Zehntes Kapitel

[125] Sie waren noch nicht lange auf diese Weise in Gedanken fortgeritten, als sie an der sanftern Abflachung des Weges ein Häuschen erblickten, das, zu gastlicher Bewirthung bestimmt, gehörig erhellt, dem nächtigen Wanderer schon von fern dies ersehnte Ziel langer, unbequemer Anstrengung zeigte.

So nahe, dachte Antonie, war der arme müde Mann Menschlicher Hülfe, und mußte dennoch unfehlbar sterben, kamen wir nicht des Weges. Und wer weiß, war es nun nicht zu spät! –

Sie hielten jetzt vor der Herberge. Antonie strich eilig an dem Wirthe vorüber, welcher, der vielen Gäste froh, diesen entgegen trat. Ihr Haar hing noch aufgelöst, wie ein Mantel, um ihre Schultern, die Unrahe der arbeitenden Seele glühete unstät aus Blick und Mienen, der Mann trat einen Schritt zurück, und sah sie befremdet die Thüre[125] der Gaststube mit wilder Hast aufreißen; doch hier blieb sie eben so schnell überrascht stehn. Der Kranke saß bereits aufgerichtet in einem Lehnstuhl, sein bleiches Gesicht ruhete in der aufgestemmten Hand. Bertrand, ehemaliger Feldchirurgus, schien eben seine Wunden untersucht und verbunden zu haben, der Köhler legte ihm jetzt sanft den Mantel auf Brust und Schultern, während Bertrand die feinen Instrumente sauber abwischte und wieder in die rothe Tasche einlegte, Antoniens blutiger abgerissener Schleier lag noch zu des Kranken Füßen. Sie bückte sich danach, und steckte ihn eben unter das Busentuch, als der junge Mann aufblickte, und, fast erschrocken, mit fliegender Röthe im Gesicht, beide Arme auf die Lehnen des Stuhls gestemmt, den Oberleib gehoben, eine rasche Bewegung ihr entgegen machte, aber mit einem tiefen Athemzug aus der kranken Brust, erschöpft, halb in die alte Ohnmacht zurücksank.

Antonie that einen lauten Schrei, denn sie glaubte nicht anders, als er sterbe, da in diesem Augenblick die entsetzlichste Blässe sein Gesicht überzog. Auf diesen Schmerzeston stürtzte auch der Herzog hinein, welcher bis dahin wie im Kampfe mit sich selbst zögernd vor dem Hause stehn geblieben war, und das Ansehn hatte, als erwarte er die Uebrigen der Gesellschaft, welche[126] eben auch eintraten. Doch faßte er sich sogleich, als er den Sohn lebend, ja unter Bertrands Händen besser fand, als er es früher dachte. Er blieb im Hintergrunde des Zimmers, und schien abzuwarten, bis es Zeit sein werde, zu reden. Allein die Baronin hatte kaum einen Blick auf den Kranken geworfen, als sie alle fortdrängte, an seinen Sessel niederkniete, seine Hände küßte, und unter einem Strom von Thränen wiederholt rief: Adalbert, Adalbert, mein Adalbert, bist Du es wirklich?

Dieser vernahm kaum den Ton ihrer Stimme, als sich die sanfteste Freundlichkeit über das liebe, weiche Angesicht ausbreitete, und er mit aller Anstrengung seiner erschöpften Kräfte, ja mit ritterlicher Zierlichkeit, bemühet war, die Tante vom Boden aufzuheben! Allein sie verharrte in ihrer Stellung, und sagte, noch immer heftig weinend, laß mich so, o laß mich so! ich bin Dir näher und danke zugleich Gott in Demuth für Deine Rettung. Mein liebstes Kind! es ist mir wie ein Traum, daß ich Dich hier sehe! Ach Adalbert! rief sie, jetzt Frankreich, ihr eignes und des Neffen Leid beweinend, was ist aus Schloß Clairval, aus Dir und uns Allen geworden! Wir leben, meine Tante! erwiederte jener mit besänftigender Stimme, und haben die Ehre gerettet. Hast Du nun auch Deinem Vaterlande den Rücken gekehrt? fragte[127] die Baronin, und die armen bethörten Mitbürger verlaßen? Ist es denn unvermeidlich geworden, daß Ihr Euch Alle auf eine oder die andere Weise Eurer Pflicht entziehet? Davor bewahre mich Gott! sagte Adalbert rasch einfallend, nur der Schuld entziehen wir uns! Der Degen, den mir mein König im Nahmen meines Vaterlandes gab, soll kein Blutbeil werden! Der Soldat, meine Tante treibt nicht des Nachrichters Handwerk! Das fühlten alle meine Cameraden mit mir, unser Regiment ist aufgelöst, das ganze Officierscorps, in Treue und Ehre verbunden, harret ein jeder, in würdiger Zurückgezogenheit, der Stimme seines Volkes das jetzt Teufel bethören!

Gottlob! rief der Herzog. Er mußte sich einen Augenblick auf den Marquis stützen, denn seine Standhaftigkeit war durch den allermühseligsten Kampf erschüttert! Doch kaum hatte Adalbert den Ton dieser Stimme gehört, als ihn niemand zurück hielt, er glitt vom Sessel auf die Knie nieder, und schleppte sich, beide Arme ausgebreitet, zu den Füßen des todt geglaubten, lang entbehrten Vaters! Mein Sohn, stammelte der Herzog, noch immer bemühet, die innere Bewegung zu verbergen! Mein Sohn! rief er endlich, diesen mit aller Gewalt des überwältigenden Entzückens an die starke, liebevolle Brust drückend.[128]

Alle hatten sich herzugedrängt, es war, als sei der schöne tapfere Vetter erst in diesem Augenblick der Welt und ihnen insgesammt gegeben. Marie hatte im Gefühl unaussprechlicher Verehrung auch ein Knie vor dem Herzog gebeugt, und küßte ganz still, dem eignen Herzen Gnüge zu thun, die Falten seines Mantels! Als daher Adalbert zuerst von der Brust des Vaters aufblickte, sah er das weinende Mädchen an seiner Seite. Er reichte ihr sehr gerührt die Hand, und als die Tante rief: Deine kleine Cousine Villeroi, so umarmten beide niegesehene Verwandte einander in dieser Stellung, welche ohnehin die Form gewohnter Sitte weit hinter sich ließ.

