Zwölftes Kapitel

[157] Der Arzt saß indeß bei Antoniens Bett, und that behutsam einige leise Fragen an sie, welche sie langsam und mit großer Anstrengung beantwortete. Ueberhaupt schien ihr Zustand ganz dem ähnlich, welchen die Aebtissin früherhin mit so großer Bewegung erwähnte.

Der vorsichtige Mann trug Sorge, sie vor jedem Ueberfalle, vor jeder unwillkommenen Störung, zu bewahren. Er verweigerte selbst den Freunden allen Zutritt, und senkte, was er unwillkührlich erfahren, gewissenhaft in die verschlossene Tiefen seiner Seele. Doch konnte er es so wenig wissen, als verhindern, daß sich Alexis in der Nacht unbemerkt auf sein Brettchen warf, das nur durch eine dünne Bretterwand von Antoniens Lager getrennt war. Und erst viel später traten die Vorstellungen hervor, welche das Kind wie im Traume berührten.[157]

Als es darauf am folgenden Morgen in Adalbert Tag ward, besannen sich auch die Andern, und erschraken fast über den gestrigen Taumel, der, so unvorbereitet, eine wirkliche, bleibende That veranlaßte. Die ruhig-gesetzliche Klarheit um sie her schob die Erinnerung ihrer raschen Freude in den Hintergrund, und, wie ein Vorwurf, wie eine Warnung, reiheten sich Antonie, ihr Zusammenstürtzen, der helle Schrei, der ihrer Brust entfuhr, der Vorfall mit den Ringen, an den bleichen Saum der Nacht, und schienen in den hellen Tag herüber zu sehen. Adalbert allein blieb heiter. Ihm war, wie Jemand, der von einem ersehnten Gute träumt, mit Bangigkeit erwacht, und sich plötzlich im Besitz desselben sieht. Das Ziel seiner Wünsche schien erreicht Er wollte sein Dasein nur dauernd begründen. Tausend Plane flogen ihm durch den Sinn. Frankreichs Schicksal konnte nicht lange unentschieden bleiben. Seiner Rückkehr dahin lag, bei gemäßigterer Verfassung, nichts im Wege. Er hatte für die Freiheit mit strengem Eifer, mit Auszeichnung, gefochten, sich allein ruchloser Willkühr entzogen. Alle natürliche Bande zwischen dem Vaterlande und ihm waren unzerschnitten, und konnten sich in jedem Augenblicke enger zusammenziehn. Er hatte das nie so angesehen, nie so empfunden. Früher erwartete er,[158] alles annoch Bestehende werde zusammenbrechen, und aus dem allgemeinen Umsturz solle das Neue und Bessere hervorgehn; jetzt glaubte er an ein mögliches Zurücktreten der überströmenden Willenskraft, er hoffte auf eine weise, begütigende Hand, welche die Gränzen aufs neue scharf und bestimmt ziehe. Alle konnten noch glücklich, noch zufrieden werden; er rechnete darauf mit einer Zuversicht, wie sie nur der Glückliche kennt. Marie theilte seine Hoffnungen, ihr häuslichansiedelnd Gemüth schuf sich in Gedanken schon all die freudige Wirksamkeit, die ein heimathliches Eigenthum der thätigen Frauenliebe bereitet.

So innig froh durch Besitz und Hoffnung, empfingen beide junge Gatten ihre glückwünschenden Freunde. Mariens Gesichtchen glänzte wie der Schmelz des Frührothes. Sie war nur durch Eines beunruhigt. Die Schwester gab ihr Sorgen, und Niemand wußte recht, wie es mit ihr stehe? Endlich trat der Arzt in das Zimmer. Ein jeder bestürmte ihn mit Fragen. Der Chevalier war kaum noch Herr seiner Ungeduld. Er trug die Gewißheit dessen, was Antoniens Uebelbefinden zum Grunde lag, dunkel in sich, die innere Angst sagte ihm etwas, das er nicht sogleich verstehn mochte. Jetzt erschien ihm der ernste deutsche Mann wie ein rettender Engel. Er hoffte, dieser[159] solle etwas anders, etwas ganz Gewöhnliches, über jenes Ereigniß sagen, er flüchtete sich mit seinen Sorgen schon dahinter, als dieser, die Ungeduldigen höflich abwehrend, seinen Platz neben der Baronin nahm, und mit seiner gewohnten Besonnenheit sagte: Der Arzt besonders soll bescheiden in der Beurtheilung solcher Fälle sein, welche nicht in der aufgedeckten Folgereihe wirkender Motive und Ursachen liegen, da seine Wissenschaft, vielleicht mehr als jede andere, mit der geheimnißvollen, unerforschten, Natur verkehrt. Er darf so wenig einzelne Anklänge zu ausgesprochenen Worten umbilden, als sie überhören wollen. Er soll stets mit stillem, tief in das Innere zurückgehenden Sinn beobachten, aber weder die Sucht, etwas Außerordentliches aufgefunden zu haben, noch der kleinliche Kitzel, Entdeckungen Anderer verspotten zu wollen, darf ihn auf Nebenwege verlocken. Die heilige Ehrfurcht gegen das Wesen der Dinge erlaubt kein allzudreistes Hervortreten, und deshalb ist dem Arzt besonnenes Schweigen unerläßliche Pflicht.

