Neuntes Kapitel

[105] Die Baronin bedurfte wirklich mehr als je der Ruhe und innern Sammlung. Das Leben war ihr aufs neue so aufgerüttelt, alles trübe ineinandergewirrt, und grade jetzt, wo die Verhältnisse anfingen, sich zu setzen. Sie wäre so gern an Ort und Stelle geblieben! Das Herumziehn in fremden Ländern, so spät im Jahre hinein, hatte viel Unerfreuliches. Und was war am Ende davon zu erwarten? Sie mochte die Gedanken hinwerfen, wohin sie wollte, sie mochte den Lebensplan so oder so ordnen, es blieb alles unbegründet, alles durch Umstände bedingt, die ich nicht vorher bestimmen ließen. Unter dem Vielen Hin- und Herschieben und Stellen der Lebensverhältnisse ward es ihr indeß klar, daß über diese das Leben ganz allein zu bestimmen habe, daß man sie müsse kommen lassen, ohne sie sich selbst zuschneiden zu wollen, und daß der Mensch nichts anders[105] solle und könne, als sich in jeder Lage würdig behaupten.

Am Ende, sagte sie sich, ist daran auch nichts zu meistern! es wächst alles aus tiefem, unbekanntem Grunde herauf, wir mögen die Richtungen lenken, wie wir wollen, das Leben schlägt immer seinen eigenen Weg ein. Und hier, fuhr sie fort, giebt uns die Menschliche Klugheit auch nicht einmal Augenblickliche Zwecke zu berücksichtigen. Das Nothwendige liegt vor uns, wir müssen fort von hier. Wohin wir gehen? kann uns im Grunde gleich sein. Ein jeder Ort kann der rechte, ein jeder der unrechte sein. Wir haben keine Ursach, einen vor dem andern zu wählen. Das Zweifelhafte hierbei muß uns, an uns selbst zweifeln, und höherer Führung vertrauen lehren.

Es ward ihr ganz leicht ums Herz, als sie sich das so anschaulich bestimmt ausgesprochen hatte; um so mehr, da sie nicht anders glauben konnte, als Frankreich werde dennoch das endliche Ziel aller dieser Irrfahrten sein. Und ob sich auch dort ihrer Seele kein vertraut gebliebenes Bild zeigen wollte, so war es doch der heimathliche Boden, welcher sich, wie glückliche Inseln, aus den unruhigen Wellen der Ereignisse heraufhob.

Sie ruhete hier aus, ließ die Familie des Marquis ihre eigene sein, sah mancherlei von weitem[106] kommen, bis die Gedanken immer loser, die Bilder immer unkenntlicher, wurden, und sie endlich einschlief.

Sie lag indeß noch zwischen Bewußtsein und Traum, im anmuthigen Gefühl unwiderstehlicher Hingebung, als ihre Vorhänge leise geöffnet wurden und der warme Hauch flüsternder Lippen ihre Wange berührte.