Antonie sah zwischen dem Vater und der Tante hin, sehr ernst, fast gebietend, auf beide nieder, so daß Adalbert, als er auch auf sie durch die Tante aufmerksam gemacht ward, den Blick senkte, und sie mit ehrfurchtsvoller Scheu, den Kopf tief neigend, begrüßte.

Die Freude ist ein Balsam, der oft schneller und wirksamer heilt, als die erprobteste Arzenei. Adalbert fühlte sich gehoben, frei und stark in der Brust. Sein Blut floß so leicht durch die Adern, sein Herz klopfte so frei und ruhig. Alle gewannen dadurch Muth, auch an sich zu denken. Man freuete sich der endlich errungenen Bequemlichkeit,[129] erfrischte und stärkte sich, und setzte dem Wunsch, sich mitzutheilen, und voneinander zu hören, länger keine ängstigende Gränzen. Der Herzog sorgte indeß für Adalberts Gesundheit und behagliches Sein, mit einer Zärtlichkeit, welche doppelt rührend war, jemehr sie unwillkührlich aus dem gehaltensten und festesten Innern hervorbrach. Er bestand darauf, daß der Kranke seinen vorigen Platz einnehme, holte selbst Mäntel und Decken herbei, um ihn vor der eindringenden Zugluft zu bewahren, er beugte sich zur Erde nieder, und umlegte und umwand den Sessel damit, ja die früher bezähmte Liebe wußte sich auf keine Weise selbst zu gnügen, und Vater und Sohn schienen in die zarten Verhältnisse zurückgekehrt, wo die unbeholfene Kindheit noch des Väterlichen Beistandes bedarf, und die gegenseitige Beziehung zu einander durch leibliche Nothwendigkeit fester zusammengezogen erscheint. Auch war Adalbert schmeichelnd und gerührt wie ein Kind. Er ließ des Vaters Hand nicht aus der seinen, und richtete alle seine Worte ausschließend an ihn, als habe er nur ihm von einem ganzen Leben Rechenschaft zu geben.

Die Ereignisse der letzten Tage wurden bald das ausschließende Gespräch. Adalbert hatte wenig mehr zu sagen, als der Vater bereits wußte. Seit der Einnahme von Lyon und Robespierres[130] Blutherrschaft hatte sich sein Regiment aufgelöst. Er hatte denselben Weg wie sie gemacht, und war wenige Stunden vor ihnen auf der Stelle liegen geblieben, wo sie ihn gefunden, Erschöpfung und Anstrengung hatten seine, bey Lyon empfangene, Wunden aufgerissen, er mußte sterben, wenn sie ihn nicht retteten. Marie umarmte bei diesen Worten Antonien, sie schmeichelte der Tante, Giannina nahm den kleinen Alexis auf den Schoos, herzte ihn, und erlaubte ihm willig, mit einem kleinen Riechfläschchen zu spielen, das sie an einer feinen Kette um den Hals trug. Antonie sah sie befremdet an, sie konnte ihre Liebkosungen nicht erwiedern, es ängstete sie selbst das fröhliche Wesen, ihre Brust war durch alles Vorhergehende beklemmt, sie drückte, wie sie es in solchen Augenblicken oft that, die Hand gegen die Brust, um tief aus dem Innern heraus zu athmen, da durchschauerte sie etwas Unbegreifliches, es zog wie der zitternde Hauch eines warmen Luftstromes durch sie hin, Thränen traten ihr in die Augen, sie küßte die Schwester leise und zärtlich.

Die Nacht foderte indeß jeden zu Schlaf und Ruhe auf. Auch gebot der Herzog bald Stille, und da nur das eine Zimmer und weiter keine Lagerstätten vorhanden waren, so mußten sich alle bequemen, in ihren Sesseln beieinander zu übernachten.[131] Für den Kranken ward ausschließend gesorgt, die andern richteten sich ein, wie es eben ging.

Alle schliefen bald. Nur Antonie fand keine Ruhe; ihr brannte es wie Feuer in den Adern. Sie stand auf, schlich leise im Zimmer auf und ab, und ließ ihre Blicke leicht über die Schlafenden hingleiten. So oft sie Adalbert nahe trat, oder ihr Auge fest auf ihn richten wollte, ward dessen Schlaf unruhig, er warf sich hin und her, und sie mußte sich abwenden, aus Furcht, ihn zu erwecken. Unwillkührlich sah sie von ihm weg auf Marien hin; und mußte sich gestehn, daß sie nie ein zarteres Engelsköpfchen gesehen habe. Höchst unbefangen saß die Kleine, beide Hände über der Brust gefaltet, neben der Tante, ihr Kopf war dieser auf die Schultern gesunken, die blonden Löckchen kräuselten sich weich über den Schläfen, ihr Schatten lag fast wie ein Nebelstreifen auf dem klaren, ruhigen Gesicht. Zu ihren Füßen saß Alexis, den kleinen Krauskopf halb in ihrem Schooß verhüllt.[132]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 125-133.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Magie der Natur
Magie der Natur: Literarisch-Erzählerisches II

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon