Leichname, sind die unbändigen Rosse, die durch den Dampf des Geschützes hervorstürzen – sind diese gewaltigen Bilder nicht fähig, die Einbildungskraft zu spannen und ihr den schauervollen Gegenstand, der dem Künstler vorschwebte, zu vergegenwärtigen? Dies alles gebe ich zu, und dennoch, auf die Gefahr der Verwöhnung beschuldigt zu werden, verweile ich mich bei keinem Kunstwerk, das nur Verwirrung schildert. Was soll ich denn in diesem Gedränge? Für wen wird hier gestritten? Wer ist der Sieger und wessen die fliehende Fahne? Eine Schlacht kann uns interessiren, wenn wir um ihre Veranlassung wissen, wenn wir der einen Partei den Sieg wünschen, oder wenn sich etwas dabei ereignet hat, was mitten in dem unmenschlichsten Geschäft an edlere Empfindungen, an die bessere Seele im Menschen, erinnert. Daher wählen alle große Meister, wenn sie eine Schlacht vorstellen sollen, eine historische Episode, wodurch sie sich von andern unterscheiden läßt, und, was noch wichtiger ist, wodurch sie den Zuschauer in Anspruch nehmen kann. Ohne diese Charakteristik ist die Schilderung des wilden Gemetzels so uninteressant wie ein Zeitungsartikel, und ich sehe nicht ein, warum die Künstler mehr als andere Leute gegen die Conventionen der guten Gesellschaft sollen verstoßen dürfen. Dem wahren, schöpferischen Geiste gnügt es nicht, alles bilden zu können, was ihm einfällt; er will darstellen, was Anderen zu denken giebt und womit sich ihre Phantasie vorzugsweise beschäftigt. Könnte man doch auch unseren Dichterlingen so etwas begreiflich machen!

Herr van Lancker besitzt einen sehr schönen Teniers. Wenn die Malerei die magische Kraft hätte, die man ihr wohl eher angedichtet hat, nicht bloß ästhetisch, sondern auch moralisch zu wirken, so möchte man jedem Fürsten den täglichen Anblick dieses Gemäldes wünschen; es sollte ihn erinnern an das Bedürfniß des Volkes, nach vollbrachter Arbeit zu genießen und des Lebens froh zu werden, an den Beruf des Herrschers, den Sinn für Freude zu erwecken und rege zu halten, an die große Erfahrung, daß die Men schen mit leichten Ketten spielen, die schweren aber zerbrechen oder unter ihrer Last hinsinken. Außerdem nähmen sich freilich die Belustigungen[679] der zahlreichsten Klasse des Menschengeschlechts im Leben besser aus als auf der Leinwand, wenn der Künstler (wie es hier der Fall ist) nur Karrikaturen einer tölpischen Fröhlichkeit schaffen kann. – Ostadens Bauern sind noch plumper, noch grotesker ungeschickt, als die von Teniers; in einem von seinen Gemälden zeigte man uns sogar, als etwas Verdienstliches, eine kleine menschenähnliche Figur im Hintergrunde, die, ihrer Unförmlichkeit ungeachtet, den Kennern ihren Urheber verräth.

Das vorhin erwähnte Weib mit der Weinflasche soll nicht den zehnten Theil so viel werth seyn, als hier der eingeschlafene Leiermann von demselben Meister. Er schläft so fest, so süß über seinem Instrument, und alles um ihn und an ihm ist mit ermüdender, ärgerlicher Treue, die nicht des kleinsten Striches vergißt, nicht mit englischer, sondern was zum Glück etwas anderes bedeutet, mit Holländischer Geduld vollendet. Wer noch mehr von diesem Bilde wissen wollte, würde mich in Verlegenheit setzen; denn ich habe Dir in der That alles gesagt: es ist ein schlafender Leiermann. In allen Künsten des Schönen bleibt es das unverkennbare Zeichen von Kleinlichkeit des Geistes, wenn ihr Gebilde so beschaffen ist, daß die Phantasie nichts mehr hinzusetzen, nichts weiter darin suchen und ahnden, ihr luftiges Spiel damit nicht treiben kann. Ich beneide den ehrlichen Franz Miris nur um seine Zeit.

Was mag man wohl zu loben finden an diesen kleinen nackten Figürchen von Poelenburg, mit ihren eckigen, breiten Schatten, ihren bunten Gewändern und der todten Kälte, womit sie die uninteressantesten Handlungen begehen, sich baden oder nach dem Bade sich ankleiden? Ich habe so wenig mit ihnen zu schaffen, wie mit dieser Magdalene von Paul Veronese, deren Ächtheit ich nicht untersuchen will, weil sie der Untersuchung nicht werth ist. Lieber betrachte ich daneben das schöne Porträt von van Dyks vortreflicher Arbeit; Du weißt, welch ein Lob dieser Name einem Porträt geben kann.

Von Rubens ist in dieser Sammlung eine Madonna mit dem Kinde, genau dieselbe, die auch in der Galerie zu Düsseldorf befindlich ist und die mein Freund Hesse so schön gestochen[680] hat; nur sind im hiesigen Gemälde noch einige Nebenfiguren und die Ausführung ist schlecht gerathen. Es waren noch ein Paar andere Stücke von Rubens im Zimmer, nicht ohne das ihm eigenthümliche Verdienst; allein ich hatte nur Augen für seine kleine, niedliche Skizze von Mariens Himmelfahrt. Die Stellung der zum christlichen Olymp hinauffahrenden Göttin ist wirklich schön; sie hält die rechte Hand empor und senkt die linke halb, gleichsam bereit mit Entzücken zu umfangen. Ihr Blick ist Wonne, ohne die Bescheidenheit der Demuth, aber auch ohne die Arroganz der Selbstsucht. Die Gruppe wäre gut gedacht, wenn nur die Engel fliegen könnten. Daß doch immer etwas Unvollkommenes oder Unpassendes die Freude verderben muß, die Rubens geben kann!

Die Ausnahme von dieser Regel fanden wir bei Herrn van Haveren; die drei unvergleichlichen Porträte von Rubens Hand, die er besitzt, gewähren in der That den reinsten Genuß des ganzen Umfanges seiner Kunst. Zwei davon sind die Frauen, das dritte, wenn ich recht verstand, die Geliebte des Künstlers. Unmöglich kann man der Natur mit mehr Gewandtheit ihre gefälligsten Züge ablauschen und wieder geben. Diese drei wohlbeleibten Flämischen Schönen ließen sich mit dieser durchschimmernden Sinnlichkeit die Liebkosungen des feurigen Künstlers gefallen, und ihm gnügten diese materiellen Reize, wenn er die Spannung vor der Staffelei durch eine andere ablösen wollte. Die täuschende Wahrheit der Kunst, die ganz etwas anderes ist, als die knechtische Treue eines Denner, eines bloßen Abschreibers der Natur, hat Rubens hier zur höchsten Vollkommenheit gebracht, es sei im Kolorit oder besonders in dem Farbenspiel des Gesichtes oder in der bestimmten Gestalt einzelner Züge und ihrer zarten Verschmelzung. Der wunderschöne Schatten, den der Strohhut8 auf das schönste von den drei Gesichtern wirft und die küssenswerthen Hände der beiden anderen Huldinnen des Künstlers haben ihres Gleichen nicht, und beweisen unwidersprechlich, daß er sie mit Liebe malte.

Man brachte uns von hier zu Herrn Lambrechts, der nicht[681] bloß Liebhaber, sondern zugleich Künstler seyn will, indem er seine Muße damit hinbringt, die alten Stücke seines Kabinets mit einem glänzenden Firniß zu bepinseln, welches oft die schlimmste Wirkung thut. Er besitzt einige gute Porträte von van Dyk, Rubens, Rembrandt und Jordaens; von dem Letztern insbesondere den Kopf einer alten Frau, mit mehr Ausdruck und feineren Details, als man ihm zugetraut hätte. Auch sahen wir einen Italienischen, alten Kopf von Spagnoletto, ein Paar große, köstliche Berghems, einige Poelenburgs, Ostaden und Teniers; eine Menge Landschaften von verschiedenen Meistern, eine Aussicht von Antwerpen und der Schelde, das schönste, was ich von Bonaventura Pieters noch gesehen habe, und ich weiß nicht wie viel Herrlichkeiten mehr, die man angafft, um sie gleich wieder zu vergessen. Auf einem großen Gemälde hafteten unwillkührlich unsere Blicke; es war nicht nur den Stücken dieser Sammlung, sondern überhaupt allem, was man uns in Antwerpen zeigen konnte, gänzlich fremd. Kein Niederländer konnte den weiblichen Körper so denken, denn keine Niederländerin war je so gebaut; in meinem Leben sah ich nichts Schöneres als diese unbegreifliche Leda, bei einer so gewaltigen Figur; so denke ich mir die Gespielin eines Gottes. Der unselige Firniß hätte uns diesmal unwillig machen können; gern hätten wir uns die etwas schwärzeren Schatten gefallen lassen, und der Schnee des Schwans wäre uns weiß genug geblieben, hätte man nur dem elastischen Leben dieses Wunderwerkes seine ursprüngliche Weiche und den reinen Ton der Tizianischen Carnationen gelassen. Eine andere Unvollkommenheit mußte mich über diese ästhetische Sünde trösten: der häßliche Kopf von widriger, zurückstoßender Gemeinheit; derselbe, den wir schon in Brüssel an Tizians Danaë so abscheulich gefunden hatten. Wie mag es wohl möglich seyn, die Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben? Wenn die Reize des Körpers blind machen können gegen die Mißgestalt des Gesichts, darf man denn nicht wenigstens vom Künstler fordern, daß er den Augenblick seiner Illusion nicht zum Augenblick der Beurtheilung mache? Doch die wahre Ursache dieses Gebrechens liegt wohl darin, daß Tizians Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in umgekehrtem Verhältnisse stand.[682]