Die Baronin war von Natur schrekhaft, leicht überrascht, und verfiel, durch irgend etwas stark ergriffen, auf das Unwahrscheinlichste. Sie fuhr jetzt schnell in die Höhe, sah indeß kaum die Umrisse einer weiblichen Gestalt im Dämmerlicht der Lampe, als sie eben so schnell in ihre Kissen zurückfiel, und kaum hörbar stammelte: mein Heiland! die Marquise! Meine beste Tante, sagte Antoniens Stimme, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Sie haben in meinem Herzen gelesen. Die Mutter ist es, die mich zu Ihnen führt. Ich habe ihretwegen keine Ruhe. Ich muß es wissen, wie und auf welche Weise sie starb. Sonderbares Kind! sagte die Baronin etwas beschämt, welche Stunde wählst Du auch dazu, Du hast mich ganz verwirrt, ich träumte wohl grade. Verzeihen Sie mir, erwiederte jene, aber ich dachte, wie unzuverläßig es jetzt mit der Zeitbestimmung sei, wir müssen vielleicht schon Morgen von hier fort, was uns[107] zusammenführte, kann uns auch wieder von einander reißen, man wird anjetzt so scheu, und dazu ängstet mich das Dunkel der Vergangenheit mehr als die ungewisse Zukunft, deshalb meine Tante – Nun wohl, unterbrach sie die Baronin, ich will Dir gern die gewünschte Auskunft geben. Sie richtete sich im Bette auf, und Antoniens beide Hände fassend, gleich als wolle sie sich versichern, daß sie zu einem lebenden Wesen rede, zog sie diese sanft zu sich nieder. Hast Du, hub sie nach einigem Besinnen an, vielleicht von einer geheimnißvollen Kraft gehört, welche einem Wesen über das Andere eine furchtbare Gewalt einräumt, und die man, mit Recht oder Unrecht, magnetisch zu nennen pflegt? – Magnetisch heißt die Kraft? fiel Antonie schnell ein. Ja, erwiederte die Baronin. Ich zweifele nicht, fuhr sie fort, es giebt so unbegreifliche Einflüsse in der Natur, welche der Einzelne freilich nur am Einzelnen entdecken kann. Allein das Menschliche Gemüth ist nicht enthaltsam, es kann nichts kommen, nichts aus seiner Nothwendigkeit ruhig hervorgehn lassen, es muß alles an sich reißen, und wie der Effekt den Sinn trifft, und der Mensch durch irgend ein Vermittelndes dem Herr wird, so freuet er sich schwachherzig der Meisterschaft, und prüft und übt sich an etwas Willkührlichem, das ihm unvermerkt Zweck[108] wird. So ging es sicher mit mancher unerforschten Thätigkeit in der Natur, deren Wirkung, blendend oder verletzend, als Gaukelspiel verworfen ward, weil sie außer ihrem Zusammenhang auf Individuelles bezogen, das todte Produkt tief verborgener, ungekannter Ursach blieb. Die bereits festgestellte Wissenschaft duldet das nicht, und es konnte nicht fehlen, daß grade dasjenige, was dem Geisterreich so nahe gerückt schien, alle solche zu Feinden hatte, welche nach vorgefundenem Maaßstabe prüfen, wie im Gegentheil in denjenigen Anhänger fand, die niemals Zeit behalten zu prüfen. Dein Vater gehörte ganz unbedingt zu den Letztern; und jemehr die kalte Zergliederung und Herabwürdigung Anderer ihn verletzte, je leidenschaftlicher hielt er sich an dem, was er sah, erlebte, durch sich selbst erfuhr. Und wirklich waren die Hervorbringungen des Magnetismus so unleugbar, die Kraft des Willens erschien dabei so über alles herrschend, daß der Marquis den weisern Einwurf, wie den frechen Tadel, auf gleiche Weise verlachte.

Es wäre mir so unbequem, wie Dir unersprießlich, wollte ich alle die zauberischen Wirkungen des Magnetismus hier aufzeichnen. Eben so wenig kann ich Dir ein genaues Bild der dabei vorwaltenden, mechanischen Behandlung entwerfen.[109] Die große Hauptsache war, daß zuerst durch magnetische, mit der flachen oder geschlossenen Hand geführte, Striche, der Behandelte von dem ersten Grad müden Ziehens der Augen, nach und nach in einen Zustand versetzt ward, in welchem die äußern Sinne vollkommen ruhen und die innern allein agiren. In diesem Zustande hat der magnetisch Schlafende eine vollkommene Kenntniß seiner selbst, sieht in sich, wie in Andere, hinein, denkt, handelt mit Bewußtsein, und redet Dinge, welche er vielleicht wachend nicht zu sagen wüßte.

Es ist unglaublich, welche Sensation diese Entdeckung in Paris machte. Verbindungen wurden geschlossen, Gebäude, Zimmer eingerichtet, Versuche gemacht, an deren Resultate sich die gescheutesten Köpfe vergebens wagten.

Der Marquis hatte indeß bei alle dem nur Eines im Sinne. Er beherrschte das Gemüth seiner Frau, und hielt ihr Herz in Händen. Sie war froh, seine leidenschaftliche Zweifel stillen zu können, und öffnete ihm in Stunden der Crisen willig ihr reines Innre. Da sie indeß guter Hoffnung und äußerst reizbar war, so kam es dahin, daß ein anhaltender Blick des Marquis sie in convulsivische Zuckungen und dann in jenen unnatürlichen Schlaf versetzte, die mir, als ich einst gegenwärtig war, das ängstigende Gefühl gaben, als stehe[110] ich zwischen dem todten Leib und der geschiedenen Seele meiner Schwester.