Hiermit schwieg er wirklich, und niemand gewann sogleich den Muth zu erneueter Frage. Die Baronin allein, ob er gleich ihre eigenste Meinung ganz unleugbar aussprach, wollte es dennoch hierbei nicht bewenden laßen. Es schien ihr zuviel[160] laut geworden zu sein, um es so unberührt bei Seite zu legen. Sie selbst hatte gestern in der Ueberraschung manches über Antoniens wunderbares Wesen, die inneren Offenbarungen, welche sie früherhin schmerzhaft durchzuckten, und alle in ihr erspäheten Eigenthümlichkeiten, fallen lassen, sie wollte jenen Aeußerungen das Abentheuerliche benehmen, indem sie dem Arzt zwang, umständlicher auf das Vorliegende einzugehn. Deshalb sagte sie: wie sehr Sie im Allgemeinen recht haben, empfindet niemand deutlicher als ich. Doch thut es im Einzelnen öfters Noth, daß des Erfahrenen Urtheil schwankende Vorstellungen berichtige, da Irrthümer und Abwege ja allein daraus entstehn, daß wir auf keinem sichern Grunde Fuß gefaßt, und nur auf flüchtigen Erdschollen unsere systematische Gebäude aufgethürmt haben. Sie fuhr jetzt fort, manches kluge Wort über Antonien zu reden, und alles zur Sprache zu bringen, was sie selbst über diese wußte.

Es ist unleugbar, erwiederte der Arzt, nach einigem Besinnen, und wir dürfen es wohl mit Zuversicht behaupten, daß, wie in allem organischen Leben Wechselbeziehungen statt finden, diese sich auch unter den Menschen, sowohl gegenseitig, als der bewußtlosen Natur gegenüber, offenbaren. Was hier nun jedesmal das Vermittelnde ist, ob[161] ein Aeußeres, oder ein Inneres, ob beides zugleich? der sinnvolle, denkende Beobachter wird es prüfen, ohne gleichwohl seinen Muthmaßungen den Stempel der Unfehlbarkeit aufzudrücken. Vieles, das sehen wir wohl, soll dem Einzelnen dunkel bleiben, was über seinen Zeitmoment hinaus liegt. Die ganze Menschheit reift immer erst langsam in eine große Idee hinein, und diese entwickelt sich während dem durch das Leben selbst aus ihrer Wurzel rein heraus. Die Natur macht uns den Umgang mit ihr nicht allezeit leicht. Sie verkündet sich dem Einen heut, und scheint sich dem Andern Morgen zu widersprechen. Sie wirft uns große Phänomene wie Räthsel in den Weg. Der Mensch soll sich daran wagen, aber ich wiederhole es, mit Ehrfurcht und Bescheidenheit, was zu dreist, zu plötzlich, an das Licht gerissen wird, dem ergeht es wie solchen alterthümlichen Schätzen, welche lange Zeit der Erde Schooß verbarg, sie zerbröckeln an der jähen Luftberührung. Und sicher, wir graben auch nur versunkene Schätze aus.

Durch ähnliche Wechselbeziehung, sagte die Baronin, welche lange in tiefen Gedanken da saß, würden die oft bestrittenen Wirkungen der Sympathie und Antipathie plötzlich berichtigt sein, und wie diesem, das Knarren einer Thür, das Schneiden in Kork, das Reiben zweier Metalle aneinander,[162] jenem aber, der Duft einer Blume, die Ausdünstung eines Thieres, Uebelkeiten und physische Schmerzen geben, so dürften Blick, Ton, Mienen und Geberdensprache, ja die bloße Atmosphäre eines Menschen, anziehende oder abstoßende Gewalt über einen Dritten ausüben können, und Neigung oder Abneigung würde ein Gemüth beherrschen, ehe es sich selbst davon Rechenschaft zu geben wüßte. Sehr traurig, – fuhr sie fort, bleibt es, wenn solche Zufälligkeiten über ein Leben entscheiden sollen.

Zufälligkeiten, erwiederte der Arzt, dürfen wir wohl nichts nennen, was durch innere Nothwendigkeit begründet ist. Alles, was die Individualität eines Menschen so, oder so bestimmt, geht aus dem Zusammenhang des Ganzen hervor, und selbst dasjenige, was von außen hereinwirkend, als zufällig betrachtet wird, bekommt erst durch die innere Gegenkraft seine bleibende Richtung. Man kann nicht immer sagen, wie das Störende entstanden sei, allein wir empfinden dessen trüben Grund in dem Eindruck, welchen es auf uns macht.

Das Fürchterliche hierbei ist, fiel der Chevalier ein, daß man den Außendingen eine unumschränkte Gewalt über sich einräumt, und es den Umständen überlassen bleibt, ob zwei Wesen in Conflikt gerathen sollen, welche ohne äußere Vermittelung wohl[163] nie von einander gewußt hätten. Er seufzte bei diesen Worten unwillkührlich, und schien sich seinem bedrohlichen Geschick hinzugeben.

Vergessen wir nicht, erwiederte der Arzt, daß die Natur ein Wechselgespräch mit uns führt, und daß die Vernunft auch eine Stimme hat!

Die Vernunft! rief der Chevalier, ist sie in oder außerhalb dem Zusammenhange des Ganzen begriffen? Im ersten Fall, wird sie nicht von der ganzen Folge nothwendiger Fortentwickelungen mit bestimmt werden? Oder, wo wollen sie ihr sonst ihren Platz anweisen?

Gewiß, nahm die Baronin hier rasch das Wort, ist die Vernunft in jedem Lebenskreise eingeschlossen, aber wie ein Auge, das alle Verhältnisse zusammenfaßt, und zu dem innern Spiegel zurückführt, ruht es mitten darinne; jeder Mensch ist wie ein kleiner Weltherrscher anzusehen, und da keiner dieser Lebenskreise für sich allein ist, sondern alle, wie ein Nürnberger Ei, in einander gefügt sind, so lernt das Auge erst einen, als den Familienkreis, überschauen, dann geht es weiter und weiter, und umfaßt die Welt. Wie leicht wird uns bei einem erweiterten Horizont, und wie sehnen sich alle danach!

Sie werden mir aber doch nicht streiten, unterbrach sie der Chevalier, daß diese Erweiterung[164] sowohl durch Raum- als Zeitverhältnisse hedingt ist, und daß individuelle, wie allgemein geschichtliche, Entwickelungen hier das ihre thun. Wie oft, rief er, durch das Gewicht eigener Erfahrung unterstützt, wird dies innere Auge, um Ihr Gleichniß beizubehalten, von undurchdringlichen Nebeln umschleiert, die so nothwendig, wie unwillkührlich, aus dem Kampf des Lebens erwuchsen. Wo, ich bitte sie, bleibt da die Freiheit der Vernunft?

In sich selbst, entgegnete der Arzt, in dem Vermögen, sich nach Innen zu dem höchsten Wesen zu flüchten, an ihm zu stärken, von ihm zu erfahren, was wir wollen und müßen!

Der Chevalier schüttelte ungläubig den Kopf, als Antonie bleich und schwach, auf Marien gestützt, in das Zimmer trat. Man begegnete ihr sehr liebreich, ohne sie gleichwohl durch zudringliche Fragen oder ein unruhig beeiferndes Entgegenkommen zu quälen. Es gewann sogar das Ansehen, als lasse man der Unterhaltung den einmal begonnenen Lauf. Antonie schien wenig auf die Uebrigen zu merken, sie setzte sich neben Marien ins Fenster, und arbeitete ruhig an einem Haargeflecht, das sie mit großer Sauberkeit zu ordnen verstand. Zuweilen blickte sie auf, und hauchte einen flüchtigen Kuß auf Mariens Stirn; Viktorine ging mit der Präsidentin das Zimmer auf und ab, der Herzog stand[165] düster auf Antonien sehend, dieser gegenüber, die Andren redeten eifrig, vorzüglich faßte der Chevalier den Faden immer wieder auf, sobald die Unterhaltung einen Augenblick stockte, und da diese von dem Besondern auf das Allgemeine hinauslief, so schien man den Gegenstand ein für allemal erschöpfen zu wollen. Adalbert war auch hinzugetreten. Man kam, wie gewöhnlich, von Einem in das Andere; und das gemeinsame Gebiet der Ahndungen, Träume und Vorgefühle, ward nach allen Richtungen durchzogen. Einige, welche das Allgemeine bestritten, stellten gleichwohl, unwillkührlich fortgezogen, einzelne Thatsachen in einem Gemisch von Unglauben und innerer Scheu als sonderbare Zufälligkeiten auf. Man sprach hin und her, über die Möglichkeit wechselseitiger Einwirkung aus der Ferne. Mehrere bezweifelten sie, andere, unter ihnen der Arzt, meinten, der Punkt lasse sich schwerlich angeben, wo noch Mittheilung möglich sei, insbesondere, da man die Agenten keinesweges kenne, welche vermittelnd wirken, und die verschiedenen Naturen solche auf eigenthümliche Weise fordern und finden müssen. Der Marquis entschied für die Nothwendigkeit unsichtbarer Verbindung durch alle Welten. Er verlor sich in die weiten Sternenräume, bezog ihren Lauf auf des Menschen Dasein und Bestimmung, und verwirrte[166] sowohl Gegenstand als Ausgangspunkt des Streites, durch das Viele und Seltsame, was er durcheinander warf. Ohne so weit auszuholen, sagte Adalbert einlenkend, würden mehrere Erfahrungssätze schon hinlänglich für das Ferngefühl beweisen, und da dieses, einmal angenommen, auf Schritte, oder Meilen ausgedehnt, seiner Idee nach immer dasselbe bleibt, so kann ich aus meinem eigenen Leben einen furchtbaren Beitrag zu vielen andern hierüber gesammelten Beobachtungen liefern. Er schwieg einen Augenblick, und schien die raschen Worte zu bereuen, alles war indeß gespannt, und man drang lebhaft in ihn, fortzufahren.

Ich hatte, begonn er endlich, in den schönen Jünglingstagen, wo das Herz so neu und die Hoffnung so frisch und muthig ist eine holde Freundin gefunden, die ihr junges, liebliches Leben, in der zärtlichen Anhänglichkeit zu mir, jeden Tag reizender entwickelte. Familienbande hatten sie mir, wie Dich meine Marie, nahe gebracht. Des Jünglings Seele will durch eine freundlichere Hand geweckt sein, als die gewohnten Tagesverhältnisse ihm zuführen. Sie berührt zugleich sein ganzes Dasein, und öffnet alle verschlossenen Behälter des überschäumenden Jugendlebens. Ich liebte in dem zarten Kinde die Welt, meine Bestimmung, die Ehre, Gott, eine tiefe unergründliche Unendlichkeit.[167] Unsere Verbindung entwickelte sich mit unsern Ansichten und Vorstellungen von dem Leben. Die Politik der Eltern meiner Geliebten führte indeß eine andere Sprache als unsere Herzen, das arme Kind ward für das Kloster bestimmt. Ich wüthete, drohete, versuchte das Unerhörteste, die Jugend erschöpft sich nie in Hoffnungen, aber sie weicht mit gesunder Kraft schnell dem Unabwendbaren. Ist das Entscheidende einmal geschehn, so kehrt der Muth in sich selbst zurück, und erträgt ein Uebel, das er vorher mit Riesengewalt von sich zu stoßen bemüht war. Meine junge Freundin hatte ein ergeben, fügsam Gemüth, sie konnte sich dem Willen der Eltern nicht widersetzen. Aber ihr zartes Herz brach unter den Ketten, die auf ihr lasteten. Man hatte sie unbarmherzig von der Welt und ihrer freundlichen Bestimmung geschieden. Ein Jahr lebte sie das trübe, enge Klosterleben, in zweckloser Vorbereitung, denn sie starb, noch ehe sie den Schleier nahm. Die Veranlassung ihres Todes blieb mir lange verborgen. Nach mehreren Jahren erfuhr ich das Nähere hierüber aus einem Briefe der Aebtissin jenes Klosters. Es ist vergebens, schrieb mir diese, man versucht es nie ungestraft, Gott zu täuschen, hier hat ein unmündig Kind des Herrn Sache geführt. Am Tage der Einkleidung – Adalbert ward durch Antoniens[168] Annäherung unterbrochen, sie war aufgestanden und stellte sich hinter seinen Stuhl, er wandte sich seitwärts gegen sie, und richtete seine Worte zu ihr hin. Am Tage der Einkleidung, fuhr er fort, war die Novize bereits im Begriff, den Eid abzulegen, als ein wunderbares Kind betäubt zur Erde sinkt, und in einem Zustande, den ich Schlaf nennen muß, laut in die Versammlung ruft, und der Freundin heißt, das Bild wegwerfen, das sie an goldner Kette im Busen trägt, es drücke ihr das Herz entzwei! –

Der Marquis faßte Antoniens Hand, die kalt und zitternd in der seinen lag. – Adalbert hielt einen Augenblick inne, ihre Bewegung auf rückkehrendes Uebelsein deutend, denn sagte er weiter: Es war mein Bild, mein unglückselig Bild, was auf dem armen, gequälten Herzen verborgen lag, niemand wußte darum, auch das Kind hatte es nie gesehen. Die Unglückliche bebte bei den fürchterlichen Worten, und, sich zur Aebtissin neigend, reißt sie selbst in unvorsichtiger Bewegung das stumme Zeugniß ihrer verrätherischen Liebe an das Licht. Aller Augen richten sich darauf, dumpfes Murren rollt zu ihr heran, und, als habe sie Gottes Gericht getroffen, so stürzt sie leblos nieder und kehrt niemals zur Vernunft zurück.

Antonie schlug hier beide Hände zusammen[169] und mit aufwärtsgerichteten Blicken ging sie schweigend zur Thür hinaus. Der Marquis und der Arzt folgten ihr nach, allein sie hatte sich in dem entferntesten Zimmer eingeschlossen, und antwortete keinem von beiden auf ihr wiederholtes Andringen, eingelassen zu werden, denn sie lag betend am Boden und gelobte es sich, Gottes Fingerzeig von nun an streng zu folgen. In ihr war kein Zweifel mehr. Es lag klar und unwidersprechlich vor ihr; sie war Adalberts Schutzgeist. Schon damals hatte sie ihn vor der ewigen Verdammniß gerettet, einen Meineid veranlaßt zu haben, das Herz mußte brechen, das er dem Himmel entrissen hatte, ehe es sich neuem Frevel hingab. Später hauchte sie den Tod von seiner Stirn, und gestern zerbrachen die unglückseligen Vermählungsringe in ihrer Hand, als warnend untrügliches Zeichen. Niemand hatte das beachtet, sie wußte es jetzt, ihr war es Pflicht, ein Band zu trennen, gegen welches Gott gesprochen hatte. Der Marquis belehrte, rückkehrend, die Anwesenden von dem Antheil, welchen Antonie an jenem Ereigniß hatte. Adalbert erschrak heftig. So nahe stand ihm das Werkzeug ewiger Rache! Sein Verhältniß zu dem seltsamen Wesen schien ein anderes geworden, und wie eine Geweihete mußte er sie betrachten, als sie ruhig, ja heiter, zur Gesellschaft wiederkehrte.[170]

Auf Marien hatte Adalberts Erzählung ebenfalls einen peinlichen Eindruck gemacht. Die frühe Jugendliebe erschien ihr so reizend! Adalbert noch so innig, so leidenschaftlich, in ihr fortlebend! Sie erinnerte sich des schönen, früh gefallenen Opfers gar wohl. Der Tag war ihr immer unvergeßlich geblieben. Es war, als sähe sie die bleiche, schmachtende Gestalt in diesem Augenblicke niedersinken, und durch eine wunderbare Täuschung der Sinne, lieh sie dieser die eigenen Züge, wie sie ihr unendlich Leid in sich selbst übertrug. Sie konnte sich der Thränen nicht enthalten, ihr Herz schlug so ängstlich, sie sank an Adalberts Brust, der sie liebreich, aber verstört und eigen zerstreut, an sich drückte, ohne gleichwohl nach der Ursach ihres Kummers zu fragen.

Die Präsidentin nutzte die allgemein verbreitete Stimmung zu ihrem Vortheil, und sehr überzeugt, daß ein jeder willig etwas außer ihm liegendes ergreifen werde, schlug sie vor, eine von ihr kürzlich verfaßte Dichtung vorzulesen. Sie hatte richtig geurtheilt. Ihr Anerbieten ward von allen Seiten, sowohl aus Artigkeit, als Mißbehagen mit der innern Gegenwart, angenommen. Man schloß sogleich einen engen Kreis um die Vorleserin, die, mit voller, angenehmer Stimme, recht wohltönende Worte las. So viel Behendigkeit sie indeß im[171] Auffassen und Darstellen gesellschaftlicher Verhältnisse, eigenthümlicher Sonderbarkeiten der Menschen, und daraus entstehender Verwirrungen des Lebens und der Schicksalsbestimmungen besaß, so fehlte es ihr doch gänzlich an Umsicht und Tiefe, wenn sie über diese leicht angedeuteten Kreise hinausschweifte. Da sie nun jetzt durch eigenes und fremdes Mißgeschick widerwärtig getroffen, politische Ansichten und Zwecke schärfer ins Auge gefaßt und häufig in sich umhergeworfen hatte, so wagte sie sich unbedacht in dies weite Feld; das sie noch unsicherer betrat, indem sie den Schauplatz nach dem Oriente verlegte, wohin die Phantasie nur unbequem hinübergetragen und in die entwachsene Märchenform gezwängt wurde. Den Zuhörern war dabei, als seien sie auf einem Maskenball. Bei jedem Schritte stießen sie auf ein Bekanntes, dessen Verkleidung gleichwohl, wie eine abhaltende Scheidewand, die alte Vertraulichkeit hinderte. Man war zu Hause und auch wieder nicht, der Standpunkt für Wahrnehmung und Mitgefühl blieb verrückt, niemand konnte mit der behaglichen Theilnahme recht zu Stande kommen, da die Ereignisse, statt frisch und beweglich aus gesunder Wurzel zu erwachsen, wie eine Reihe aus dem Zusammenhang gerissener Erfahrungssätze, aufeinander gepackt dalagen, und das Schmerzliche,[172] was ein jeder in der Zeit mit durchlebt, mit durcharbeitet hatte, das im rüstigen Gegenstreit überwunden war, jetzt schroff und schneidend in die Seele zurückfiel. Zudem griffen die häufig vorkommenden politischen Diskussionen alte Streitpunkte ungeschickt an, und da sie sämmtlich, auf Zufälligkeiten begründet, aller soliden Basis ermangelten, so verletzten sie nicht selten Wahrheit und Sitte, und ließen alle Partheien unbefriedigt.

Es stand daher nach beendigter Vorlesung mit der geselligen Heiterkeit um nichts besser, als zuvor, und die Verlegenheit, mit welcher ein jeder das dürftige Lob über kaum geöffnete Lippen drückte, gehörte in die Reihe aller peinlichen Zustände, die an diesem Tage auf einander folgten.

Der Herzog nahm indeß ziemlich mürrisch den Faden der Unterhaltung bei der eben verhandelten Politik auf, und brachte das Gespräch nach und nach leidlich in Gang. Er griff die Präsidentin nicht ohne Gründe an, behauptete indeß mit seiner gewohnten Strenge, Frauen haben gar keine Stimme über öffentliche Angelegenheiten, weil ihnen der innere, wie der äußere Maaßstab, zu deren Beurtheilung, fehle. Was, fragte er, wollen Sie als Grundsatz, was als Zweck annehmen? Sie haben nur Familienruhe, Lebensglanz, oder höchst abentheuerliche Weltbürgerliche Ideen im Sinne.[173] Gewöhnlich ist etwas Einseitiges der trübe Quell ihrer Ehr- und Freiheitsliebe; ja sie haben kein anderes Vaterland, als den engen Raum, welchen die vier Pfäle ihrer häuslichen Wirksamkeit einschließen. Die Welt mögen sie hier ahnden und fühlen, Liebes-und Lebensverhältnisse mögen sie hier begründen, aber Staatsverhältnisse werden sie nie begreifen, weil diese auf Bedingungen beruhen, deren Wesen ihnen nur undeutlich vorschwebt. Abgeschlossenes Recht, Gewalt, erfassender Wille, stehn ihnen so fern, wie der hohe Gedanke königlicher Weltherrschaft. Sie träumen davon, wie von allem, aber empfunden hat es keine.

Viktorine, auf welche diese Worte hauptsächlich gerichtet waren, nahm sie auch ganz ausschließend übel auf. Ihr Mann focht mit den Engländern gegen das Vaterland, und so wenig man es tadeln mochte, daß sie sein Verfahren, wie die hierbei zum Grunde liegende Ansichten, billigte, so konnten es ihr die Männer niemals verzeihen, daß sie mit sarkastischen Ausfällen solche angriff, welche anderen Grundsätzen folgten. Sie stand daher in einer Art kriegerischem Verhältniß mit Vielen unter ihnen, wenn Andere im Gegentheil die Oriflamme in ihrer Hand gewünscht hätten. Jetzt insbesondere hatte sie sich in ihrer einmal genommenen Stellung zu behaupten. Sie vertheidigte[174] sich daher nachdrücklich, doch, wie immer, ohne Wortreichthum, mit gedämpfter, etwas gedehnter, Stimme, welche den bescheidenen Rückzug anzukündigen schien, im Grunde aber den Feind zu heftigerem Angriff verlocken sollte. Den Sinn für Ehre, sagte sie sanft, werden Sie uns wenigstens lassen müssen, da sie es allein ist, um derentwillen wir die Männer lieben.