In der reichen Prämonstratenserabtei St. Michael, wo wir das Thor zum Zeichen des Hohns über den verstorbenen Kaiser, der sie hatte einziehen wollen, mit den drei Brabantischen Revolutionsfarben neu angestrichen fanden, zeigte man uns eine Menge Gemälde, die ich Dir nicht alle herzählen mag. In den Wohnzimmern des Abts hangen die kleineren Stücke; doch hat der Segen Melchisedeks, von Rubens, Figuren in Lebensgröße. Abraham steht seltsam mit einem Stück Teppich über dem Kopf verhüllt und gebückt vor dem Priester zu Salem. Könnte das Süjet diesem bunten Stück einen Werth verleihen, so müßte diesmal die Kunst wirklich bei der Religion darum betteln. Van Dyks Taufe Christi hat etwas mehr Anziehendes; Johannes wenigstens ist eine schöne, männliche Figur und in seine Jüdische Physiognomie hat der Künstler etwas Feines und Großes gelegt. Die Stellung ist graziös, und der braune Farbenton treflich behandelt, um den von der Sonne verbrannten Asceten in der Wüste zu bezeichnen. Für den Maler hat auch das Mechanische der Ausführung in diesem Gemälde, die Arbeit des Pinsels, einen unschätzbaren Werth. Der Christus hingegen ist, wie gewöhnlich, verfehlt. Der Kopf wäre noch schön genug; allein seine Demuth ist geistlos und ohne Würde; die Stellung hat etwas kläglich Zusammengekrochenes und der ganze Körper ist platt, ohne Haltung und Ründung. Die Nebenfiguren verdienen, wie die Anordnung des Ganzen, keine Erwähnung. Eine Abnahme vom Kreuz, eben falls von van Dyk, und die Ehebrecherin von Tintoret wollen wir übergehen, weil sich nichts Gutes von ihnen sagen läßt. Aber ein Paar Blumensträuße muß ich noch bewundern, die in ihrer Art vollkommen sind. Der Meister, der sie verfertigte, Peter Faes, ist ein jetzt lebender Maler in Antwerpen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß er sein Muster, den berühmten van Huysum, vollkommen erreicht, wo nicht gar noch übertrift.

Das ungeheure Refektorium ist mit fünf ungeheuer großen Schildereien von Erasmus Quellinus dem Jüngern tapezirt. Diese Stücke haben in einer gewissen Ferne erstaunlich viel Effekt; die Figuren springen gleichsam aus der Wand hervor und scheinen zu leben. In jedem Stück ist ein Aufwand von prächtigen Portalen, Hallen, Säulen, Treppen, und in jedem[683] wird geschmauset, vermuthlich um den Mönchen ein gutes Beispiel zu geben. Warum Quellin den reichen Mann des Evangeliums als Kardinal geschildert hat, wird sich wohl aus irgend einem Privathaß erklären lassen. Mit diesen gemeinen Figuren dürfte indeß wohl nur ein Heißhungriger sympathisiren, wenn ihm nicht Lazarus die Lust zum Essen benimmt, der hier so ekelhaft erscheint, wie die Parabel ihn beschreibt. In der zur Abtei gehörigen Kirche hängt noch ein Bild von diesem Meister, in demselben Geschmack und von gleichem Verdienst. Es stellt die Heilung des Gichtbrüchigen vor; allein die Figuren verlieren sich in einer prächtigen Masse von Architektur, denn das Stück ist vierzig Fuß hoch und nach Verhältniß breit. Einem Maler, der nach diesem Maaßstabe arbeitet, fehlt es wenigstens nicht an Feuer und gutem Muth; von Feinheit und Ausbildung wollen wir schweigen.

Unser Führer ließ uns in der Augustinerkirche drei Stücken huldigen, weil sie von van Dyk, Rubens und Jordaens gemalt worden sind. Das Gemälde des erstern prangt mit schönen Engeln und einem heiligen Augustin, der in seiner Ekstase den Himmel offen sieht; ich glaube indeß, ein so kläglicher Christus, wie der über ihm sitzende, hätte den stolzen Bischof von Hippo bei aller seiner politischen Demuth außer Fassung bringen können. Das große Altarblatt von Rubens sagt mit allen seinen Figuren nichts, und könnte eine Olla potrida von Heiligen heißen. Jordaens, im Märtyrerthum der heiligen Apollonia, ist abscheulich, ekelhaft und verworren. Im Vorbeigehen besuchten wir noch die Begräbnißkapelle von Rubens in der St. Jakobskirche; sie ist wegen des Gemäldes berühmt, wo er sich selbst und seine Familie als Heilige und Andächtige travestirt hat. Er selbst ist ein heiliger Georg und seine beiden Frauen stehen ihm zur Seite. Die Erfindung mag ihn nicht viel Kopfbrechens gekostet haben; man kann aber nichts Meisterhafteres von Ausführung sehen.

Ich komme endlich zur Kathedralkirche, deren Schätze, an Zahl und Werth der Gemälde, diesseits der Alpen mit nichts verglichen werden können. Der Kapellen und Altäre in diesem Einen Tempel ist eine ungeheuer große Anzahl, und alle sind mehr oder weniger mit Schnitzwerk, Bildhauerei und Gemälden ausgeschmückt, an denen man die Geschichte und[684] den Fortgang der Kunst in den Niederlanden studiren kann. Hier sieht man die Werke der älteren Maler, eines Franz de Vrindt oder Floris und des in de Vrindts Tochter verliebten Grobschmiedes Quintin Matsys, den diese Liebe zum Maler schuf, des ältern und des jüngern Franck, des Martin de Vos, des Quillins, des Otto van Veene (Venius), der Rubens Lehrmeister war, und einer großen Menge anderer aus späteren Zeiten. Das Verdienst der älteren Stücke ist mehrentheils ihr Alterthum; denn an Composition, Gruppirung, Haltung, Perspektive, Licht und Schatten, Stellung, Leben, Schönheit der Formen und Umrisse, Wahl der Gegenstände u. dgl. ist nicht zu denken. Bei Martin de Vos fängt indeß schon eine gute Periode an; er wußte von allem diesem etwas in seine Gemälde zu bringen, ob mir gleich seine witzige Erfindung, sich selbst als den Maler und Evangelisten Lukas vorzustellen, wie er die vor ihm sitzende Madonna mit dem Kinde malt, indeß sein Ochse hinter der Staffelei wiederkäuet, eben nicht gefallen wollte. Coebergers Sebastian hat schon mehr Interesse; er wird eben erst angebunden und seine Figur ist nicht übel gerathen, so fehlerhaft auch das Ganze ist.

Von Rubens Arbeit sieht man hier die schönsten Stücke sorgfältig hinter Vorhängen oder auch hinter übermalten Flügelthüren verwahrt. Wir drängten uns während der Messe vor den Hochaltar, und knieten mit dem Haufen andächtiger Antwerper hin, um das große Altarblatt, welches die Himmelfahrt der Jungfrau vorstellt, mit Muße anzusehen, ohne Ärgerniß zu geben. Ich rathe indeß jedem, der seinen Glauben lieb hat, diesen Vorwitz nicht nachzuahmen, und vielmehr nach dem Beispiel der frommen Gemeine, die uns umgab, sich an die Brust zu schlagen und den Blick auf die Erde zu heften, als den Gegenstand seiner Andacht verwegen ins Auge zu fassen. So lange man nicht weiß, was man anbetet kann man sich seine Gottheit so göttlich träumen wie man will; ein Blick in dieses Empyräum, und es ist um alle Täuschung geschehen. Die dicke Lady Rubens sitzt zum Skandal der Christenheit leibhaftig in den Wolken, so gemächlich und so fest wie in ihrem Lehnstuhl. Ob sie sich nicht schämen sollte, eine Göttin vorzustellen – und eine Jungfrau dazu? Es scheint in der That nicht, als ob etwas vermögend wäre[685] sie aus ihrer gleichgültigen, phlegmatischen Ruhe zu bringen und in Entzücken oder wenigstens in Erstaunen zu versetzen; eine Himmelfahrt oder eine Fahrt auf der Treckschuit, alles ist ihr gleich. Was könnte denn auch Lady Rubens auf einer solchen Luftreise Merkwürdiges sehen? Nichts als das blaue Firmament und einige Wolken, deren nähere Bekanntschaft sie nicht interessiren kann; sodann eine Menge runder Kinderköpfe mit Flügeln und eine große Schaar von kleinen fliegenden Jungen in allerlei Posituren, die am liebsten eine ungeheure, nicht allzu präsentable partie zum besten geben, womit die Dame wohl eher in der Kinderstube bekannt wurde, die aber leider zum Fliegen gar nicht gemacht ist. In Italien, sagt man, hätten die Weiber Augen zu mehr als Einem Gebrauch: dort sind es die schönen Fenster der Natur, hinter denen man die Seele lieblich oder göttlich hervorstralen sieht; aber in Antwerpen! hier ist das Auge ja nur ein œil de bœuf am Gewölbe des Schedels, um ein wenig Licht hineinzulassen!

Unter dieser lieben Frau, die allen Gesetzen der Physik spottet, steht eine Gruppe von bärtigen, ernsthaften Männern, die mit der äußersten Anstrengung ihrer Augen auf ein weißes Tuch sehen, das vor ihnen liegt. Von dem, was über ihnen, in den Lüften vorgeht, scheinen sie gar keine Ahndung zu haben; sonst hätte doch wohl einer hinaufgeguckt und noch größere Augen gemacht. Kein Mensch begreift, was sie wollen; hätte man nur die Legende darunter geschrieben, so wäre nichts in der Welt so leicht zu verstehen gewesen. War es etwa ein politischer Kunstgrif des Malers, die Geschichte nur denen zu verrathen, die das Geheimniß schon wissen?

Dieses prunkende Gemälde wird von allen Kennern bewundert, von allen Künstlern mit tiefer Ehrfurcht angestaunt, von allen Reisenden begafft und auf das Wort ihres Miethslakaien gepriesen. Ich setze noch hinzu: sie haben alle Recht. Nicht nur die Ausführung eines Kunstwerkes von solchen Dimensionen ist etwas werth, sondern man verkennt auch an diesem Meisterwerke nicht den Genius des Künstlers. Alles, was hier vorgestellt wird, findet man einzeln in der Natur: solche Menschen, solche Kinder, solche Gestalten und[686] solche Farben. Die Wahrheit, Leichtigkeit und Zuverlässigkeit, womit Rubens sie, aus der Natur aufgefaßt, durch seine Hand verewigen konnte, bilden eine künstlerische Größe, worin er keinen Nebenbuhler hat. Auf diesem ungeheuren Altarblatte umschweben nicht etwa nur ein halbes Dutzend Engel, wie in Guido's Gemälde, die Jungfrau; sie bleiben nicht halb im Schatten, nicht halb hinter ihr verborgen, um die einfache Größe des Eindruckes nicht zu stören; hier ist sie von einem ganzen himmlischen Hofstaat umringt; unzählige Kinderfiguren, immer in anderen Stellungen und Gruppen, Köpfe mit und ohne Körper, flattern auf allen Seiten um sie her und verlieren sich in einem Meer von Glorie. In der zweiten, irdischen Gruppe sieht man wieder eine Menge Figuren in Lebensgröße zu einem schönen Ganzen verbunden; und welche Varietät der Stellungen, welche Harmonie der Farbenschattirungen, vor allem, welche Wahrheit und welcher Ausdruck herrschen auch hier in allen Köpfen! Doch die größte Überlegenheit des Künstlers besteht darin, daß er zur Verfertigung dieses großen Gemäldes nur sechzehn Tage bedurfte. Erwägt man den Grad der Thätigkeit und des Feuers, der zu dieser erstaunlichen Schöpfung gehört, so fühlt man sich geneigt, ihr alle ihre Gebrechen und Mängel zu verzeihen.

In der Kapelle der Schützengilde wird die berühmte Abnehmung vom Kreuz aufbewahrt, die so allgemein für das höchste Kunstwerk von Rubens anerkannt und um zwölf Jahre älter als die Himmelfahrt ist. Ich kann mich auf keine detaillirte Beschreibung dieses so oft beschriebenen, ohne Einschränkung und mit so großem Rechte gepriesenen Gemäldes einlassen; doch Du kennst es schon aus dem schönen Kupferstich. In Absicht auf lebendige Darstellung bleibt es ein Wunder; alles, was ich je gesehen habe, weicht zurück, um diesem Ausdruck Ehre zu geben. Die Zeichnung ist korrekter, als Rubens gewöhnlich zu zeichnen pflegte; die Composition einfach und groß; die Gruppe schön, so schön, daß man darüber das Kreuz vergißt, dessen unbezwingbare Steifigkeit sonst aller malerischen Grazie so nachtheilig zu seyn pflegt. Die Stellungen, die Gewänder, die Falten, das Licht, der Farbenton und die Carnationen – alles ist bis auf Kleinigkeiten[687] meisterhaft ersonnen und ausgeführt. Die Mutter und der Johannes sind wahrhafte Italienische Studien oder Reminiscenzen; bei dieser edleren Natur wird man den Übelstand kaum gewahr, daß Petrus, zu oberst auf dem Kreuze, im Eifer seiner Geschäftigkeit, den Zipfel des Tuches, worin der Leichnam ruht, in seinen Zähnen hält. Vielleicht ist die kalte Bewunderung, die der Anblick dieses Bildes mir abnöthigte, ein größeres Lob für den Künstler, als der Enthusiasmus, der darüber bei andern durch Nebenideen entstehen kann. Der Begrif des Erbaulichen darf schlechterdings bei der Beurtheilung eines Kunstwerkes von keinem Gewichte seyn. Vergißt man aber einen Augenblick die Beziehung des vorgestellten Gegenstandes auf die Religion, so wird man mir zugeben müssen, daß die Wahl nicht übler hätte getroffen werden können. Die Hauptfigur ist ein todter Leichnam, und die Verzerrung seiner Glieder, die keiner willkührlichen Bewegung mehr fähig sind, sondern der Behandlung der Umstehenden gehorchen, ist mit dem ersten Augenmerk des Malers, der Darstellung des Schönen, schlechterdings nicht zu reimen. Doppelt ungünstig ist der Augenblick, wenn der Leichnam einen gekreuzigten Christus vorstellen soll; denn es ist eben derselbe, wo alles Göttliche von ihm gewichen seyn und der entseelte Überrest der menschlichen Natur in seiner ganzen Dürftigkeit erscheinen muß. Es giebt Momente in der Mythologie des Christenthums, die dem Maler freie Hände lassen: Scenen, die eines großen, erhabenen Styls, ohne Verletzung des Schönheitssinnes, fähig sind und zu der zartesten Empfänglichkeit unseres Herzens reden; allein wessen mag die Schuld seyn, daß die Flämischen Künstler sie nicht wählten? Liegt sie an ihnen selbst, oder an den Aufbewahrern dieser Mysterien? Haben jene den feinen Sinn nicht mitgebracht, der zu einer solchen Behandlung nöthig ist? oder haben diese den Gegenständen eine so plumpe Einkleidung gegeben, daß jedes Bemühen der Kunst daran scheitern muß? Bloß in dieser einen Kathedralkirche habe ich zweimal die Visitation der Jungfrau durch einen unverschämten Fingerzeig der alten Elisabeth bezeichnet gesehen, und eins von diesen sauberen Stücken war übrigens ein gutes Bild von Rubens. O der Niederländischen Feinheit![688]

Hier breche ich ab. Es giebt noch unzählige Gemälde, sowohl in Kirchen als in Privatsammlungen, wovon ich nichts gesagt, es giebt sogar viele, die ich nicht gesehen habe. Allein von dieser Probe läßt sich ein allgemeines Urtheil über den Geist und Geschmack der Flämischen Schule abstrahiren.

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Hiermit wäre also die Frage, welche Lessing im Anhang zum Laokoon S. 380 aufwirft, vorläufig beantwortet und Richardsons Hofnung, daß Raphael übertroffen werden könne, vereitelt.

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Kunstliebhaber kennen den chapeau de paille von Rubens; es bedarf aber kaum des Erinnerns, daß auf dergleichen zunftgerechte Benennungen hier weiter keine Rücksicht genommen wird.

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 670-689.
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