Vergebens schrie ich dem Marquis ins Gewissen, daß er seine Frau tödte, beschwor ihn, sich von ihr zu entfernen, setzte Freunde, Aerzte, Himmel und Erde, in Bewegung, sie vor ihm zu retten, allein durch einen seltsamen Widerspruch wollte sie so wenig von ihm, als er von ihr lassen, ja sie war in dem Maaße an ihn gebannt, als seine Nähe zerstörend auf sie wirkte. So ward sie immer schwächer, fast verworren in sich selbst, und gab in einer dieser Crisen Euch, meine armen Kinder, das Dasein. Die Natur aber ward durch den doppelten Kampf zerrissen, sie starb wenige Stunden darauf.

Die Baronin schwieg sehr bewegt. Antonie sah vor sich hin. Der Tod der Mutter hatte nichts Trübes mehr für sie, im Gegentheil ward ihre Brust von der süßesten Wehmuth gehoben. Sie fühlte in allem dem eben Erfahrenen nur die Gewalt tiefer, unergründlicher Liebe. Sie konnten nicht von einander laßen, sagte sie sich leise, so fest kettet die geheimnißvolle Kraft!

Seitdem, unterbrach endlich die Baronin das Schweigen, haben nähere Ereignisse das Auge von dem Unbegreiflichen abgezogen. Mein Kind, fuhr sie fort, ich habe noch immer gefunden, daß wenn[111] die Menschen die Natur so recht derb anfassen, und sie nun in ihrer Gewalt zu haben glauben, diese plötzlich ihren Händen entschlüpft, und groß und gelassen ihren gemessenen Gang über ihnen hingeht; sie ruft sie an, aber unter ganz anderer Gestalt, und heißt ihnen, sie geschichtlich begleiten, wenn sie im freundlichen Verkehr mit ihr bleiben wollen. Wer dem Moment die Flügel beschneiden und ihn zu etwas machen will, der thut eben gar nichts! Und doch, sagte Antonie, ist das ganze Leben auch nur ein Moment, und was geschieht nicht alles in ihm! Ach die Liebe schafft ja eine ganze Welt hinein!

Grade die Liebe, erwiederte die Baronin, soll viel mehr als den Augenblick wollen. Will sie ihr Reich auf Erden so recht dicht und fest gründen, so bricht es zusammen, und das Herz obenein.

Aber wie bricht es! unterbrach sie Antonie, unter der allerseligsten, wie unter der furchtbarsten Gewalt! Kind, entgegnete die Tante, erinnere Dich, daß jedes Heraustreten aus dem Gleichgewicht der Natur Krankheit ist, und daß wir uns vor dieser überall zu hüten haben. Und nun geh', Du kleine Nachtwandlerin, fuhr sie gütig fort, geh, wir kehren sonst auch die Naturordnung um, und das thut niemals gut.

Mir hat es wohl gethan, sagte Antonie, indem[112] sie ihre brennende Lippen auf die Hand der Baronin drückte. Diese küßte ihr die Stirn, und sah sie, mit einer Art von wehmüthigen Beklemmung, an dem Nachtlicht vorüber durch das Zimmer gehn.