Drehen Sie den Satz um, unterbrach sie der Herzog lachend, Sie lieben die Ehre, der Männer willen. Denn diese Gattung der Ehre liegt außerhalb ihrer Welt. Aber es ist Frauenart, sich in alles Fremde hineinzuwerfen und das Einzelne ins Allgemeine, Gränzenlose auszudehnen. Die Theilnahme an dem Ruf, der günstigen Stellung eines Mannes, macht ihnen glauben, ihr Wesen wie das der Männer überhaupt, glühe und flamme in Thatendurst und ritterlichem Stolz. Ihr Wesen ist Liebe, wenn sie lieben, verstehn sie alles, sind sie alles, aber sie sollen sich auch nur liebend zeigen. Bei ihrem Antheil an dem Heil und Segen eines Staates, eines Volkes, soll immer die zärtliche Sorge für befreundete Wesen und durch diese für alle Menschen hervorsehen, denn das Wort Volk an und für sich, ist ihnen nichts, so wenig wie Staat und Regierung.

Sie schweigen zu dem Allem, flüsterte der[175] Chevalier Antonien zu, haben Sie nichts zur Rechtfertigung Ihres Geschlechtes zu erwiedern?

Wir sollen lieben, sagte sie zerstreuet, war es nicht so? Erschreckt Sie das Gebot, fragte er leiser, wollen Sie ihm folgen? können Sie es Antonie?

Sie sah ihn befremdet an, eine wunderliche Röthe flammte über ihre Stirn, sie rückte einigemal ängstlich hin und her, dann, als könne sie seine Nähe nicht ertragen, stand sie hastig auf, und setzte sich an das andere Ende des Zimmers.

Der Herzog fuhr indeß fort, seinem Unwillen Luft zu machen. Wüßten die Frauen nur, sagte er weiter, wie sehr sie sich aus dem Vortheil geben, wenn sie sich an etwas wagen, dem sie nicht gewachsen sind. Die fremden Mienen zu den fremden Gedanken und Worten, die erhöhete Stimme, die unnatürliche Gluth in ihren Augen, und all die gemachte Exaltation, lassen es die Männer vergessen, wer gegen sie streitet, Worte reihen sich an Worte, und wenn der Mann sein Leben an eine Meinung setzt, wodurch behauptet sich die Frau vor sich und der Welt, hat sie die Würde ihres Geschlechtes verletzt?

Viktorine stand aufs höchste beleidigt von ihrem Sitze auf; Thränen des allerbittersten Unmuthes traten ihr in die Augen. Der Herzog faßte[176] sie begütigend bei der Hand, warum, sagte er sanfter, wollen sie dem Schicksal etwas abtrotzen und sich dürftig aneignen, was Ihnen nicht werden sollte? warum wollen sie sich des schönen Vorrechtes begeben, durch ihr bloßes Erscheinen zu herrschen, Gesinnungen wie Thaten zu zügeln. Was sollen Ihnen die ungeschickten Waffen, die sie nicht zu lenken wissen, die unsicher umher schwanken, und meist nur sie selbst verletzen.

Niemals, versetzte Viktorine, werde ich mich überzeugen, daß wir aus irgend einer Sphäre menschlicher Wirksamkeit ausgeschlossen seien. Wie häufig sind es grade Frauen, welche die Zügel des Staates geheim und sicher lenken, und nicht selten verdanken es die Männer nur ihnen, wenn sie auf ihrem rechtem Platze stehn.

Meine schöne Freundin, entgegnete der Herzog, in Staatsintriguen sind die Frauen immer die Ueberlisteten, sie werden zufällige Mittel, man giebt ihnen ein buntes Seilchen in die Hand, und macht ihnen weiß, sie lenken das gewaltige Fahrzeug, indeß sie selbst weit sichrer durch Eitelkeit, Ruhmsucht und andere unreine Motive gelenkt werden.

Weiser Einfluß, sagte die Präsidentin, ist sehr wohl von gewinnsüchtiger Intrigue zu unterscheiden. Wie viel erhabene Fürstinnen haben durch[177] ihr ruhiges Erkennen, geschicktes Sondern, und schnelles Durchdringen, Gatten und Söhne zum Vortrefflichen geführt, wie viele waren selbst vom Throne aus das Heil ihrer Völker.

