Hugo an Heinrich

[81] Ich will Dich nicht glauben lassen, die Flitterwochen vermöchten so viel über mich, daß ich die übrige Welt darüber vergäße. Ich bin in meinem Leben nicht geneigter gewesen, da Unterhaltung zu suchen, wo sie sich mir bietet, als eben jetzt. Ehrlich gestanden, dieser Nachhall des ausgesprochenen Ja, ist ein wenig eintönig! Was sagt man sich noch, wenn alles beantwortet ist? Mißverstehe mich nicht. Emma's Nähe ist wie der Frühling. Sie überkleidet alles mit jenen Lichtfarben, die uns anlächeln und den Sinn in behagliches Empfinden einwiegen. Ich sehe mich leicht auf Minuten so angesprochen. Aber – doch genug! – Ich brauche scharfe Schatten, und verliere mich gern in die Tiefe zackiger, unförmlicher Schlüfte, aus denen der wilde Schrei der Natur meine träumende Seele wie ein Echo anruft.

Wir sind moderne Reisende, Heinrich. Wir fahren die gebahnte, geebnete Straße, verweilen, wo Alle verweilen, und bewundern, was Alle bewundern. Emma ist entzückt. Ich begleite sie willig, aber sie kann mir auf meinen einsamen Wanderungen durch das Labyrinth großartiger Verwilderung nicht folgen.[81]

Man nennt nicht unpassend auch das Leben eine Reise. Nenne es, wie Du willst. – So viel weiß ich wohl, daß man sich auf der einen wie auf der andern, allein, am freiesten bewegt.

Wie selten halten zwei Menschen gleichen Schritt. Wie jener sich beschränkt, muß dieser sich über Vermögen anstrengen. Man mag die Kräfte gegenseitig abwägen, wie man will, jede Probe zeigt, daß die Berechnung falsch war.

Doch genug! wir reisen!

Es war bei alledem gut, daß wir aus der Klemme der Hofetiquette und Familienrücksichten herauskamen. Ich war wie zwischen zwei Mühlräder zermalmt. Mir ist in der ganzen Gotteswelt nichts lächerlicher, als der Wahn, daß ein Mensch dem Andern eine Gnade zu erweisen denkt. Die Gewohnheit ist hierin, wie in so Vielem, die größte Gauklerin. Sie macht die Fabel zur Historie.

Du kennst indeß meine Art. Ich mag Niemanden Aergerniß geben. Lieber, wie Atlas, die Welt tragen, als einen Wurm in ihr wissentlich kränken. Wer an dem Spiele seine Freude hat, dem spiele ich zu Gefallen mit. Ueberdem, die Maske war einmal angelegt, ich mußte ihrem Charakter treu bleiben. So ließ ich mir ein[82] Ordensband umhängen, und meine Schwiegermutter hierauf Pläne und Hoffnungen für die Zukunft bauen. Sie hat etwas darin gethan, Pläne zu machen! Nun, ihr ist es Bedürfniß! Emma ist der Edelstein in ihrer Krone. Alles, was sie mit Blicken erreichen kann, muß dem Glanze dieses einzigen, das Werth für sie hat, als Folie dienen. Du kannst Dir vorstellen, was sie den übrigen Menschen ist, und diese ihr unter solchen Umständen sein können?

Wir passen wenig für einander. Meine Theorie von leben und leben lassen, findet hier keinen Eingang. Sie hat sich in mir verrechnet, und das verzeiht sie dem Geschick so wenig, als mir.

Ich bin ihr bei alledem gut. Mir verschlagen ihre Irrthümer nichts. Sie hat Verstand, und wenn auch mehr Leidenschaft als Gefühl, dennoch eine außerordentliche Regsamkeit des Geistes. Mit solchen Leuten kommt man immer zurecht, wenn sie uns auch zu schaffen machen.