Am folgenden Morgen ließ der Herzog keinen aus der Gesellschaft lange ruhen. Er war heftig, ja ungestüm, und konnte es nicht dulden, daß man lange über einen Entschluß sann, oder die Entscheidung gar von sich wegschob. Die Baronin aber trauete sich selbst nicht recht in Dingen, die in einem sächlich oder persönlichen Verhältniß zu nahe auf sie zutraten, ihr Blick ward alsdann leicht befangen, es ging ihr, wie solchen Augenkranken, die nur in gewisser Entfernung eine helle Unterscheidung und Uebersicht gewinnen. Sie sagte daher dem Herzog: Niemand wird so geblendet, so leicht bestochen, als ich wenn Mehreres zusammentritt; verschone mich also mit jedem, was einer Auswahl unter Vielem ähnlich sieht. Ich bin entweder ganz Gefühl, oder ganz Ueberlegung. Die Letztere allein läßt es zu nichts kommen, das Erstere reißt mich fort. Ist einmal ein Unglück geschehn, so weiß ich mich schnell zu finden, weil ich, zurücksehend, die Ursach bald entdecke, soll ich dies aber umgehn, so verwickele ich mich in den Wegen die umherlaufen. Es ist einmal meine Art so.[113] Aendern läßt sich darin nicht viel. Schilt darüber auch weiter nicht, und da Du siehst, daß uns allen ein kräftig-bestimmender Wille Noth thut, so bestimme Du für uns.

Nun gut, sagte der Herzog, meine Parthie ist bald genommen. Der Marquis schwindelt da noch von Abwehren der Gefahr, geheimen Einflüssen, und Gott weiß was allem, aber das muß er mir nicht sagen, ich weiß auf ein Haar, wie wir stehn, ich bin auch keinesweges auf Gaukeleien der Art gestellt. Das Kurze und das Lange von der Sache ist, daß wir fort müssen, je eher je lieber, auf dem kürzesten Wege dem besten. Daher ist mein Plan, über die Gebirge nach der Schweiz und Deutschland zu gehn. Sind wir gleich bereits weit in der Jahreszeit vorgerückt, und sind Wege und Wetter rauh, so ist das ein freiwilliges Uebel, das wir uns auflegen, und keinesweges mit einem entehrenden Tode zu vergleichen, der uns hier unfehlbar bedroht. Ich für mein Theil wenigstens gehe, und seid ihr klug, so folgt ihr nach. War es sonst schon immer schwer, dem raschen Andringen seiner Worte zu widerstreben, so ließ sich jetzt gegen das Gewichtige derselben nichts einwenden. Es wurden deshalb, trotz der Unbequemlichkeit und dem Störenden einer Winterreise, alle erforderliche Anstalten dazu getroffen. Antonie, welche sich dem[114] Herzog sehr ergeben zeigte, war besonders geschäftig dabei, und übertrug gewissermaßen Marien, die ungern den angenehmen, ruhigen Auffenthalt verließ, zumal da sie wegen Giannina in Verlegenheit war, und nicht recht wußte, wie sie es einzuleiten habe, daß sie das gute Kind begleiten dürfe. Allein diese hatte in der Baronin eine Beschützerin gefunden, die selbst nicht von der Kleinen laßen konnte. Sie ward daher förmlich in das Gefolge des Marquis eingeschoben, ob man gleich ihr heiter-luftiges Wesen durch keine genauere Dienstbeschäftigung einengen wollte.

Marie ward dadurch um vieles getrösteter, nur kostete es ihr Mühe, sich von ihren freundlichen Wirthsleuten zu trennen. Sie gewöhnte sich so leicht an Menschen! Der Ton ihrer Stimme, ihr Lächeln, ein gutes Wort, herzliches Benehmen' ja die eigene, selbst auf sie nicht Bezug habende, Art und Weise, fesselte sie, und ihr weiches Herzchen brach fast, mußte sie solche verlaßen, die ihr wohlgewollt, oder sie durch Gefälligkeit verpflichtet hatten. Zudem goß das lautlose Gewerbe beider Eheleute, ihre stille, genaue Thätigkeit, das Nothwendige ihres Gehens und Kommens, der angenehm belebte und doch so friedfertige Gang ihrer Unterhaltung, ein so helles lebendiges Sein, so behagliche Ordnung, durch das kleine Häuschen, daß[115] allen darin wohl war, und Marie oftmals mit innerm Behagen dachte, wie schön es sei, sich als Mittelpunkt einer so geschaffenen kleinen Welt zu finden! Sie beneidete Felicitas darum, wie denn überhaupt der Umgang dieser stets heiteren Frau, die Anlage zu mancher häuslichen Tugend und den alles fördernden und über allem waltenden Ordnungssinn mehr und mehr in ihr heraushob, und ihr vielfache Unterhaltung in der wohleingerichteten Haushaltung gab. Jetzt ward der Faden ihrer kleinen Gedankenspiele plötzlich wieder zerrissen, der einfach ruhige Farbenton ihrer Vorstellungen gemischt, vervielfacht, ihr Blick auf Ungekanntes gelenkt, sie konnte sich der innern Trauer so wenig wie des Gedankens erwehren, daß solch unstätes Leben sie nur verwirre, und ihr Gefühl noch oft zerreißen werde.

Ihre Zärtlichkeit für die; welche sie verlaßen sollte, mehrte sich mit jeder Stunde, und bewegte sowohl Felicitas, wie ihren Mann, auf solche Weise, daß Erstere ihr einen feinen Spitzenschleier, Letzterer aber zwei mit einander verbundene Goldringe, mit dem Bedeuten verehrte, solche an ihrem Hochzeitstage von einander zu lösen und die Einigkeit und freudige Lust, die sie hier verbunden, mit dem Geliebten zu theilen; wie Gott ihrer beider Hände dann zusammenfügen werde, so werde sich[116] auch das stille Band der Einigkeit verschlingen und Liebe und Treue nur Eine sein.

Marie empfing die Gaben, sowohl durch ihre Bedeutung, als den lustigen Glanz derselben, erfreuet. Sie besah sie wohl tausendmal, und steckte die Ringe unter innerm Erzittern des Herzens an den Finger. Noch oft am Tage zog sie sie ab, und steckte sie wieder an, sie erröthete dabei, und versuchte, wie sie sich wohl ablösen würden, ohne dadurch verletzt zu werden. Der Goldarbeiter bemerkte es wohl, und freuete sich ihrer unschuldigen Lust.

Indeß war alles zur Reise angefertigt, Felleisen gepackt, Wagen und Führer gemiethet, Wege und Stationen berechnet, die Richtung östlich über Aosta, den St. Bernhard und die Walliser Gebirge, nach Thun, Bern und Basel zu genommen; und da sie den näheren Weg über Genf wegen der Kriegsunruhen vermeiden mußten, so sahen alle dem späteren Ruhepunkte mit Verlangen entgegen, und eilten nun insgesammt, aus dem natürlichen Triebe das frühere Ungemach erst hinter sich zu haben, schnell zur Abfahrt.

Auch diesmal verließ sie der Köhler nicht, um so mehr, da er sich dort drüben die Gelegenheit ansehen, und erwägen wollte, ob da seines Bleibens sein könnte. Die kränkliche Frau aber ließ er unter[117] dem Schutze ihres Bruders zurück, was er wohl thun durfte, da sie als Italienerin nichts von den feindlichen Franzosen zu fürchten hatte. Nur von Alexis wußte er sich auf keine Weise zu trennen, und da der Knabe so leidenschaftlich an Giannina gebannt war, und diese ihre besten Neckereien mit ihm trieb, so fügten sich alle, und das Kind fand sein Plätzchen.

Der Herzog hatte seinen Aerger über das viele Hin und her Reden, die kleinen Berücksichtigungen, das Abschiednehmen und seltsame Erweichen bei der Trennung von einem Ort, den man von Anfang her nur als einen Durchgangspunkt angesehen, ja ihn niemals anders betrachtet wissen wollte. Welche Umstände, sagte er, um von Abend bis Morgen zu leben! wie schwerfällig macht so unzeitiges Erweichen, und wie träge zu jeder tüchtigen Betriebsamkeit! Du könntest, unterbrach ihn die Baronin, eben so gut sagen, welche Umstände überall, zu leben, da jeder des Todes gewiß ist! Ein jeder weiß, daß er hier auf Erden keine bleibende Stätte aufschlägt, und gleichwohl! wer vergäße es nicht gern? wer möchte noch etwas anfassen, erinnerte er sich jeden Augenblick, daß er den Tod in Händen halte? Treibt man im Allgemeinen schon so tolles Narrenspiel, sich selbst zu äffen, sagte der Herzog, so sollte man es doch nicht[118] absichtlich, bis zur Kinderei, vervielfachen. Es geschieht auch im Kleinen wie im Großen nicht absichtlich, erwiederte jene, es kommt von selbst, man muß die Gegenwart eben so oft von ganzer Seele lieben, wie sie einem in andern Augenblicken von Herzen lästig fällt.

Sie wandte sich bei diesen Worten nicht ohne Unwillen von dem edlen aber schroffen Bruder, und Marien, auf welche dieser Ausfall besonders, ihrer vielen Thränen wegen, gerichtet war, bei der Hand nehmend, stieg sie in den Wagen, und gab so das Zeichen zum Aufbruch.

Es schien aber, als seien alle aus ihrem Gleise gewichen. Die heftigen, über die Lippen hinfliegenden Worte, hatten die Baronin verstimmt, sie fühlte dadurch in ihrem Innern das Verhältniß zu dem Bruder für den Augenblick gestört, sie konnte sich niemals einen Unwillen, oder gar eine Heftigkeit, gegen die, welche sie liebte, verzeihen, und wie sichtlich deren Unrecht war, es fiel, hatte sie es gerügt, immer doppelt auf sie zurück; deshalb tadelte sie sich auch jetzt bitter, ja sie ging weiter, sie fand Mariens Thränen selbst kindisch, und verwies es ihr mit einiger Strenge, wodurch die arme Kleine nur noch bewegter, und unfähig ward, sich sogleich zu fassen. Da nun aber Alexis, wie alle Kinder, wenn sie weinen sehen, auch weinte,[119] und, um dem Vorschub zu thun, laut nach der Mutter bangte, so griff die üble Laune alle an, und Verweise und Drohungen fielen durch einander hin, und wurden in dem engen Raum um so störender, da sie jede heitere Betrachtung unterbrachen.

Zudem wurden die Wege jetzt sehr beschwerlich. Die Baronin, im Fahren ängstlich, nur gewohnt, von Paris nach Versailles, oder andere bekannte Straßen zu reisen, litt sichtlich von der quälendsten Besorgniß, wie sehr sie sich auch bekämpfte. Niemand sprach zuletzt, bis Alexis, der sich in dem Maaße erheiterte, als die andern schwiegen, Giannina anlag, ihm etwas zu erzählen. Diese wußte ein uraltes Mährchen von einer Bergfrau, welche Abends auf weißem Flügelpferde durch die blaue Alpen ziehe, Krankheit und Tod über die Menschen bringe, Jünglinge aus den Hochzeitkammern entführe, und wenn die Bräute ihnen nachfolgten, diese in kleine Blumen verwandele, welche man Alpenrosen zu nennen pflege. Der Knabe wurde nun auch still, und sah ganz scheu zum Wagen hinaus, denn er fürchtete, die große, schreckliche Dame zu sehen, wie er sich ausdrückte.

Jenseit Aosta bestiegen die Männer Maulthiere, die Frauen mußten sich größtentheils in Sesseln tragen laßen. Antonie indeß bestand mit[120] einiger Hast darauf, ebenfalls den Weg auf einem Maulthiere zurückzulegen. Sie hatte einen sichern Führer, und ritt nun zwischen dem Herzog und ihrem Vater die steilen, gewundenen Pfade entlängs, ohne eine Spur von Unruhe zu zeigen, weshalb sie der Herzog oftmals freundlich anlächelte, und selbst einigen Stolz über sie, die Richte, zu empfinden schien.

Es war am Ende des Dezembers. Ungleiche Windstöße hüllten sie oftmals in Wolken von Schnee und Hagel. Ein jeder fühlte die Kälte sehr empfindlich, Antonie hatte einen Mantel übergehangen, und den Kopf vielmals mit langen Schleiern umwunden, allein der Wind wickelte diesen, wie das aufgeflochtene Haar, immer wieder los, bis sie, doch etwas unsicher auf dem fremden Thier, und sich keinesweges mit Freiheit darauf bewegend, Haar und Schleier in Gottes Namen im Winde flattern ließ, einzig darauf bedacht, wie sie sich sonst vor der Kälte verwahre, die immer schneidender ward.

Die Reitenden gewannen leicht einen kleinen Vorsprung, so daß sie die Andern zuweilen ganz aus den Augen verloren, und dann plötzlich bei einer Beugung des Pfades ihrer erst wieder ansichtig wurden. Als es daher bereits dunkelte, und Antonie, unter der schwarzen Wolke ihrer Haare,[121] den Steg etwas fern ab ritt, schrie Alexis laut auf, und versteckte sich an Gianninas Brust, indem er rief, da ist die Dame! da ist sie! Wirklich hatte sie ein seltsames Ansehn, was durch die Schneewirbel noch undeutlicher, und ganz Mährchenhaft, durchschimmerte.

Doch Antonie ward ihrer Seits auch bald genug auf weit ernstere Weise erschreckt. Sie stiegen bereits die nördliche Abdachung des Bernhard hinunter, und freueten sich, eine Hütte zu finden, wo sie ausruhen und übernachten könnten, als die Thiere plötzlich stutzten, und ihre Führer gleichfalls einige Schritt, vor einem, über den Weg liegenden Mann, still standen. Ein Todter! rief der Eine, welcher näher herzugetreten war. Der Herzog sprang zur Erde, der Marquis folgte ihm, doch ehe sie noch zu der Stelle kamen, war ihnen Antonie schon vorangeflogen, hatte die Hand des Mannes gefaßt, und rief sehr freudig: er lebt, er lebt!

Ob indeß gleich einige matte Pulsschläge das krankhafte Leben andeuteten, so lag der Mann doch wie entseelt, regungslos, mit gebrochenem Auge. Das Blut war ihm aus mehrern Wunden hervorgestürtzt, jetzt rieselte es nur schwach an der geronnenen, zusammengeballten Kruste hin, die sich um die kranken Stellen gelegt hatte. Sein[122] Gesicht war todtenbleich, die Hände starr und kalt, Rock und Gilet waren, wie in Todesangst, weit über die Brnst aufgerissen, der Wind strich schneidend über diese und die offenen Wunden hin. Antonie warf ihren Mantel über ihn, riß heftig an den Schleiern, und, während sie die Wunden mit diesen umwickelte, rieb sie sanft hin und wieder an den bleichen, verfallenen Schläfen. Ein grünes Netz deckte verschoben das reiche Haar, die schönsten Brauen lagen, wie hingezeichnet, auf der freien Stirn, Antonie berührte diese leise, als es wie eine Erinnerung durch sie hinfuhr, sie blickte auf nach dem Herzog, der stand, auf seinen Stock gestützt, mit tief über die Augen gezogenem Hut, finster und stumm da. Antonie fühlte das Herz des Kranken jetzt stärker schlagen, das Blut schien gestillt. Nun Ihr Männer! rief sie, was besinnt ihr Euch, soll der Unglückliche hier vergehn? Er lebt, ich sage es Euch ja, die Besinnung kehrt zurück, ich sehe es in den starren Zügen leise arbeiten! Wollt Ihr nicht, so trage ich ihn auf meinem Rücken zur nächsten Hütte!

Der Herzog machte eine unwillkührliche Bewegung zu dem Kranken hin, trat aber wieder zurück, und stand wie eingewurzelt mit gesenkten Augen.

Der ganze Zug war indeß herangekommen.[123] Alles stockte und drängte sich herzu. Bertrand und der Köhler waren gleich bereit, den Unglücklichen herunter zu schaffen. Antonie half, ihn leise in die Höhe heben, deckte ihn dann behutsam mit ihrem Mantel zu, und hieß beide sachte, und soviel als möglich gleichen Schrittes, gehn, weil ungleiche Bewegung die Wunden wieder aufreißen könne. Als sich nun beide aufmachten und langsam vorangingen, sah Antonie ihnen noch eine Weile sorglich nach, dann faßte sie den Herzog bei der Hand und sagte leise: Mein Onkel! hassen Sie den Sohn? denn daß er das ist, das sieht und fühlt sich wohl, warum denn diese Härte? Hm! sagte der Herzog, sich unwillig abwendend, erst muß ich wissen, ob er mit Ehren hier ist, ehe ihn meine Liebe zu nennen weiß. – Sie sah ihn betroffen an, doch schwieg sie, und Alle setzten nun still, und innerlich beunruhigt, ihren Weg zur Hütte fort.[124]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 105-125.
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