Es ist wohl unleugbar, hub hierauf der Doktor an, daß den Frauen ein Organ für jedes Verständniß inwohnt; und sie augenblicklich in verwandtliche Berührung mit allem setzt, was ihnen nahe tritt. Sie erlangen dadurch eine geheimnißvolle Gewalt über Dinge und Menschen, welche selbst der gesellschaftliche Sprachgebrauch zauberisch nennt. Solch ein Zauber war von jeher anerkannt, die königlichen Frauen der Vorzeit übten ihn, mittelbar in das äußere Leben und dessen Gestaltung einwirkend; aber es gehört dazu das treueste Verharren in der eigenen Natur, denn, wie es Ihre Worte erschöpfend sagten, in der Liebe, welche der Frauen Wesen ist, verstehn und sind diese allein jedes und alles.

Als nun hierauf Viktorine unversöhnt und die Präsidentin unbefriedigt die Gesellschaft verließen und der kleine Kreis sich immer enger zusammenzog, fragte der Chevalier die Baronin, wie ihr die Vorlesung behagt habe? Ich kann das noch nicht wissen, erwiederte sie. Noch nicht! wiederholte er, mein Gott, wann wollen Sie es denn erfahren? Ich weiß nicht, war ihre Antwort, vielleicht[178] zufällig einmal, wenn mir die Dichtung ganz von ohngefähr in die Hände fällt und ich sie wieder vergessen habe. Mir ist es allezeit ängstlich, Werke meiner Bekannten von ihnen selbst vortragen zu hören. Ich behalte kein freies Urtheil dabei. Mir ist bange, sie entweder zu überschätzen, oder nicht hoch genug zu stellen. Darüber geht mir der Totaleindruck verloren. Es ist so schwer, Menschen, die man essen und trinken, Gewöhnliches im Tageslauf denken und thun sieht, plötzlich auf einer höhern Stufe zu erblicken, sie dreist zu der ganzen Welt reden zu hören, man kann sich nicht einbilden, daß dies nicht zuviel gewagt sei, man vermischt die einzelnen Stunden der Erhebung mit ihrem übrigen Leben, und glaubt sie früherhin oder jetzt mißkannt zu haben; so wird das Urtheil trübe, und es kommt zu keinem gesunden Gedanken.

Antonie, welche während dem unruhig auf und ab gegangen war, fragte jetzt den Arzt, ob man nicht in alten Büchern das Leben jener wunderthätigen Frauen, deren er zuvor Erwähnung gethan, aufgezeichnet fände? und ob sie solche Schriften wohl zu lesen bekommen könne? sie erinnere sich aus ihrer Kindheit, ein Lied von einer Zauberkönigin gehört zu haben, es schwebe ihr aber nur ganz dunkel vor, sei ihr auch nichts Besonderes[179] daraus erinnerlich, allein sie fühle oft eine wehmüthig Sehnsucht nach dem alten Liede, und möge gern etwas ähnliches hören.

Der erfahrene Mann sah mit Bedauern, daß seine unschuldigen Worte die kranke Phantasie des armen Kindes in ein dunkles Meer verwirrender Bilder hineingezogen hatten. Er lenkte daher ihren Wunsch, mehr über das geheime Wirken einzelner Geweiheten der Vorzeit zu erfahren, auf die genauere Kenntniß der Naturkräfte überhaupt; rieth ihr, beweglichern Verkehr mit dem Lebendigen; freien, vertrauten Umgang mit der Gegenwart zu pflegen, verhieß ihr freundlich, sie in das geschäftige Innenleben der Natur einzuführen, und suchte ihren Blick auf alle Weise von dem trüben Wiederschein verblichener Gestaltungen abzulenken.

In Antonien war aber das Wort Zauberei wie ein zündender Funke hineingefallen. Sie dachte, es ist alles unbegreifliches Wunder, was uns umgiebt, warum sollen wir selbst nichts Wunderbares vollbringen dürfen! Und gäbe es einen Zauber, ihn an mich zu bannen, wie ich an ihn gebannt bin, weshalb sollte ich nicht? – Es giebt so viel Verborgenes im Menschen, wovon er selbst nichts weiß – Gott hat es ihm eingepflanzt – Gott will – Sie konnte es nicht vergessen, wozu sie[180] Gott ausersehen habe. Ihre Eltern fielen ihr ein. Sie konnten nicht von einander laßen, sagte sie! – ihr Herz bebte in freudigem Entzücken; sie beschloß, sich dem Marquis zu nähern, von ihm über vieles Auskunft zu erhalten. Auch das Anerbieten des Arztes nahm sie an, sie hoffte, mehr unter seiner Anleitung zu ergründen, als er ihr offenbaren konnte; denn gewinnen mußte sie sich den Geliebten, das war im Himmel wie in ihrem Herzen beschlossen![181]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 157-182.
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