Unter meine Geduldproben zähle ich die Hochzeitfeier. Es war ein alltägliches Hoffest daraus gemacht worden. Zum Glück, wissen fürstliche Personen dergleichen schnell abzumachen. Trauung, Gratulation, Diner, Entlassung, alles[83] ging in einer Hetze fort, so daß wir uns im Wagen, aus der Stadt, auf dem Wege hierher, befanden, ehe ich noch Zeit behielt, das Geschehene mit Gelassenheit zu überdenken. Emma hatte sich mehr betäubt als gefaßt aus den Armen ihrer Mutter gerissen, und es vielleicht kaum wahrgenommen, daß diese das Scharfe, was ihren Empfindungen etwas Aetzendes giebt, ganz auf mich übertrug. Ich war ihr in der Seele zuwider. Sie konnte und wollte das auch nicht verbergen. Mir that es wehe. Ich blieb lange auf das Innigste erschüttert; während Emma ruhig, ohne sichtbare Gemüthsbewegung neben mir saß.

Ich konnte mich nicht erwehren, sie von Zeit zu Zeit mit unverhehltem Erstaunen anzusehen. Es schien, als entgehe ihr das gänzlich. Es lag ein Ausdruck des Friedens und der innern Einigkeit auf ihrem Gesichte, welcher der abendlichen Stille der Natur zu vergleichen war, und auf mich ungefähr denselben Eindruck machte.

Nach einer Weile bemerkte ich, daß sie leise betete, und den Beistand eines höhern Wesens anrief, mit welchem sie sich in liebendem, natürlichem Einverständnisse befand.

Seitdem fand ich sie öfters so. Gleichwohl[84] kann ich die Spur dieser Richtung noch nicht völlig klar in ihr auffinden. Ich trage auch eine gewisse Scheu vor jedem erläuternden Schritt. Sehr wahrscheinlich weichen unsere Ansichten hier von einander, und die Gewißheit darüber könnte sie stören. Mich stört so leicht Niemand in dem, was in mir feststeht; aber gegen Formen rennt man an, ohne es zu wissen.

Erst gestern machte ich die Erfahrung. Wir krochen am Simplon herum. Ich ließ Emma auf einer bequemen Stelle bei ihren Trägern. Sie blickte von hier ruhig nach den Thälern hinunter, indeß ich, von innerer Unruhe getrieben, froh, mir einen Augenblick selbst anzugehören, alle Mühseligkeit verachtend, die zackigen Klippen noch um eine bedeutende Strecke hinan klomm, und jetzt auf einem Abhange fast schwebend mit stolzen Erwartungen um mich sah. Allein, die Atmosphäre hing, von Dünsten verdeckt, wie ein wallender Vorhang, zwischen der Stelle, wo ich stand, und den nächsten hundert Schritten unter mir. »Alles ist anders, als man es denkt!« rief ich, und wollte den Rückweg antreten. Es war indeß leicht an dem dumpfen Rauschen und Brausen aus der Ferne, die Vorbereitung einer Explosion der Elemente wahrzunehmen. Ich wollte[85] das abwarten, und folgte nun mit steigendem Antheil dem Kampfe der Natur. Blauschwarze, electrische Ballen wälzten sich unförmlich, und von ihrem eignen Luftzuge gedrängt, übereinander zu einem schauerlichen Chaos. Es ward dunkler und dunkler, zuletzt ganz finster, die Nacht hielt mich dicht umarmt in ihre Schleier gehüllt. Da fuhr der Stoß einer kreuzenden Luftschicht, wie ein langer weißer Strahl in den aufgethürmten Knäuel, und, als sollten Himmel und Erde untergehen, so faßte und riß ein Wirbelwind, der die Welt aus ihren Fugen zu reißen Miene machte, in das Gewölk. Ein Augenblick noch, und die gährenden Stoffe stürzten krachend und schäumend unter Donner und Blitz und Wogenströmen in die Tiefen hinab, über mir ward es hell wie in einer azurnen Kugel. Ich blickte überrascht und sprachlos um mich. Die majestätische Gewalt dieses Vorganges fesselte mich unverrückt auf demselben Fleck. Doch, ich dachte an Emma, und arbeitete mich nun durch das Unwetter, das vor mir herging, hindurch, zu der Stelle, wo ich sie gelassen hatte. Sie war nicht mehr dort. Ihre Träger kamen mir indeß, durch sie abgeschickt, bereits entgegen. Ich erfuhr, daß eine nahe Hütte ihr Obdach gebe, und eilte nun dahin. Es[86] stürmte und regnete noch in einem fort. Sie flog mir in die Arme. Der Gedanke, daß die zerstörende Macht der Elemente uns plötzlich hier am Eingange eines neuen Lebens hätte trennen können, erschütterte mich unwillkührlich. Ich war bewegt, und zeigte es ihr. Sie sah mich mit ihrem stillen, festen Blicke an. »Ich wußte es wohl,« sagte sie, »daß Dir nichts begegnen würde.« »Bist Du so zuversichtlich?« entgegnete ich, vielleicht ein wenig kühler als zuvor. »Ich bin es nur in einer Art,« versicherte sie mit abgewandtem Gesicht, indem sie, ohne weiter etwas hinzuzusetzen, an das kleine Hüttenfensterchen trat. Ich folgte ihr dahin. Das Gewitter zog immer tiefer abwärts. Die jenseitige Bergwand färbte sich schon wieder im röthlichen Licht der Abendsonne, ein feiner Sprühregen flimmerte silbern zwischen den Steinen. Eine Heerde weißer Ziegen und buntgefleckter Kühe zog einzeln und lautlos vorüber. Der junge Hirtenknabe folgte ihnen, sein Liedchen pfeifend. »Sieh,« rief Emma, mit einem Lächeln, das an Corregio und seine Bilderwelt erinnerte. »Sieh, wie schnell Gott den wilden Aufruhr gestillt hat. Die Sonnenlichter drüben gehen wie seine Friedensboten über die Berge.« Ich bemerkte, indem sie sprach, ein[87] kleines silbernes Cruzifix, das sie sonst verborgen an einer Schnur um den Hals trägt, über ihre gefaltenen Hände herabhängen. Gewiß hatte sie, in der Angst ihrer Seele, ihre Zuflucht dazu genommen.

Ein jeder hat seine Art, dachte ich, und ließ sie. Doch erwiederte ich: »Hier ist Ruhe und Ordnung, allein dort oben war es, als rolle der feurige Wagen des zornigen Gottes der Israeliten auf den Wolkenbergen hin, und schleudere seine Wetter auf die Erde. Nichts,« fuhr ich fort, »füllt meine Brust mit so heiligen Schauern göttlicher Erhabenheit, als die großen Erscheinungen der Natur. Das sind lebendige Symbole. Sie reden mit andern Zungen, als todte Bilder.«

»Die Natur ist auch ein todtes Bild,« meinte sie, »ohne das Leben in dem Glauben des Christen.«

Ich lächelte. Sie war ernst geworden. Zum erstenmale sah ich den Schatten einer Wolke auf ihrer Stirne. Sie sagte nichts. Aber es war ganz klar, ich hatte ihr wehe gethan. Es wird gewiß nie wieder geschehen. Aber da siehst Du, es sind immer nur Formen, die zwischen die Herzen treten. Das ist der Fluch der Menschheit![88]

Lebe wohl, Heinrich! Was hilft so eine Ausflucht in die Weite! Man muß doch wieder in die gezogenen Schranken zurück.

Nun! ich komme auch zurück. Bald bin ich wieder heimisch unter den Meinigen. – Den Meinigen? Wer sind sie? Man hat eine besondere Gewohnheitssprache, ohne viel darüber nachzudenken, angenommen, und damit die Begriffe gewaltig auf den Kopf gestellt.

Aber! Lebe wohl! Lebe wohl!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 81-89.
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